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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

bei Menschenhülflosigkeit und Elend… Die jungen Blumenaugen da allerorten lächelten jetzt ebenso fröhlich in andere, kalte Gesichter, und die Menschen sprachen nicht mehr von ihm. … Hierher hatte er sich und die kleine Waise gerettet vor den vernichtenden Blicken und der schneidenden Zunge da drin in der Stadt – nicht allein zur lustigen Sommerzeit; wenn draußen der Frühling noch mit dem Winter rang, da prasselte hier im weißen Porcellanofen ein tüchtiges Feuer; ein dicker Teppich auf dem Boden wärmte die Füße, die Büsche drückten ihre Knospenansätze gegen die erwärmten Scheiben, auf denen einzelne, verwegene Schneeflocken rettungslos zerschmolzen, und über den weiten, noch wüsten Gartenplan guckte der halbbeschneite Berg herein mit dem wohlbekannten Pappelkreis auf der Stirn … traute, liebe Erinnerungen! Und da drüben standen die Nußbäume; die kaum entwickelten Blätterzungen hingen in diesem Augenblick müßig und unbewegt, wie trunken vom goldenen Sonnenlicht, über einander. … Was hatten sie einst dem Kinde Alles zugeflüstert! Süße, selige Verheißungen von Welt und Zukunft, Träume, so klar und schattenlos, wie der unbewölkte Himmel droben – und dann war es plötzlich dunkel und dräuend über dem schuldlosen Haupt des Spielerskindes geworden, ein greller Blitz der Erkenntniß hatte die Blätterzungen zu Lügnern gemacht.

Näher kommende Männerstimmen und das Knarren der Gartenthür schreckten Felicitas aus ihrem trüben Grübeln auf. Durch das nördliche Eckfenster konnte sie sehen, wie der Professor in Begleitung eines anderen Herrn den Garten betrat. Sie schritten langsam dem Hause zu. Jener Herr kam seit einiger Zeit öfter zu Frau Hellwig; er war der Sohn eines sehr angesehenen, der Familie Hellwig befreundeten Hauses. Im Alter mit dem Professor gleichstehend, hatte auch er seine Erziehung in dem Institut des strenggläubigen Hellwig’schen Verwandten am Rhein erhalten. Beide waren dann, freilich nur für kurze Zeit, Studiengenossen auf der Universität gewesen, und wenn auch völlig verschieden in Charakter und Anschauungsweise, hatten sie doch stets freundschaftlich zu einander gestanden. Während Johannes Hellwig fast sofort nach Beendigung seiner Studienzeit den Lehrstuhl bestiegen, war der junge Frank auf Reisen gegangen. Erst vor Kurzem hatte er sich auf Wunsch seiner Eltern herbeigelassen, sein juristisches Examen zu machen; er war nun Rechtsanwalt in seiner Vaterstadt und harrte der Dinge und Clienten, die da kommen sollten.

Wie er so näher schritt, war er eine fast vollkommen schöngebildete Männererscheinung – ein geistreiches Gesicht über schlank und edel geformten Gliedern. Vielleicht hätte dieser sehr zierliche Kopf mit der feinen, etwas reich verlaufenden Profillinie einen weiblichen Eindruck gemacht; aber so wie er getragen wurde, fest und sicher auf den Schultern und unterstützt von entschiedenen, wenn auch sehr eleganten Bewegungen der gesammten Gestalt, ließ er diesen leisen Tadel nicht aufkommen.

Er nahm eben die Cigarre aus dem Munde, betrachtete sie aufmerksam und schleuderte sie dann verächtlich von sich. Der Professor holte sein Etui hervor und bot es ihm.

„Ei Gott bewahre!“ rief der Rechtsanwalt, indem er mit komischer Geberde beide Hände abwehrend ausstreckte. „Es könnte mir doch nicht einfallen, die armen Heidenkinder in China und Gott weiß, wo noch, zu bestehlen!“

Der Professor lächelte.

„Denn so wie ich Dich kenne,“ fuhr der Andre fort, „hältst Du jedenfalls mit unbestreitbarem Heroismus Dein Kasteiungswerk aus der Jugendzeit fest, d. h. Du bestimmst Dir täglich drei Cigarren, rauchst aber consequent nur eine, während das Geld für die beiden anderen in Deine Missionssparbüchse fließt!“

„Ja, die Gewohnheit habe ich noch,“ bestätigte mit ruhigem Lächeln der Professor; „aber das Geld hat eine andere Bestimmung – es gehört meinen armen Patienten ohne Unterschied.“

„Nicht möglich! … Du, der starre Vorkämpfer pietistischen Strebens, der getreueste unter den Jüngern unseres rheinischen Instituts-Despoten! Befolgst Du so seine Lehren, Abtrünniger?“

Der Professor zuckte die Achseln. Er blieb stehen und streifte nachdenklich die Asche von seiner Cigarre.

