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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Richtungen hin; nur Frau Hellwig erhob sich tapfer zur Rettung des Kindes, und die beiden Herren sprangen sofort hinüber; allein sie kamen zu spät. Felicitas stand bereits da, sie breitete ihre Kleider aus, schlug sie eng um das brennende Kind und suchte die Flammen zu ersticken – sie waren zu mächtig; der dünne Kattunrock des jungen Mädchens fing selbst Feuer, es züngelte gierig an ihr empor. Rasch entschlossen preßte sie das Kind in ihre Arme, flog durch den Grasgarten, den Damm hinauf und warf sich in den vorüberrauschenden Mühlbach.

Todesgefahr und Rettung hatten sich in wenige Augenblicke zusammengedrängt; ehe die beiden Herren nur die Absicht des fortstürzenden Mädchens begriffen, war das Feuer bereits gelöscht. Sie betraten den Damm in dem Augenblick, als Felicitas, wieder aufrechtstehend, und das triefende Kind auf dem rechten Arm haltend, mit der Linken in die Zweige eines Haselstrauches griff, um, sich gegen das hier mit großer Gewalt vorüberschießende Wasser zu halten. Mit den Herren zugleich erschien die Regierungsräthin auf dem Damm.

„Mein Kind, rettet mein Aennchen!“ rief sie in verzweiflungsvollen Tönen, es sah aus, als wolle sie schnurstracks in das Wasser laufen.

„Mache Dir die Schuhe nicht naß, Adele, Du könntest leicht den Schnupfen bekommen,“ sagte der Professor mit beißender Ironie, während er rasch hinabstieg und Felicitas beide Hände bot, um sie zu stützen; aber er ließ sie langsam wieder sinken – das erst völlig ruhige Gesicht des jungen Mädchens hatte sich plötzlich verwandelt, eine tiefe Falte grub sich zwischen ihre Brauen, und jener tödtlich kalte, feindselige Blick, den er bereits kannte, traf sein Auge. Sie reichte ihm, das Gesicht abwendend, die kleine Anna hin, und schwang sich dann, die Hand des Rechtsanwaltes mit einem schwachen Lächeln der Dankbarkeit ergreifend, auf den Damm.

Der Professor trug das Kind in das Gartenhaus, entkleidete es mit Hülfe der jammernden Mutter und forschte nach den muthmaßlichen Brandwunden, aber es war, wunderbar genug, fast unverletzt; nur die linke Hand, von welcher, wie es selbst weinend erzählte, das Feuer ausgegangen war, zeigte Brandspuren. Die Kleine hatte, während die Regierungsräthin in der Küche gewesen, unbemerkt die Schwefelhölzchen vom Heerd genommen; beim Anzünden draußen im Garten war ein Zeugstreifen, den man in Folge einer kleinen Schnittwunde um ihren Daumen gewickelt, in Brand gerathen; sie hatte die Flamme am Kleid abzustreifen gesucht und dadurch das Unglück herbeigeführt.

Die geflüchteten Damen kehrten nun auch sämmtlich zurück. Ein Gemisch von Wehklagen und Glückwünschen für die Mutter des geretteten Kindes strömte von all den zarten Lippen, und der „arme Engel“ wurde mit Liebkosungen überschüttet.

„Aber, beste Caroline,“ sagte die Regierungsräthin mit sanftem Vorwurf zu dem jungen Mädchen, das, bang auf das Ergebniß der Untersuchung harrend, in ihrer Nähe stand, „konnten Sie denn Aennchen nicht ein wenig draußen im Garten überwachen?“

Der Vorwurf war zu ungerecht.

„Sie hatten mir wenige Augenblicke zuvor verboten, das Haus zu verlassen,“ entgegnete Felicitas finster, mit einem ihrer durchdringenden Blicke auf die Frau, während das Roth der Entrüstung in ihre Wangen stieg.

„So, ei, warum denn das, Adele?“ frug Frau Hellwig verwundert.

„Mein Gott, Tantchen,“ antwortete die junge Wittwe, ohne jedwedes Zeichen der Verlegenheit, „das wirst Du leicht begreifen, wenn Du Dir dies Haar ansiehst. … Ich wollte ihr und uns den üblen Eindruck ersparen, den Nachlässigkeit stets hervorrufen muß.“

Felicitas griff bestürzt nach ihrem Kopf; sie war sich bewußt, ihr Haar mit ängstlicher Sorgfalt geordnet zu haben; aber der Kamm, der nie recht fest sitzen wollte in den dicken, widerspenstigen Wellen, war entschlüpft – er lag höchst wahrscheinlich im Mühlbach. Das aufgelöste, wundervolle Gelock wogte wie ein Glorienschein um Wangen und Schultern, noch bestreut mit einzelnen Perlen des aufgepeitschten Wassers.

„Ist das Alles der Gesammtausdruck Ihrer Dankgefühle für die rettende Hand, die ihr Kind unversehrt durch Feuer und Wasser getragen hat, meine Gnädige?“ fragte der Rechtsanwalt scharf – sein Auge hatte bis dahin fast unverwandt auf Felicitas geruht.

