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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Blatt; sie verstand ausgezeichnet zu rechnen, im Nu hatte sie die sehr bedeutende Totalsumme dieser einzelnen sicher und vortheilhaft angelegten Capitalien überschlagen – sie übertraf ihre Erwartung.

Damit hatte jedoch die Forschung keineswegs ein Ende; es kamen die verschiedenen Commoden und Schränke an die Reihe, und je länger Frau Hellwig suchte, desto ungeduldiger und hastiger wurde sie. Allmählich röthete sich ihr Gesicht, mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit schritt ihre schwerfällige Gestalt von Zimmer zu Zimmer, rücksichtslos durchwühlten ihre Hände die Wäschkästen, warfen die zierlich gefältelten Krausen und Hauben der Verstorbenen durcheinander, stießen Glas und Porcellan in den Schränken zusammen, daß es klang und klirrte – das, was sie suchte, war nicht zu finden. Sie trat endlich aufgeregt hinaus auf die Galerie. Daß sie verschiedene Blumentöpfe umstieß und mittels ihrer schwerfälligen Bewegungen nach allen Seiten hin Blüthen und Zweige abknickte, war ihr sehr gleichgültig – sie hatte in diesem Augenblick nicht einmal ihr stereotypes verächtliches Lächeln für diesen „Quark“, diese „Alfanzereien“.

Friederike fütterte gerade das Geflügel drunten im Hof; Frau Hellwig befahl ihr, sofort den Hausknecht heraufzuschicken, und trat wieder zurück, um ihr Suchen von Neuem zu beginnen.

„Weißt Du nicht, wo die verstorbene Tante ihr Silberzeug aufbewahrt hat?“ rief sie dem bald darauf eintretenden Heinrich entgegen. „Es muß viel da sein, ich weiß es von meiner Schwiegermutter. Sie hat mindestens zwei Dutzend schwere, silberne Eßlöffel, eine gleiche Anzahl schwer vergoldeter Kaffeelöffel, desgleichen silberne Leuchter, Kaffee- und Milchkanne gehabt,“ – dieses mit bewundernswürdiger Gedächtnißtreue festgehaltene Verzeichniß rollte von den Lippen, als werde es abgelesen – „ich kann nichts von alledem finden – wo steckt es?“

„Das weiß ich nicht, Madame,“ versetzte Heinrich ruhig. Er schritt auf einen Tisch zu, zog dessen Kasten auf und nahm zwei silberne Eßbestecke heraus. „Das ist Alles, was ich je von Silber bei der seligen Mamsell gesehen habe,“ sagte er, „ich mußte es öfter putzen, weil es die Aufwartfrau nicht recht machte.“

Frau Hellwig schritt hin und her und biß sich zornig auf die Lippen. Die strenge Zurückhaltung, die sie dem Gesinde gegenüber stets beobachtete, verließ sie für einen Augenblick.

„Es wäre eine schöne Geschichte, ein wahrer Scandal, wenn die Alle diese werthvollen, alten Familienstücke verkauft, oder wohl gar – verschenkt hätte; ähnlich sähe es ihr schon!“ sagte sie, freilich mehr wie für sich. „Es muß wieder her, ich ruhe nicht eher! … Sie hat auch Brillanten gehabt, sehr schönen Schmuck; es ist Alles, was von solchen Sachen der Familie Hellwig je gehört hat, zwischen ihr und meiner Schwiegermutter getheilt worden,“ sie unterbrach sich, ihr Blick fiel in dem Moment auf den Glasschrank, der die Noten enthielt. Ihn hatte sie noch nicht untersucht.

Der Schrank selbst stand auf einem schwerfältigen Kasten, den sehr schön geschnitzte Holzthüren verschlossen; sie riß dieselben auf – hohe Stöße sorgfältig geordneter Zeitschriften füllten die zwei Regale aus. Jener grausam boshafte Zug erschien verstärkt in dem ungewöhnlich aufgeregten Gesicht, die Oberlippe krümmte sich nach innen und ließ fast die ganze obere Reihe ihrer schöngepflegten, festen Zähne sehen… Sie zog ein Paket um das andere hervor und schleuderte es auf die Erde, daß die einzelnen Hefte weit umherflogen.

In dem alten Mann kochte der Ingrimm. Er ballte die Fäuste und sah mit einem fast wilden Blick auf die Vandalin. Diese Blätter, er hatte sie alle selbst von der Post geholt, sie waren eine wahrhafte Erquickung und Freude für die Einsame gewesen; noch sah er ihre freundlichen Augen aufstrahlen, wenn er ein neuangekommenes Heft auf ihren Tisch legte.

