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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Die Flamme hat Sie verletzt?“

„Ja – am Arm.“ Trotz ihrer Leiden nahm sie eine zurückweisende Haltung an und wandte das Gesicht nach dem Fenster – sie konnte um Alles nicht in diese Augen sehen, die sie seit ihrer Kindheit verabscheute. Er zögerte einen Augenblick; aber die Pflicht des Arztes siegte.

„Wollen Sie nicht meine Hülfe annehmen?“ fragte er geflissentlich langsam und in gütigem Ton.

„Ich will Sie nicht bemühen,“ entgegnete sie mit finsterem Blick; „ich kann mir selbst helfen, sobald ich in der Stadt sein werde.“

„Nun, wie Sie wollen!“ sagte er kalt. „Uebrigens gebe ich Ihnen doch zu bedenken, daß meine Mutter vorläufig noch Anspruch auf Ihre Zeit und Kraft hat. Sie dürfen sich schon aus dem Grund nicht muthwillig krank machen.“ Bei den letzten Worten vermied er, Felicitas anzusehen.

„Ich vergesse das nicht,“ versetzte sie minder gereizt; sie fühlte recht gut, daß dies Zurückführen auf ihre Pflicht nicht geschah, um sie zu demüthigen, er wollte sie offenbar bestimmen, seine ärztliche Hülfe anzunehmen. „Ich kenne unser Uebereinkommen genau,“ fügte sie hinzu, „und Sie werden mich bis zu der letzten Stunde auf dem mir angewiesenen Platze finden.“

„Nun, ist auch hier Deine ärztliche Hülfe nöthig, Johannes?“ fragte die Regierungsräthin hinzutretend.

„Nein,“ sagte er kurz. „Aber was thust Du noch hier, Adele?“ fuhr er verweisend fort. „Ich habe Dir vorhin gesagt, daß Anna sofort in die frische Luft muß, und begreife nicht, weshalb Du den Aufenthalt hierin dem schwülen Zimmer für nöthiger hältst.“

Er ging zur Thür hinaus, und die Regierungsräthin beeilte sich, ihr Kind auf den Arm zu nehmen; sämmtliche Damen folgten ihr. Drüben am Kaffeetisch saß Frau Hellwig längst in unerschütterter Gemüthsruhe. Zwischen der vorletzten Maschentour und dem jetzt unter ihren Fingern wachsenden neuen Streifen des Strickstrumpfes lag die Todesgefahr zweier Menschen; aber das hatte jenes Gleichgewicht, welches auf stählernen Nerven und einer noch härteren Seele beruhte, nicht zu stören vermocht.

Endlich kam Heinrich mit den ersehnten Kleidern. Er war so gelaufen, daß ihm der Schweiß von der Stirn rann.

(Fortsetzung folgt.)




Ein neuer Todtentanz.
Mit Abbildung.


Es war am 6. März dieses Jahres, einem dieser abscheulichen, stürmischen Tage, deren uns das heurige Frühjahr in Menge gebracht, als ich in einer geschäftlichen Angelegenheit das Kaulbach’sche Atelier aufsuchen mußte.

Durch die langen Corridore des ehemaligen Jesuitenklosters, in dem jetzt die fröhliche Künstlerjugend der Akademie haust, pfiff und tobte der Wind und als ich über den Hof gehen mußte, längs des kleinen Gartens, in dem früher die ehrwürdigen Patres S. societatis Jesu lustwandelten, hätte mir der Sturm fast den Regenschirm aus der Hand gerissen, so daß ich im Atelier des großen Meisters wie in einem rettenden Hafen anlangte.

Auf mein Klopfen tönte das „Herein“ nicht so kräftig wie gewöhnlich. Kaulbach saß nicht wie sonst immer an der Staffelei, die Kohle lag müßig auf dem großen, runden Tisch und der Meister lehnte nachdenklich an einem Stuhl und starrte auf ein Blatt Papier.

Statt der sonst immer so warmen Hand streckte er mir das Blatt entgegen; es war ein Telegramm:

„Heute früh zehn Uhr ist Cornelius gestorben.“

„Cornelius todt?!“ sagte ich bestürzt.

„Auch er hinüber, der von den Guten der Beste, von den Großen der Größte war; es will Abend werden, die Blätter fallen ab,“ klagte der Meister, einst der Schüler des Mannes, den heute der Tod von einem großen und segensreichen Wirken abberufen hatte.