„Wie mögen Sie nur so ungerecht von mir denken, Herr Frank!“ vertheidigte sich die junge Wittwe tief gekränkt. „Ein Mann wird freilich nie recht das Mutterherz begreifen lernen; es zürnt im ersten Augenblick wider Willen Denen, die ein Leiden des geliebten Kindes hätten verhüten können, wenn es auch dankbar anerkennt, daß sie ihr Versehen durch die schließliche Rettung gesühnt haben. … Meine theure Caroline,“ wandte sie sich an das junge Mädchen, „ich werde Ihnen den heutigen Tag nie vergessen. … Könnte ich doch in diesem Augenblicke schon beweisen, wie dankbar ich Ihnen bin!“ Rasch, als ob sie einer plötzlichen Eingebung folge, löste sie das Armband und reichte es Felicitas hin. „Da nehmen Sie vorläufig – es ist mir sehr werth; aber für die Rettung meines Annchens könnte ich das Liebste freudig opfern!“

„Felicitas schob tief verletzt die Hände zurück, die ihr den Schmuck um den Arm legen wollten.

„Ich danke,“ sagte sie mit jenem stolzen Zurückwerfen des Kopfes, welches die demuthsvollen Gläubigen an dem Spielerskind stets so entsetzlich fanden; „ich werde mich nie für das Genügen der Nächstenliebe bezahlen lassen; noch weniger aber bin ich gesonnen, irgend welches Opfer anzunehmen. … Sie sagen selbst, daß ich einfach ein Versehen gesühnt habe, und sind mir mithin nicht im mindesten verpflichtet, gnädige Frau.“

Frau Hellwig hatte der Regierungsräthin das Armband bereits weggenommen.

„Du bist nicht bei Trost, Adele!“ schalt sie ärgerlich, ohne Felicitas’ stolze Antwort weiter zu beachten. „Was soll denn das Mädchen mit dem Dings da anfangen? … Schenk’ ihr ein Kleid von derbem, haltbarem Gingham, das kann sie besser brauchen – und damit ist die Sache abgemacht, basta!“

Nach den letzten Worten ging der Rechtsanwalt hinaus. Er holte seinen Hut und trat unter das offene Fenster, an welchem Felicitas stand.

„Ich finde, daß wir sammt und sonders sehr grausam gegen Sie sind!“ rief er ihr zu. „Zuerst werden Sie mit schnödem Gold verwundet, und dann sehen wir Sie ungerührt in durchnäßten Kleidern dastehen. … Ich werde in die Stadt laufen und das Nöthige für Sie und die kleine Brandstifterin herausschicken.“

Er grüßte und entfernte sich.

„Er ist ein Narr!“ sagte Frau Hellwig zornig zu den Damen, die ihm verdrießlich und mit schlechtverhehltem Bedauern über sein Gehen nachblickten.

Der Professor hatte, mit dem Kind beschäftigt, kein Wort in die Belohnungsdebatte fallen lassen; wer ihm aber nahe gestanden, der mußte wissen, daß seit dem Moment, wo die Regierungsräthin dem jungen Mädchen das Armband angeboten hatte, sein Gesicht stark geröthet war … Zum Frauenarzt, oder wohl gar zu einem jener feinen, geheimen Medicinalräthe, die hohe und höchste Krankheiten und Launen zu ihrem besonderen Studium machen, war er sicher nicht geschaffen. Er hatte etwas entsetzlich Rücksichtsloses dem zarten Geschlecht gegenüber. Es war doch so natürlich, daß man sich über den Unfall des Kindes zu Tode erschreckt hatte und gar zu gern über die etwaigen Folgen beruhigt sein mochte; aber auf alle die theilnahmvollen Fragen der Damen hatte der Mann der Wissenschaft nur kurze, trockene Antworten, ja, einige etwas schuldlos klingende Bemerkungen wurden sogar mit beißendem Sarkasmus gegeißelt.

Er überließ die in einen dicken, wollenen Shawl gewickelte Kleine endlich den zarten Händen und schritt auf die Thür zu. Felicitas hatte sich in die fernste Ecke des Salons zurückgezogen – dort glaubte sie sich völlig unbeobachtet. Mit schmerzhaft emporgezogenen Schultern lehnte sie an der Wand; ihr Gesicht hatte eine fahle Blässe angenommen, das vor sich hinstarrende Auge unter den gerunzelten Brauen und die fest aufeinander gepreßten Lippen zeigten unverkennbar, daß sie physisch litt – sie hatte eine bedeutende Brandwunde am Arm, die ihr unsägliche Schmerzen verursachte.

Im Begriff, die Thür zu schließen, sah der Professor noch einmal forschend in das Zimmer zurück; sein Blick fiel auf das junge Mädchen, er fixirte sie einen Moment scharf und stand plötzlich mit wenig Schritten vor ihr.

„Sie haben Schmerz?“ fragte er rasch.

„Er läßt sich ertragen,“ antwortete sie mit zitternden Lippen, die sich sofort krampfhaft wieder schlossen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_406.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)