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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

dazu sah der feingemeißelte, sehr kleine Kopf mit dem kurzgeschorenen braunen Haar zu jung aus. In diesem Augenblick spielte freilich um die schmalen, dünnen Lippen ein verbindliches Lächeln, mit welchem er sich zu dem Professor hinüberneigte, aber das schöne, scharfgeschnittene Gesicht mit dem gelblich bleichen Teint war offenbar mehr geübt im Ausdruck herrischer Strenge, als in dem der Güte und des Wohlwollens.

Felicitas strich mit bebenden Händen glättend über ihr Haar und trat in das Zimmer, nachdem die Köchin den Kaffee hereingetragen hatte. Die Anwesenden standen sämmtlich in der einen großen Fensternische und wandten der leise Eintretenden den Rücken. Sie füllte geräuschlos die Tassen, nahm das Kaffeebrett und bot es mit einigen Worten dem Fremden – er drehte sich jäh um bei dem Klang ihrer Stimme, taumelte aber sofort zurück, als habe ein heftiger Schlag sein erbleichendes Gesicht getroffen, während das entsetzte Auge über die Mädchengestalt irrte.

„Meta!“ stieß er hervor.

„Meta von Hirschsprung war meine Mutter,“ sagte das junge Mädchen mit ihrer tiefen, melodischen Stimme scheinbar sehr ruhig, setzte aber das Brett auf einen Tisch, weil die Tassen bedenklich zu klirren begannen.

„Ihre Mutter? – Ich wußte nicht, daß sie ein Kind hinterlassen hat,“ murmelte Herr von Hirschsprung, indem er Herr seines Schreckens zu werden suchte.

Felicitas lächelte bitter und verächtlich – theilweise wohl über die eigene Schwäche, mit der sie sich, trotz aller guten Vorsätze, hatte hinreißen lassen, diesem Manne gegenüber ihre Abkunft einzugestehen. In seine schreckensvolle Ueberraschung mischte sich auch nicht ein Laut der Liebe oder des schmerzlichen Mitleids – sie fühlte sofort, daß sie eine Reihe von Demüthigungen für sich heraufbeschworen hatte, sie mußte sie nun erleiden und hinnehmen in Gegenwart der Umstehenden, die, lautlos vor Erstaunen und Verwunderung, der weiteren Entwickelung des merkwürdigen Vorgangs harrten.

Mittlerweile wich die Bestürzung des Herrn von Hirschsprung, aber nur um einer peinlichen Verlegenheit Platz zu machen. Er strich sich mit der Hand über die Augen und sagte leise und stockend: „Ja, ja, ganz recht, diese kleine Stadt X. war es ja, wo die Nemesis die Unglückliche ereilt hat – eine furchtbare, aber leider gerechte Nemesis!“

Es hatte den Anschein, als kehre ihm mit diesem Ausruf die volle Gewalt über sich selbst zurück. Er richtete sich in seiner ganzen Länge auf und sagte mit der vornehmen Leichtigkeit des vollendeten Cavaliers zu den Umstehenden: „Ah Pardon, wenn ich mich durch einen augenblicklichen Eindruck hinreißen ließ, zu vergessen, daß ich mich in Gesellschaft befinde! … Aber ich glaubte ein Familiendrama für alle Zeiten abgeschlossen und begraben, und nun tritt mir hier ein ungeahntes Nachspiel entgegen! … Sie sind also eine Tochter des Taschenspielers d’Orlowsky?“ wandte er sich an Felicitas, sichtlich bemüht, seiner Stimme einen Anflug von Wohlwollen zu geben.

„Ja,“ versetzte sie kurz und stand ebenso hoch aufgerichtet ihm gegenüber. In diesem Moment trat die Familienähnlichkeit zwischen den beiden Gestalten scharf und schlagend hervor. Stolz war der vorherrschende Ausdruck in diesen edelschönen Linien, wenn er auch auf einer vielleicht grundverschiedenen Anschauungsweise beruhte.