„Er hatte das Ziel seines Lebens erreicht und war hoch an Jahren.“ –

„Sie kannten Cornelius nicht persönlich,“ sagte Kaulbach eifrig, „sein Körper war allerdings ein schwächliches Gehäuse für die große Seele, aber diese Seele war eine so mächtige, daß sie gleichsam für den Körper mit garantirte. Mir war’s immer, als könnte der Mann nicht sterben, wenn er nicht selbst wolle, und nun ist er doch hinüber. Es will Abend werden, memento mori!

„Wie kommen Sie nur zu dieser Stimmung, Herr Director? Sie, der Sie sich wie Ninon de L’enclos einer ewigen Jugend erfreuen!“

„O meine ewige Jugend! Lieber Freund, ich bin ein alter Mann, zweimal so alt als Sie; es wird Zeit, daß ich mich auch zur großen Reise rüste. Lange hat mich nichts so ergriffen wie diese Nachricht! Wenn wir auch nicht persönlich mit einander verkehrten, wenn unsere beiderseitigen ‚jungen Freunde‘ sich immerhin mit Erfolg bemühten Zwietracht zwischen uns zu säen und es ihnen sogar bei Cornelius gelang ihn gegen mich zu erbittern, – in meinem Herzen hat er immer gelebt und jetzt, wo er dahin ist, fühle ich erst so recht tief und schmerzlich, was wir alle an ihm verloren. Mir persönlich aber ist sein Tod ein memento mori gewesen, das mit furchtbarem Ernst an mein Ohr geklungen. Es wird Zeit, ich will abschließen, aber drei Aufgaben möchte ich noch vollenden, ehe mir die Kohle für immer aus der Hand fällt.“ –

„Die eine ist der Nero, da steht schon die Zeichnung auf der Leinewand; die zweite kenne ich auch, das ist der Gipfelpunkt Ihres Schaffens, die Sündfluth, von der ich leider jetzt erst einige Skizzen gesehen habe.“

„Es ist auch nicht mehr davon vorhanden und Jahre werden dazu gehören, um den furchtbaren Stoff zu bewältigen, wie ich ihn mir gedacht – lange Jahre und momento mori! Cornelius hat auch noch viel unvollendet zurücklassen müssen und nicht geglaubt so plötzlich von dem kräftigsten Wirken abberufen zu werden.“

„Wenn Sie nach dem Alter von Cornelius rechnen, so haben Sie mindestens noch zwei Decennien, Herr Director!“

„Garantiren Sie mir die Hälfte Zeit gesunden Schaffens, so will ich zufrieden sein und Alles vollenden.“

„Hoffen wir das Beste, und ich meine, es sei wahrhaftig kein thörichtes Hoffen. Aber Sie sprechen von drei Werken, was ist denn das dritte?“

„Mein Todtentanz; habe ich Ihnen noch nichts davon gezeigt? Kommen Sie mit mir, mir ist ohnedem das Arbeiten verleidet, und wir sind beide in der rechten Stimmung, einen Todtentanz zu betrachten; er ist im oberen Atelier.“

Stumm gingen wir neben einander die Treppen hinauf und traten in die obere Werkstatt, in welcher der Meister nur im Sommer zu arbeiten pflegt, während er im Winter im Koloßsaal (so genannt von der darin stehenden Koloßstatue) malt. Ich hatte das obere Atelier lange nicht betreten, es war noch Alles drin wie sonst und doch muthete mich Alles anders an.

Wie sonst grüßte das riesengroße Bild der Schlacht von Salamis wie ein alter Freund mir entgegen, aber die in tiefen, hellen, glühenden Farben prangenden Weiber, an deren üppiger Schönheitsfülle sich so oft mein durstiges Auge erquickt, schienen zu frieren auf der kalten Leinewand. In der Ecke lehnte wie sonst das lebensgroße Bild von Franz Liszt, aber die bleichen, scharfen Züge, um welche die langen Haare wild flatterten, kamen mir noch gespenstischer vor als früher. War’s mir doch, als schaute schon der Abbé Franz Liszt, der den heiß ersehnten Frieden im Clerus der alleinseligmachenden Kirche jetzt endlich gefunden, mit müden, matten Augen aus den genialen, blasirten Zügen des einst so lebensfrohen, so hastig genießenden Virtuosen heraus. Und da mein alter Freund, der Vampyr-Hamlet, wie ich’s getauft hatte, das lebensgroße Portrait eines jungen ungarischen Baron von Bronay, das Kaulbach vor langen Jahren als Hamletstudie gemalt. Wie stimmte das Bild mit den tiefen grübelnden Augen so vortrefflich zum Ganzen! Ward doch, als sollte er heraustreten aus seinem Rahmen, der ungarische Hamlet, und sein berühmtes Gespräch mit Horatio auf dem Kirchhof beginnen und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_407.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2017)