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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Herzens und machte es heftiger klopfen – das war natürlicherweise der alte Haß, der sich aufbäumte, aber mußte sie nicht schließlich an diesem einen so furchtbar erregten und fortwährend genährten Gefühl physisch und moralisch zu Grunde gehen? … Die neulich erzählte Vision hatte ihr viel zu denken gegeben, jetzt wurde ihr die einzige mögliche Lösung durch die Worte bestätigt: „Felicitas, Sie sollen jetzt erkennen lernen, wie es ist, wenn die Liebe für uns denkt und sorgt!“

Er beabsichtigte jedenfalls, trotz ihrer entschiedenen Erklärung, in ihren Lebensfragen selbst entscheiden zu wollen, später eigenmächtig über ihre Hand zu verfügen, sie sollte an irgend einen Mann, den er wählte, gebunden werden – damit war sie versorgt und das ihr widerfahrene Unrecht, welches er allerdings eingesehen hatte, gut gemacht – das Herz drehte sich ihr um bei dieser Vorstellung. … Wie vermessen und unmoralisch war eine solche Absicht! Konnte er irgend einen Menschen zwingen, sie zu lieben? Er selbst hatte eine unglückliche Neigung und ging deshalb einsam durch das Leben; mit diesem Entschluß gestand er seinem Herzen große Rechte zu – es durfte entscheiden über seine ganze Zukunft. … Er sollte sehen, daß auch sie für sich selbst genau dasselbe Vorrecht beanspruchte, daß sie sich nicht verhandeln ließ wie eine Waare. … Was hielt sie ab, sofort zu der Hofräthin Frank zu gehen und sich unter deren Schutz zu flüchten? .. Ach, da war ja der kleine, graue Kasten, der kettete sie fester an das unselige Haus, als es irgend ein menschlicher Wille vermocht hätte – um seinetwillen mußte sie ausharren bis zum letzten Augenblick.


23.

Aennchen unterbrach das qualvolle Sinnen und Grübeln des jungen Mädchens. Sie nahm schmeichelnd Felicitas’ Hand und zog sie den Damm hinab. Der Wind sauste bereits mit großer Gewalt durch die Baumwipfel, er fuhr auch stoßweise und bissig in die geschützteren Regionen – erschrocken beugten sich die kleinen, schüchternen Grasblumen vor dem Störenfried. Ueber die Sonne hin jagten einzelne Wolkengebilde, deren Schatten sich für Momente wie dunkle Riesenflügel über die Kies- und Rasenplätze hinstreckten, Rosenblätter wirbelten hoch in den Lüften, und selbst die starren Taxuspyramiden neigten sich, steif und gravitätisch wie alte Hofdamen.

Da war es gemüthlich im schützenden Haus. Felicitas setzte sich auf einen Gartenstuhl in der Hausflur und zog eine Handarbeit hervor. Die Thür der kleinen Küche und auch die des Salons standen weit offen. Es ließ sich wohl nicht leicht etwas Anmuthigeres denken, als die Regierungsräthin, indem sie „das wirthliche Hausmütterchen“ repräsentirte. Sie hatte eine reichgarnirte, schwarzseidene Latzschürze vorgebunden, in dem blonden Lockengeringel, nahe am Ohr, wiegte sich eine Rose mit dunkelpurpurnem Kelch – sie war offenbar im Vorübergehen vom Strauch genommen und wie in absichtsloser Selbstvergessenheit placirt worden, das war von allerliebster Wirkung. Unter dem festonartig aufgenommenen Kleid bewegten sich die kleinen, in zimmetfarbenen Stiefelchen steckenden Füße mit kinderhafter Leichtigkeit und Grazie, auch der augenblickliche Ausdruck des rosigen Gesichts war der eines glückseligen, harmlosen Kindes, das mit wichtigem Eifer ein ihm anvertrautes Amt versieht – wer hätte bei diesem vollendeten Gepräge unschuldsvoller Naivetät an die Bezeichnung „Wittwe und Mutter“ denken mögen!

Während sie am Küchenheerd wirthschaftete, war im Salon zwischen Frau Hellwig und dem Rechtsanwalt ein lebhaftes Gespräch im Gange – es drehte sich um das Testament der alten Mamsell. Heinrich und Friederike hatten dem jungen Mädchen bereits versichert, daß die „Madame“ nichts mehr spreche und denke, was nicht mit der unglücklichen Testamentgeschichte zusammenhinge. Felicitas sah für einen Augenblick das Gesicht der großen Frau, es erschien ihr merkwürdig grau und gealtert, auch in ihrer Art und Weise zu sprechen lag eine ungewohnte Hast – Grimm und Groll hatten offenbar noch die Oberhand in dieser tief alterirten Frauenseele.

Der Professor betheiligte sich nicht an der Unterhaltung, ja, es schien, als gleite sie völlig unverstanden an ihm ab. Er durchschritt, die Hände auf den Rücken gelegt und wie in tiefen Gedanken verloren, unausgesetzt die ganze Länge des Salons, nur wenn er an der offenen Thür vorüberkam, hob er den Kopf, und ein prüfender Blick fiel auf das arbeitende Mädchen in der Hausflur.