„Ihr Vater hat Sie nach dem Tode seiner Frau in X. zurückgelassen? Sie sind hier aufgewachsen?“ frug er weiter, unverkennbar betroffen durch die imposante Haltung des Mädchens.

„Ja.“

„Dem Mann ist freilich nicht viel Zeit verblieben, für Sie zu sorgen – so viel ich mich erinnere, ist er ja wohl vor acht oder neun Jahren in Hamburg am Nervenfieber verstorben?“

(Schluß folgt.)




Das Wunder des blutenden Brodes und der blutenden Hostien.
I.


Am 13. August wurden mir Kartoffeln zur Untersuchung übergeben, welche auf ihrer Oberfläche mit zahlreichen rothen Flecken bedeckt waren. Die Kartoffeln waren Sonntag, den 11. August, Mittags gekocht und bis Dienstag, den 13., Morgens im geschälten Zustand in der Küche eines Hauses der inneren Stadt aufbewahrt worden; sie bildeten den Rest einer Mahlzeit und erregten natürlich wegen ihrer auffallenden Färbung Besorgniß bei den Personen, welche am Sonntag von den damals noch ungefärbten Kartoffeln gegessen hatten. Es lag hier offenbar eine ähnliche Erscheinung vor, wie sie sich zu verschiedenen Zeiten auf den sogenannten blutenden Hostien, dem blutenden Brode und der rothen behexten Milch gezeigt hat. Da diese Erscheinung selten auftritt und bisher nur einige Mal Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung war, so benutzte ich das mir dargebotene Material zu einer mikroskopisch-chemischen Untersuchung, deren Resultate mit den Beobachtungen von Prof. Ehrenberg und Dr. Erdmann in Berlin über diese Färbung völlig übereinstimmen.

Das Prodigium (Wunder) des blutenden Brodes oder der blutenden Hostien (so findet man diese Erscheinung gewöhnlich in Chroniken bezeichnet) hat zu allen Zeiten, in denen es beobachtet wurde, das größte Aufsehen erregt. Ich glaube deshalb, daß es nicht ohne Interesse sein wird, wenn ich im Nachfolgenden wenigstens das Wesentlichste meiner Beobachtungen über den hiesigen Fall mittheile und daran in einer zweiten Mittheilung einige historische Angaben über dieses Phänomen knüpfe.

Die Kartoffeln zeigten, als ich sie erhielt, an verschiedenen Stellen der Oberfläche eine rothe schmierige Masse. Als ich sie lose bedeckt, etwas angefeuchtet und vor dem Einfluß des directen Sonnenlichtes geschützt (im Laboratorium bei achtzehn Grad R.) stehen ließ, waren sie nach acht Stunden auf der ganzen Oberfläche mit dieser rothen Substanz überzogen. Sie verbreiteten während dieser Zeit einen erdbeerähnlichen Geruch, der aber schon am andern Tage durch einen widerlichen Fäulnißgeruch verdrängt wurde. Unter dem Mikroskop zeigte sich bei dreihundertmaliger Vergrößerung, daß die rothe Masse aus einzelnen rundlichen Körperchen besteht, die ungefähr halb so groß sind wie die Blutkörperchen im menschlichen Blute. Bei achthundert- bis eintausendmaliger Vergrößerung erkannte man aber deutlich, daß die Färbung eine thierisch-belebte ist; die Körperchen erscheinen alsdann ungefähr eine Achtel Linie groß, sie haben ellipsoidische Form, sind farblos, zerstreuen sich, in Wasser gebracht, sogleich und bewegen sich darin auf das Lebhafteste nach allen Richtungen. Erwärmt man das Objectgläschen, so werden die Thierchen getödtet und es hört augenblicklich alle Bewegung auf.

