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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Kinder sollen die Eltern um Verzeihung bitten, aber ich kann mir den Fall nicht umgekehrt denken. Ebensowenig –“ sie schwieg, während abermals die zarte Röthe über ihr Gesicht flog.

„Ebensowenig wollen Sie den Mann gedemüthigt vor sich sehen, nicht wahr, Felicitas?“ ergänzte er rasch den unterbrochenen Satz, in seiner Stimme klang es wie Frohlocken. „Aber eine so hochherzige Anschauungsweise hat auch ihre Consequenzen,“ fuhr er nach einem momentanen Schweigen fort. „Und nun seien Sie einmal recht gut und ruhig und überlegen Sie, ob es nicht die Pflicht des Weibes ist, dem Mann hülfreich die Hand zu bieten, wenn er einen Irrthum ausgleichen möchte! … Halt, jetzt will ich keine Antwort hören! Ich sehe schon an Ihrem Auge, daß sie ganz anders ausfallen würde, als ich wünsche… Ich will geduldig warten – einmal kommt doch vielleicht eine Zeit, wo die böse Tanne auf dem Felsen ihre Waffen nicht braucht!

“Er ging. Ihr Auge haftete auf dem Boden, an dem Kleeblatt, das seinen Händen entglitten war und das er als Symbol des Glückes gepflückt hatte. Es lag, die vier Blättchen sauber ausbreitend, wie hingemalt auf den Stoppeln des Wiesengrases – aufnehmen durfte sie es nicht – sie hatte ja nichts mit seinem Glück zu schaffen – aber – sie umschritt in einem weiten Bogen den kleinen, grünen Propheten – zertreten wollte sie es auch nicht! –


21.

Nach einer Reihe blauer Tage voll Sonnenglanz und Frühlingslust hing heute ein bleifarbener Regenhimmel über der kleinen Stadt X.; er lag fest auf dem hohen Thurm, der, eine Art Wahrzeichen des Städtchens, weiß, rund und mit einer leuchtend grünen Kuppel wie ein Spargelstengel in die Lüfte stieg. Das alte Kaufmannshaus am Markt nahm in solch’ trüber Beleuchtung stets den vornehm düsteren, verschlossenen Charakter jener Zeiten wieder an, wo noch die Bilder raubritterlicher Ahnen in seinen Sälen hingen und der vor einer neuen Zeit geflüchtete Geist des Mittelalters finster und grollend in ihm hauste.

Heute hingen sämmtliche Rouleaux herabgelassen hinter den Fenstern der großen Vorderfronte. Die Regierungsräthin litt an einer heftigen Migräne und war überhaupt in einer unbeschreiblichen Aufregung; man hatte ihre Zimmer verdunkelt und vermied jedes laute Geräusch. Auch das Frauengesicht, das Jahr aus, Jahr ein jeden Morgen pünktlich neben dem Asclepiasstock am Fenster des Erdgeschosses erschien, ließ sich heute nicht sehen. Der graue Himmel droben war eine schlimme Vorbedeutung für den Tag, der in der That einer der grauesten, mißfarbigsten im Leben der großen Frau werden sollte – es war der Tag der Testamentseröffnung. Mit völliger Uebergehung ihrer Person waren nur ihre beiden Söhne und der Hausknecht Heinrich auf das Justizamt beschieden worden, aber sie vertrat ihren abwesenden Sohn Nathanael und mußte deshalb der Eröffnung beiwohnen.

Gegen Mittag kehrte sie in Begleitung des Professors über den Markt zurück, Heinrich folgte in bescheidener Entfernung… Sterbefälle und gefährliche Krankheiten im Kreis ihrer Angehörigen waren einflußlos auf die marmorharten Züge der großen Frau geblieben; ihr starker Geist, der sich nicht beugen ließ, ihre tiefe Frömmigkeit, die sich stets thränenlos dergleichen Heimsuchungen gefügt hatte, waren gar oft mancher schwachen, verzagenden Frauen- und Mutterseele als erhebendes Vorbild hingestellt worden… Heute nun hatte die kleine Stadt das ungewohnte Schauspiel, dies Muster unerschütterlicher Charakterstärke aus dem Geleise weichen zu sehen. Auf den Wangen der stattlichen Frau lag eine verrätherische Gluth innerer Aufregung, ihr feierlich gemessener, stets im Kirchenstil gehaltener Gang zeigte Hast und Eile, und wenn sie auch nur leise in ihren schweigend neben ihr herschreitenden Sohn hineinsprach, so ließ sich doch nicht verkennen, daß es heftige Worte waren, die sie flüsterte.

Die Regierungsräthin hatte trotz ihrer Kopfschmerzen jedenfalls hinter einem der Rouleaux auf der Lauer gestanden und die Zurückkehrenden erwartet, denn als sie die Hausflur betraten, kam die junge Wittwe zwar mit aschfahlen Wangen und eingesunkenen Augen, aber trotzdem in äußerst geschmackvoller Morgentoilette die Treppe herab, um nach dem Ergebniß zu fragen. Sie traten zusammen in das Wohnzimmer.