„Da haben wir ja gleich die Erbfeinde der heiligen Kirche beisammen!“ murmelte sie. „Diese Schandblätter, diese höllischen Sudeleien! Ja, ja, sie hat’s arg getrieben, die gottvergessene, alte Jungfer, und ich bin gezwungen gewesen, so viele Jahre lang den unsauberen Geist unter meinem Dache zu dulden!“

Sie richtete sich empor und sah hinter die Glasscheiben. Bei dem Anblick der Noten klang eine Art kurzen, rauhen Gelächters von ihren Lippen. Sie schloß den Schrank auf und befahl Heinrich, einen Waschkorb zu holen. Was von Büchern und Notenheften auf den Regalen lag, mußte er in den Korb räumen. Er zerbrach sich den Kopf, was wohl das Schicksal dieser schönen Bücher sein würde, die so oft dort auf dem Flügel gelegen und von denen die alte Mamsell so köstliche Musik abgelesen hatte. Die große Frau stand neben ihm und sah streng darauf, daß kein Blättchen zurückblieb; sie selbst rührte nichts an, es sah fast aus, als fürchte sie, ihre Finger daran zu verbrennen.

Schließlich befahl sie dem Hausknecht, den Korb in das Vorderhaus zu tragen. Sie verschloß alle Thüren der Mansardenwohnung sorgfältig und folgte ihm. Zu Friederikens Aerger, der solche Besuche ein Gräuel waren, trat sie in die Küche; Heinrich mußte seine Last niedersetzen und eine Papierscheere aus dem Wohnzimmer bringen. Die alte Köchin hatte gerade starkes Bratfeuer.

„Heute kannst Du das Holz sparen, Friederike!“ sagte Frau Hellwig, ergriff ein loses Heft und warf es in die Flammen. Die zierlichen Mappen mit der kostbaren Handschriftensammlung der alten Mamsell lagen obenauf in dem Korb. Die seidenen Bandschleifen, mit denen sie zusammengebunden waren, lösten sich, eine nach der anderen, unter den ruhig und beharrlich manipulirenden Fingern der großen Frau… Hei, wie das loderte und fraß! Hier strahlte noch einmal der Name „Gluck“ in rothem Glanze, dort glühten die Notenköpfe einer brillanten Schlußcadenz Cimarosa’s wie feurige Perlen, um dann in ein und demselben Flammenmantel unterzugehen, der Italiener, Deutsche und Franzosen parteilos umfaßte.

Heinrich hatte im ersten Augenblick fassungslos dabeigestanden – der Grimm schnürte ihm die Kehle zu. Noch lag die Leiche der armen Einsamen über der Erde, und dies gefühllose Weib da hauste bereits in der Hinterlassenschaft und plünderte und zerstörte, wie kaum der roheste Kriegsknecht in Feindesland.

„Aber, Madame,“ sagte er endlich, „es könnte doch ein Testament da sein!“

Frau Hellwig erhob ihr von dem Feuer roth angestrahltes Gesicht, es zeigte ein Gemisch von Hohn und Unwillen.

„Seit wann habe ich Dir denn erlaubt, mir gegenüber Deine weisen Bemerkungen zu machen?“ frug sie beißend. Sie hatte eben das Bach’sche Opernmanuscript in den Händen, von welchem die alte Mamsell neulich gesagt, daß es, als nur in diesem einzigen Exemplar vorhanden, dereinst mit Gold aufgewogen werden würde. Energischer als vorher und mit einem ganz besonderen Nachdruck zerriß und zerschnitt sie die Blätter in Atome und stopfte sie unter die Bratröhre.

In diesem Augenblick wurde draußen die Hausglocke stark angezogen. Heinrich ging zu öffnen. Ein Justizbeamter in Begleitung eines Gerichtsdieners trat ein. Er verbeugte sich vor der verwundert aus der Küche kommenden Frau des Hauses und stellte sich in seiner Eigenschaft als Amtscommissär vor, der beauftragt sei, den Nachlaß des verstorbenen Fräulein Cordula Hellwig zu versiegeln.

Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben verlor Frau Hellwig völlig ihre eiserne Ruhe und Kaltblütigkeit.

„Versiegeln?“ stotterte sie. „Es liegt ein Testament bei der Justizbehörde.“

„Das ist ein Irrthum!“ fuhr sie heraus. „Ich weiß ganz genau, daß sie nach dem Willen ihres Vaters kein Testament machen durfte – es fällt Alles an das Haus Hellwig zurück.“

„Thut mir leid,“ sagte der Beamte achselzuckend. „Das Testament existirt, und so sehr ich auch bedaure, incommodiren zu müssen, meine Pflicht zwingt mich, die Versiegelung sofort vorzunehmen.“

Frau Hellwig biß sich auf die Lippen, ergriff den Schlüssel zur Mansardenwohnung und schritt dem Herrn voran. Heinrich aber lief triumphirend hinauf zu Felicitas, die bereits ihr Amt als Kinderwärterin wieder verwaltete, heute jedoch zu Aennchens Verwunderung starr und stumm wie eine Statue neben der plaudernden Kleinen saß. Heinrich theilte ihr das Vorgefallene mit. Bei der Beschreibung des Autodafé fuhr sie empor.

„Einzelne Blätter waren es, die sie verbrannte?“ fragte sie mit erstickter Stimme.

„Ja, einzelne Blätter. Sie lagen in blauen Mappen, schöne Bänder hingen d’ran –“

Sie hörte nicht mehr auf ihn und eilte hinab in die Küche. Da stand der Korb, er enthielt noch verschiedene Clavierauszüge und Notenhefte, aber die Mappen lagen geöffnet und zerstreut auf dem Ziegelfußboden, auch nicht ein einziges Blättchen lag mehr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_466.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)