„Als Arzt lernt man anders denken über die Menschheit und die Pflichten des Einzelnen ihr gegenüber,“ sagte er. „Ich habe stets das eine große Ziel im Auge gehabt, mich wahrhaft nützlich zu machen; um das zu erreichen, habe ich Vieles vergessen und verwerfen müssen.“

Sie schritten weiter und ihre Stimmen verhallten. Allein auf dem Kiesweg, den sie wandelten, lag die Sonne träge und brütend, sie kehrten, in ihr Gespräch vertieft, fast instinctmäßig zurück unter die Akaziengruppe, die ihre Zweige über den am Hause hinlaufenden, mit breiten Steinplatten belegten Weg hing und ihn kühl und schattig machte.

„Streite nicht!“ hörte Felicitas den Professor ein wenig lebhafter als gewöhnlich sagen. „Daran änderst Du nichts… Genau, wie vor so und so viel Jahren, langweile ich mich entweder entsetzlich, oder ich ärgere mich in weiblicher Gesellschaft; und – das kann ich Dir sagen – mein Verkehr als Arzt mit dem sogenannten schönen Geschlecht ist auch durchaus nicht geeignet, meine Meinung zu erhöhen… Welch ein Gemisch von Gedankenlosigkeit und Charakterschwäche!“

„Du langweilst Dich in weiblicher Gesellschaft, sehr begreiflich!“ eiferte der junge Frank, unter dem Eckfenster stehen bleibend. „Suchst Du doch geflissentlich die geistig einfache, um nicht zu sagen, einfältige … Du verabscheuest die moderne weibliche Erziehung – in mancher Hinsicht freilich nicht ohne Grund – ich bin auch kein Freund von geistlosem Claviergeklimper und gedankenloser, französischer Plapperei, aber man muß das Kind nicht mit dem Bad verschütten… In unserer Zeit, wo der männliche Geist fast täglich neue, ungeahnte Bahnen betritt, wo er mitwirkt, schafft und genießt bei dem mächtigen Aufschwung, den das Menschengeschlecht nimmt, da wollt Ihr das Weib womöglich hinter die mittelalterliche Kunkel, in den Kreis und zugleich in den engen Ideengang ihrer Mägde zwingen – das ist nicht allein ungerecht, es ist auch thöricht. Das Weib hat die Seele Eurer Söhne in den Händen, in einem Stadium, wo sie am empfänglichsten ist, wo sie die Eindrücke wie Wachs aufnimmt und gerade sie unverwischbar durch’s ganze Leben trägt, als wären sie in Eisen gegraben! … Regt die Frauen an zu ernstem Denken, erweitert den Kreis, den Ihr Egoisten eng genug um ihre Seelen zieht und welchen Ihr weibliche Bestimmung nennt, und Ihr werdet sehen, daß Eitelkeit und Charakterschwäche verschwinden!“

„Lieber Freund, den Weg betrete ich ganz sicher nicht!“ sagte der Professor sarkastisch, indem er langsam einige Schritte weiterging.

„Ich weiß wohl, daß Du eine andere Ueberzeugung hast – Du meinst, das Alles erreiche man müheloser durch eine fromme Frau… Mein sehr verehrter Professor, auch ich möchte keine unfromme Lebensgefährtin – ein weibliches Gemüth ohne Frömmigkeit ist eine Blume ohne Duft. Aber seht Euch wohl vor! Ihr denkt, sie ist fromm, mithin besorgt und wohl aufgehoben, und während Ihr sie vollkommen und sorglos gewähren lasset, erwächst Euch eine Tyrannei in Eurem Hause, wie Ihr sie von einer weniger frommen Frau nun und nimmer ertragen würdet. Unter dem Deckmantel der Frömmigkeit schießen leicht alle im weiblichen Charakter schlummernden schlimmen Neigungen auf. Man darf grausam, rachsüchtig und auch ganz gehörig hochmüthig sein und im blinden Zelotismus Schönes und Herrliches verdammen und zerstören – Alles im Namen des Herrn und im sogenannten Interesse des Reiches Gottes.“

„Du gehst sehr weit.“

„Gar nicht… Du wirst schon noch einsehen lernen, daß auch der erwägende Verstand gehörig geklärt und ausgebildet und das Gemüth der Humanität zugänglich gemacht sein muß, wenn die Frömmigkeit der Frau wahrhaft beglückend für uns sein soll.“

„Das sind Ziele, auf die ich gar nicht Lust habe, loszusteuern,“ erwiderte der Professor kalt. „Meine Wissenschaft beansprucht mich und mein Leben so völlig –“

„Ei – und die dort?“ unterbrach ihn der Rechtsanwalt leiser, während er nach dem Eingang des Gartens zeigte. Dort hinter der Gitterthür erschien die Regierungsräthin in Begleitung ihres Kindes und der Frau Hellwig. „Ist sie nicht vollkommen die Verwirklichung Deines Ideals?“ fuhr er mit nicht zu verkennender Ironie fort. „Einfach – sie erscheint stets in weißem Mull, der ihr, nebenbei gesagt, vortrefflich steht – fromm, wer wollte das bezweifeln, der sie in der Kirche mit den schwärmerisch emporgerichteten, schönen Augen sieht? Sie verabscheut alles Wissen, Denken und Grübeln, weil es dem Wachsthum ihres Strickstrumpfes oder ihrer Stickerei hinderlich sein könnte – ist eine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_403.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)