„Ich beruhige mich mein Lebelang nicht, mein lieber Frank!“ wiederholte Frau Hellwig. „Ja, wenn nicht jeder Groschen von den Hellwigs sauer erworben gewesen wäre! Aber nun kömmt da vielleicht irgend ein verkommenes Subject und verjubelt in kurzem die Ersparnisse eines ehrbaren Hauses – zu welcher Segensquelle hätte dies Geld in unseren Händen werden müssen!“

„Aber, Tantchen,“ begütigte die junge Wittwe, die eben mit der dampfenden Kaffeekanne eintrat und die Tassen füllte, „da vertiefst du dich nun wieder in die leidige Geschichte, die dich so sichtbar angreift – du wirst dich noch krank machen. … Denke an deine Kinder, und auch an mich, Tantchen, um unsertwillen suche zu vergessen!“

„Vergessen?“ fuhr Frau Hellwig auf. „Niemals! Dafür hat man Charakter, welcher leider der jüngern Welt immer mehr abhanden kömmt,“ – ein vernichtender Blick streifte ihren auf- und abwandelnden Sohn. – „Die Schmach eines erlittenen Unrechts geht mir in Blut und Nerven über – ich kann’s nicht verwinden. … Wie magst Du mir nur mit solchen abgedroschenen Phrasen kommen! Du bist doch manchmal entsetzlich oberflächlich, Adele!“

Das Gesicht der Regierungsräthin verfärbte sich, ein trotzig herber Zug erschien um ihren Mund, und die Tasse, die sie Frau Hellwig hinreichte, klirrte in ihrer Hand, aber sie besaß doch Selbstbeherrschung genug, um die malitiöse Antwort, die sich unverkennbar auf ihre Lippen drängte, zu unterdrücken.

„Den Vorwurf verdiene ich ganz gewiß nicht,“ sagte sie nach einem augenblicklichen Schweigen sehr sanft. „Niemand kann sich diese Abscheulichkeit mehr zu Herzen nehmen, als ich. Nicht allein, daß ich für dich, liebe Tante, und die beiden Vettern den pecuniären Verlust beklage – es ist für das weibliche Gemüth auch stets ein bitterer Schmerz, wenn es der moralischen Versunkenheit begegnen muß … Da hat diese alte, tückische Person unter dem Dach ihr halbes Leben lang darüber nachgedacht, wie sie wohl ihre nächsten Verwandten am empfindlichsten kränkt. Sie ist aus der Welt gegangen, unversöhnt mit Gott und den Menschen, und ein Sündenregister auf der Seele, das ihr den Himmel verschließen muß auf ewig – schrecklich! … Lieber Johannes, darf ich dir eine Tasse Kaffe einschenken?“

„Ich danke,“ antwortete der Professor kurz und setzte seinen Weg fort.

Felicitas’ Händen war die Arbeit entfallen. Sie lauschte athemlos den Worten des verleumderischen Mundes da drinnen. Wohl wußte sie durch Heinrich, daß die Welt hart und verdammend über die geheimnißvolle alte Mamsell urtheilte; aber es geschah zum ersten Mal, daß sie selbst Zeugin eines solchen Ausspruchs war. … Wie schoß ihr das Blut siedend nach den Schläfen! Jedes Wort traf ihr Herz wie ein Messerstich – das waren Schmerzen, die sie um die Todte litt, schneidender noch, als das Trennungsweh selbst!

„Inwiefern die alte Dame gesündigt hat, weiß ich nicht,“ meinte der Rechtsanwalt. „Uebrigens, nach Allem, was ich höre, kann ihr Niemand etwas Positives nachweisen – die Klatschchronik unserer guten Stadt begnügt sich mit dunklen Ueberlieferungen… Ihr Nachlaß dagegen beweist unzweifelhaft, daß sie eine originelle Frau von ungewöhnlichem Geist gewesen sein muß.“

Frau Hellwig lachte höhnisch auf und wandte dem kühnen Vertheidiger verachtungsvoll den Rücken.

„Mein bester Herr Rechtsanwalt, es ist die Aufgabe Ihres Berufs, die schwärzesten Vergehen weiß zu waschen, und da, wo bereits die gesammte Welt mit Recht verdammt hat, noch Engelsunschuld zu finden – von dem Standpunkt aus läßt sich Ihr Urtheil begreifen,“ sagte die Regierungsräthin unbeschreiblich malitiös. „Ich kenne dagegen ein anderes, das mir – verzeihen Sie – ungleich maßgebender ist – Papa hat sie gekannt. Ein Starrkopf ohne Gleichen, hat sie ihren Vater buchstäblich zu Tode geärgert. Wie gleichgültig sie ferner gegen ihren guten Ruf gewesen ist, beweist ihr scandalöser Aufenthalt in Leipzig, und mit dem ungewöhnlichen Geist, wie Sie ihn nennen, ist sie auf die entsetzlichsten Abwege gerathen – sie war ein Freigeist, eine Gottesleugnerin.“ –

In diesem Augenblick sprang Felicitas empor und trat auf die Schwelle der Salonthür. Die Rechte gebieterisch ausgestreckt, das sonst so bleiche Gesicht mit einer glühenden Röthe übergossen, stand sie dort, schön und zürnend wie ein Racheengel. Die rosigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_514.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)