Ueberträgt man die geringste Menge der rothen Substanz, nur so viel z. B. wie an einer Nadelspitze hängen bleibt, auf andere Nahrungsmittel, so entwickeln sich die Thierchen auf diesen Stoffen weiter, und es ist mir durch solche Impfungen gelungen, die Färbung auf verschiedenen gekochten Fleischsorten, gekochten Kartoffeln, auf Semmeln, Mehl (Oblaten), Reisbrei, Bohnen, Birnen und Käse in ausgezeichneter Weise hervorzurufen. Aber auch ohne Impfung entwickelt sich die Färbung auf den genannten Substanzen, wenn dieselben in die Nähe von schon gerötheten Speisen gebracht werden. Es beweist dies, daß diese kleinen Geschöpfe durch die Luft verschleppt werden, ebenso wie es mit Tausenden anderer Infusionsthierchen und Sporen oder Keimen niederer Pflanzen der Fall ist, deren Existenz wir im Luftmeere nachweisen können. Finden dieselben, von irgend einem Infectionsheerd zu uns gebracht, an dem Ort, an welchem sie zufällig niederfallen, die geeigneten Bedingungen zu ihrem Leben, so schreitet ihre Vermehrung in wahrhaft unglaublicher Weise fort. Es erscheinen alsdann auf dem inficirten Körper sehr kleine Pünktchen, die schon im allerkleinsten Zustand intensiv roth sind und kleinen Thautröpfchen gleichen. Zuweilen sind sie vereinzelt und sehen dann fast Fischrogen ähnlich, oft fließen sie schnell in lange und breite Flächen zusammen, die alle Schattirungen in Roth zeigen, namentlich prachtvoll purpur- und blutroth gefärbt sind. Dieser rothe Ueberzug ist schmierig, glänzend und entwickelte sich bei meinen Versuchen in einigen Fällen bis zu einer Linie Dicke, so daß man bei dem Anblick lebhaft an Blutstropfen erinnert wird. Nach einigen Tagen finden sich dann Schimmelfasern. Der Schimmel und das Thier streiten um die Plätze, eins entwickelt sich auf Kosten des andern, zuletzt überwiegt der Schimmel. Nicht selten, sagt Ehrenberg, wächst der orangenrothe Schimmel ebenfalls gleichzeitig. In einzelnen Fällen beobachtete ich auch das Auftreten einer intensiv blauen Färbung. Endlich verblaßt die Farbe, der Fäulnißgeruch wird immer stärker, die Speisen fangen an zu zerlaufen und es tritt dann völlige Entfärbung ein. Befeuchtet man aber die heller roth gewordenen Stellen mit einer Säure, z. B. mit Essig- oder Salzsäure, so tritt die ursprüngliche schöne rothe Farbe wieder hervor. Trocknet man einen Körper während der Zeit seiner schönsten Färbung, so schreitet die Veränderung nicht weiter fort. Ehrenberg hat mit solchen gerötheten Stoffen, welche bei sehr gelinder Wärme getrocknet worden waren, öfters noch nach Jahren gelungene Impfversuche machen können. Plötzlich aber, besonders bei Eintritt von Kälte, hört nach Ehrenberg ihre Fortpflanzungsfähigkeit auf.

Die Hauptbedingungen zur Vermehrung dieser Thierchen sind: 1) Gegenwart eiweißhaltiger Substanzen, wie sie in größter Menge im Fleisch, in kleinerer Quantität im Mehl und anderen Nahrungsmitteln vorhanden sind, 2) ein gehöriger Grad von Feuchtigkeit dieser Substanzen und 3) mäßige Wärme. Bei Sciroccowind zeigte sich die Erscheinung in Padua 1819 ganz besonders schön. Directes Sonnenlicht wirkt nicht günstig auf die Entwickelung der Thiere, in halbdunkeln Räumen sah ich sie viel besser gedeihen, als in hellen. Auch scheint stagnirende Luft vortheilhafter für ihre Entwickelung zu sein als freie, bewegte Luft. Sind alle die günstigen Bedingungen vorhanden, so entwickeln sich die Thiere so rasch, daß z. B. eine Kartoffel von mittlerer Größe nach geschehener Impfung im Verlauf von achtzehn Stunden völlig mit einem dicken rothen Ueberzug bedeckt ist. Ja bei Aufbewahrung mehrerer solcher gerötheter Körper in einem geschlossenen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_591.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)