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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

kein Recht einräumen – im Umgang mit solchen Bevorzugten wird und muß Ihnen früher oder später der bedauernde Gedanke kommen, daß Sie viel, sehr viel für mich aufgegeben haben.“

„Das heißt also mit anderen Worten: Wenn ich Sie besitzen will, dann muß ich entweder meinen Wirkungskreis aufgeben und in einer Einöde leben, oder irgend einen Flecken, einen unwürdigen Moment aus der Vergangenheit meiner Familie aufzufinden suchen!“ rief er gereizt und bitter.

Eine jähe Röthe stieg bei seinen letzten Worten in das Gesicht des jungen Mädchens. Unwillkürlich glitt ihre Hand über die Falten ihres Kleides und befühlte die scharfen Ecken des grauen Kastens, ob er auch sicher sei in seinem Versteck.

Der Professor durchmaß in unbeschreiblicher Aufregung das Zimmer.

„Das trotzige, unbeugsame Element in Ihrem Charakter hat mir bereits viel zu schaffen gemacht,“ fuhr er in demselben Ton fort, indem er vor Felicitas stehen blieb, „es zieht mich an und erbittert mich zugleich; in diesem Augenblick jedoch, wo Sie mit rauher Consequenz mir meine Liebe vor die Füße werfen und sich selbst zu einem so unnützen Opfer verurtheilen, fühle ich geradezu eine Art Haß, einen wilden Ingrimm – ich könnte es zertreten! … Ich sehe ein, daß ich für jetzt nicht um einen Schritt weiter mit Ihnen komme – aber Sie aufgeben, daran denkt meine Seele nicht! … Ihre Versicherung, daß Sie mich lieben, ist für mich ein unverbrüchlicher Schwur – Sie werden mir niemals treulos werden, Felicitas!“

„Nein,“ versetzte sie rasch, und wohl gegen ihren Willen brach abermals ein voller Strahl der Liebe aus ihren Augen.

Der Professor legte seine Hand auf den Scheitel des jungen Mädchens, bog ihren Kopf leicht zurück und sah ihr mit einem Gemisch von Schmerz, Groll und Leidenschaft in das Gesicht. … Er schüttelte leise den Kopf, als unter diesem beschwörenden Blick ihre Wimpern sich tief auf die Wangen legten und die Lippen festgeschlossen blieben – ein tiefer Seufzer hob seine Brust.

„Nun, da gehen Sie!“ sagte er gepreßt und tonlos. „Ich willige in eine vorläufige Trennung, aber nur unter der Bedingung, daß ich Sie öfter sehen darf, wo Sie auch sein mögen, und daß ein schriftlicher Verkehr zwischen uns bleibt.“

Sie schalt sich innerlich unsäglich schwach, daß sie ihm zusagend die Hand hinreichte, doch ihm diesen Trost zu nehmen vermochte sie nicht. … Er wandte sich rasch ab, und sie trat hinaus in den Vorsaal.


26.

Draußen streckte sie in namenloser Qual unwillkürlich die Arme gen Himmel. Wie hatte sie gelitten in den letzten Augenblicken, die an Bitterkeit und Schmerzen Alles hinter sich ließen, was dies junge, schwergeprüfte Herz bereits hatte durchkämpfen müssen!

Sie zog wie unbewußt den kleinen Kasten. hervor – das Geheimniß da drinnen zertrümmerte sofort die Schranke, die sich zwischen ihr und dem geliebten Mann aufthürmte, es fiel schwer in die Wagschale ihrer verachteten Herkunft gegenüber – kam der Versucher nochmals über sie? Nein, Tante Cordula, dein Wille soll geschehen, so glänzend auch dies Buch dich rechtfertigt! … Und er? … Ihn wird die Zeit heilen; der Schmerz der Entsagung heiligt die Seele – die Mitwissenschaft eines Verbrechens aber erniedrigt und lähmt sie für immer. … Noch in dieser Stunde sollte dies kleine, unheilvolle Buch zu Asche werden! Felicitas sah noch einmal nach der Thür zurück, hinter welcher sie den Professor rastlos auf- und abgehen hörte, dann glitt sie die Mansardentreppe hinab und öffnete geräuschlos die gemalte Thür.

Den Wanderer, der ahnungslos auf den grauenvollen Leib einer Schlange tritt und plötzlich das furchtbare Haupt der Gereizten vor sich aufbäumen sieht, ihn kann kein größeres Entsetzen packen, als Felicitas in dem Augenblick empfand, wo sie in den Corridor heraustrat. Fünf Finger legten sich mit raschem Griff wie Eisen um ihre Linke, die noch den Kasten hielt, und dicht neben ihrem Gesicht funkelten zwei Augen in einem grünlichen Licht – es waren die süßen, sanften Madonnenaugen der Regierungsräthin.

Das schöne Weib hatte in diesem Moment den bestrickenden Zauber weiblicher Anmuth und Zartheit völlig abgestreift – wie konnten diese rosigen, im Gebet so weich und graciös sich verschlingenden Hände derb und energisch zugreifen und festhalten! Welcher Ausdruck satanischer Bosheit lag in diesem Engelsangesicht und verzerrte die kindlich weichen Linien bis zur Unkenntlichkeit!