„Nun, gratulire uns doch, Adele!“ rief die große Frau tief erbittert und malitiös auflachend. „Zweiundvierzigtausend Thaler Baarvermögen ist da und die Familie Hellwig, der das Geld von Gott- und Rechtswegen gehört, kriegt keinen Groschen! … Dies Testament ist das hirnverrückteste Machwerk, das sich denken läßt, aber man darf um Gotteswillen mit keinem Finger daran rühren und muß sich dies himmelschreiende Unrecht ruhig gefallen lassen! … Da sieht man, wohin es führt, wenn die Männer Schlafmützen sind; wäre ich Chef des Hauses gewesen, mir hätte das nun und nimmer passiren dürfen! … Ich begreife nicht, wie mein seliger Mann, ohne die mindeste Sicherheit in der Tasche, die alte Person unter dem Dache so ohne alle Aufsicht hat schalten und walten lassen!“

Der Professor war, die Hände auf den Rücken gelegt, schweigend hin und wieder gegangen. Auf seiner Stirn lag eine düstere Wolke, und unter den gefurchten Brauen hervor zuckten Blitze der Entrüstung nach seiner Mutter hinüber. Jetzt blieb er vor ihr stehen.

„Wer hat es denn durchgesetzt, daß die alte Tante hinauf unter das Dach verwiesen worden ist?“ frug er ernst und nachdrücklich. „Wer hat den damaligen Chef des Hauses, meinen Vater, in seiner Abneigung gegen sie bestärkt, und wer ist unerbittlich streng gegen eine Annäherung der alten Verwandten an uns Kinder gewesen? … Das warst Du, Mutter! … Wenn Du erben wolltest, dann mußtest Du ganz anders handeln!“

„Nun, Du meinst doch nicht etwa, ich hätte mich zu ihr auf einen guten Fuß stellen sollen? Ich, die ich im Herrn gewandelt bin mein Lebenlang, und diese schuldbeladene Person, die den Sonntag entheiligte, die nie im wahren Glauben gelebt hat! – sie wird jetzt wissen, daß sie vor dem Angesicht des Herrn auf ewig verstoßen ist… Nein, dazu hätte mich keine Macht der Erde gebracht! … Aber sie mußte für unzurechnungsfähig erklärt und unter Curatel gestellt werden, und dazu hätten Deinem Vater tausend Mittel und Wege zu Gebote gestanden.“

Das Gesicht des Professors wurde ganz blaß; er warf einen tief erschrockenen Blick auf seine Mutter, dann nahm er stillschweigend seinen Hut und ging hinaus… Er hatte eben in einen Abgrund geblickt… Und dieser starre Buchstabenglaube, dieser entsetzliche christliche Hochmuth, unter welchem ein bodenloser Egoismus mit dem Anschein vollster Berechtigung wuchern durfte, sie waren ihm viele Jahre lang ein Glorienschein gewesen, der das Haupt seiner Mutter umstrahlt hatte! .. Das war der Frauencharakter, den er so lange als das Urbild der Weiblichkeit festgehalten! Er mußte sich eingestehen, daß er einst auf demselben Boden gestanden, wie seine Mutter und der Führer seiner Jugend, ja, sie hatten ihm kaum genug gethan in Unduldsamkeit und Glaubensstrenge; auch er war damals ein rastloser Kämpfer gewesen, um diese Partei zu einer mächtigen zu machen, er hatte um Seelen geworben und sie in sein Bereich zu ziehen gesucht, in der starren Ueberzeugung, daß er sie dem ewigen Heil zuführe. … Und jene arme, schuldlose Waise mit dem Köpfchen voll klarer, idealer Gedanken, mit dem stolzen, rechtschaffenen, tiefsinnigen Gemüth – er hatte sie mit harter Hand gepackt und in jene lichtlose, tödtlich kalte Region gestoßen… Wie mußte sie gelitten haben, die süße Nachtigall unter – den Raben! … Er legte die Hand über die Augen, als ob ihm schwindle, stieg langsam die Treppe hinauf und verschloß sich in sein einsames Studirzimmer.

(Fortsetzung folgt.)




Im Hausfrieden eines fürstlichen Patrioten.


Wer die freundliche „Gartenstadt“ Düsseldorf in der fruchtbaren niederrheinischen Ebene jemals besuchte, die Stadt, welche so manche literarische wie künstlerische Berühmtheit unter ihren Einwohnern zählte und noch zählt, dem wird ihr Hauptschmuck, der reizende „Hofgarten“ von dem romantischen Bächlein, das ihr den Namen gegeben, durchströmt, mit seinen schattigen Alleen und Laubgängen, mit seinem sonnigen, frischen Wiesengrün, seinen von Schwänen durchruderten Teichen, unvergeßlich geblieben sein. Wahrlich, diese

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_484.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2017)