„Das trifft sich ja charmant, schöne, stolze Caroline, daß ich Ihnen gerade begegnen muß in dem Augenblick, wo Sie dies allerliebste Schmuckkästchen in Sicherheit bringen wollen!“ rief sie hohnlachend und legte rasch auch noch ihre Linke wie einen Schraubstock auf die Hand des Mädchens, das sich loszureißen suchte. „Haben Sie die Freundlichkeit, diesen unglücklichen, kleinen Verräther da noch ein wenig in der Hand zu behalten – es liegt mir durchaus nicht daran, daß Sie ihn fallen lassen. … Nur noch einen Moment Geduld; ich brauche einen Zeugen, um vor Gericht beweisen zu können, daß ich die Diebin auf frischer That ertappt habe – Johannes, Johannes!“

Wie klang es schrill und kreischend durch den Corridor, das sonst so silberreine, in Erbarmen und christlicher Milde hinschmelzende Organ der jungen Wittwe!

„Ich bitte Sie um Gotteswillen, lassen Sie mich los, gnädige Frau!“ bat Felicitas in Todesangst, während sie mit ihr rang.

„Nicht um die Welt! Er soll sehen, wen er heute an seine Seite gestellt hat. … Es war wohl recht süß, zu hören: ‚Hier ist Ihr Platz‘? Sie glaubten sich am Ziel, Sie ehrlose Kokette, aber ich bin auch noch da!“

Sie wiederholte ihren Hülferuf – es war unnöthig; der Professor kam bereits die Treppe herab und trat in die Thür, zu gleicher Zeit erschien Heinrich am anderen Ende des Corridors.

„Ach, da oben warst Du, Johannes?“ rief die Regierungsräthin. „Ich glaubte Dich hier unten im zweiten Stock. In dem Fall ist ja die Kunst dieser jungen Taschenspielerstochter um so mehr zu bewundern, als sie Dir das Erbtheil der seligen Tante so zu sagen unter der Hand wegescamotirt hat!“

„Bist Du von Sinnen, Adele?“ rief er rasch, die letzte Stufe verlassend, von wo aus er erstaunt die unbegreifliche Scene überblickt hatte.

„Ganz und gar nicht!“ klang es ironisch zurück. „Halte mich nicht für gewaltthätig, lieber Vetter, weil ich nothgedrungen das Amt eines Häschers übernehmen mußte. Aber der Herr Rechtsanwalt Frank verweigerte mir indignirt seine Hülfe bei Entdeckung des Silberdiebes, Du selbst nahmst diese Unschuld hier unter Deine Flügel – was blieb mir da anderes übrig, als eigenmächtig zu handeln? Du siehst diese fünf Finger hier, sie umklammern den Kasten, den sie von da oben herabgetragen haben – diese Thatsache wäre constatirt, und nun wollen wir sehen, was die Elster in ihr Nest tragen wollte!“

Sie riß mit Blitzesschnelle den Kasten aus Felicitas’ Hand. Das junge Mädchen stieß einen Schrei aus und haschte angstvoll nach dem entrissenen Geheimniß, allein die Regierungsräthin flog auflachend mit dem Raub einige Schritte tiefer in den Corridor und hob in fieberhafter Hast den Deckel ab.

„Ein Buch!“ murmelte sie bestürzt – Kasten und Deckel fielen zur Erde. Sie nahm den Einband mit beiden Händen, schüttelte das Buch heftig hin und her und ließ die Blätter von einander klaffen – es sollten und mußten doch wenigstens Banknoten oder Documente, oder irgend etwas Werthvolles herausfallen – nichts von Alledem!

Unterdeß hatte sich Felicitas von ihrem tödtlichen Schrecken erholt. Sie ging der Dame nach und verlangte mit ernsten Worten das Buch zurück; aber bei aller scheinbaren äußeren Ruhe hörte man doch die innere Angst deutlich an ihrer Stimme.

„So – meinen Sie wirklich?“ rief die junge Wittwe hämisch und drehte ihr, das Buch fest an ihre Brust drückend, gewandt den Rücken zu. „Sie sehen mir viel zu ängstlich aus, als daß ich meinen Verdacht sofort aufgeben sollte,“ fuhr sie fort, indem sie den Kopf verächtlich über die Schulter nach dem jungen Mädchen zurückbog. „Irgend eine Bewandtniß muß es mit dieser Geheimthuerei haben – lassen Sie uns einmal sehen, meine Kleine!“

Sie schlug das Buch auf – es waren keine Banknoten, keine Kostbarkeiten, die auf dem gelb gewordenen Blatt da lagen – nur Worte, zart und anmuthig geschriebene Worte; aber wenn plötzlich aus diesem häßlichen Büchlein ein Dolch nach der Brust der jungen Wittwe gezückt worden wäre, sie hätte nicht entsetzter und fassungsloser zurückschrecken können, als bei dem augenblicklichen Ueberfliegen dieser so harmlos aussehenden, über die aufgeschlagene Seite hingestreuten kleinen Worte! Das rosige Gesicht wurde weiß bis in die Lippen, sie legte instinctmäßig die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_547.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)