Seite:Die Gartenlaube (1867) 611.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

rothen Nasen an, daß Du fleißig Stein gehoben hast … es kann Dir nit schaden, wenn Du ein Bissel marschiren und ausdampfen kannst.“

Mit kräftigem Schwung hob er das schwere langstielige Holzbeil, das sein Begleiter war, über die Schulter, warf die Joppe darüber und schritt dem Walde zu; wie auf Befehl folgten die Andern, der Weißbart mit, obwohl er es nicht lassen konnte, vor sich hin zu brummen und zu gesticuliren. Bald war es an der Kreuzstraße so einsam, als es vorher belebt gewesen; nur Metzger Staudinger und der fromme Holzhändler blieben bei der Mahlzeit zurück, welche der Wirth eben aufzutischen begann, während er den Fortgehenden nachrief, auf dem Rückwege doch wieder einzukehren und noch eine „Unterleg“ zu machen, und dabei auf Franzi die säumige Kellnerin schmähte, die nirgends zu sehen war und ihm Bedienung und Arbeit allein überließ.

Auch der Nußbichler hatte sich aus dem Winkel, in den er sich verkrochen, aufgerafft und wankte in bescheidner Entfernung den Bauern nach, dem Walde zu.

Bald hatten die rüstig ausschreitenden Männer den neu bezeichneten Treffungspunkt erreicht.

Es war ein schmales, von üppigem Alpen-Graswuchs bedecktes Waldthälchen, an beiden Seiten von schroffen schwarzgrauen Felswänden eingefaßt, über welche ein abschüssiger Steig herunterführte, nicht breiter, als daß Mann für Mann hinter einander niederklettern konnte. In der Mitte, nur von ein paar roh behauenen Baumstämmen überbrückt, vertiefte sich ein neuer Einschnitt in das Gestein: das Rinnsal eines Wildbachs, der in der Urzeit die Schlucht ausgewühlt, nun aber sich ein zweites noch tieferes Bett gegraben hatte, in welchem er dumpf aufrauschend und mit weißschäumenden Sturzwellen dahin schoß. In einer leichten Ausbiegung des Thals war das Steingeschröfe nach unten zu wie ausgehöhlt, nach der Höhe hin wie überhangend; vor einigen Jahrzehnten war ein Theil der gelockerten Felsen herabgestürzt und lag nun in reizender Unordnung durcheinander gestreut. Die kleinern Trümmer waren unter Riedgras und rankendem Brombeergesträuch zierlich versteckt, die größern hatten sich mit dichten grünschwellenden Moosdecken überzogen, daß sie wie ebenso viele Ruhesitze aussahen. Dazwischen hob hier und da eine jung angeflogene Tanne den dunklen Zackenwipfel empor, und in der Nähe der Wand hatte ein vielleicht von einem nistenden Vogel vertragenes Samenkorn einer Buche den anmuthig kühlen Standort gefunden, so daß über das größte Felsstück das grüne Laubdach sich wie ein künstlich gespanntes Zelt ausbreitete, während der graue flechtenbewachsene Stamm des Baumes sich als bequeme Rücklehne darbot. Gegenüber, nach der Seite zu, öffnete sich dem Blicke die verengerte Felsschlucht, in deren Hintergrunde, wie in einer Klamm zusammengepreßt, der Wildbach von Steinstufe zu Steinstufe heruntergesprungen kam. Sträucher und grüne Baumwipfel neigten sich wie der Erfrischung begehrend in den kühlen Spalt herab und herein; drüber aber stieg ein gewaltiges Berghaupt mit eisbedecktem Scheitel empor, wie das vom Ernste des Lebens gefurchte und versteinte, doch mit dem Silberkranze ruhiger Weisheit gekrönte Angesicht eines treuen fürsichtigen Greises, der hütend und wachend hereinblickt in die wunderbare weltflüchtige Einsamkeit.

Das anmuthige Landschaftsbild war von einer nicht minder hübschen Staffage belebt. Auf dem moosigen Hauptfelsstück unter der Buche war ein blüthenweißes Tuch wie über einen Tisch ausgebreitet; Tassen, Kannen und Teller standen darauf und zeigten, daß eine feine gewandte Hand es wohl verstanden, bei Bereitung des Nachmittagkaffees das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. An der einen Seite des Felsens saß eine junge Dame in modisch-feinem Anzuge, der wohl besser in einen Gesellschaftssaal als in die Waldwildniß gepaßt hätte, so sehr auch der Feldblumenstrauß auf dem kleinen Hütchen und die Schürzung des Kleides zeigten, daß die Trägerin es darauf abgesehen hatte, der städtischen Toilette einen ländlichen Anhauch zu geben. Sie hatte eine breite Mappe auf dem Schooße aufgeschlagen und war eben beschäftigt, mit kunstgeübten Strichen das hübsche Waldbild vor ihr nachzuzeichnen. Gegenüber saß ein Mann in ausgesuchter grüner Jägertracht, vornehm nachlässig an den Buchenstamm gelehnt und den Ringelwölkchen einer Havannacigarre nachblickend, welche in der regungslosen Luft langsam emporstiegen und nur zögernd verflatterten. Er schien aufmerksam der Rede eines ehrerbietig neben ihm stehenden Bauers zuzuhören; nur manchmal fuhr er mit der feinen reich beringten Hand über die kahle, den Lebemann verrathende Stirn oder strich sich die breiten röthlichen Flügel des sorgsam gepflegten Bartes in die Höhe.

„Da haben wir den Teufel schon,“ sagte der Grubhofer, als er mit seinen Gefährten zuvörderst auf der Höhe des Felsensteiges angekommen war. „Da steht der Finkenzeller, der alte Feinspinner, richtig schon neben dem Amtmann und red’t und disputirt in ihn hinein, als wenn er sich davon nähren müßt’! … Aber das muß man sagen, verstehen thut’s der gestrenge Herr, wie man sich’s commod’ macht, daß Ein’ das Warten nit verdrießt.“

Unter solchen und ähnlichen Gesprächen kamen sie im Thale an und stellten sich mit ehrerbietig entblößten Köpfen in der Nähe des Amtmanns auf; der Finkenzeller trat zu den übrigen Westerbrunnern, die in einiger Entfernung im Grase gelagert gewesen waren. „So, da wären wir halt jetzt,“ sagte der Grubhofer, der vorangeschoben worden, „wir machen unser Befehl (Empfehlung), g’streng’ Herr!“

„Wer ist man?“ fragte der Beamte mit flüchtigem Seitenblick leicht die Cigarre absetzend.

„Wir sind die Vollmächtigen von der Osterbrunner Gemeind’ und wir wären halt da von wegen unsres Handels mit den Westerbrunnern und wegen …“

„Seid Ihr der Vorsteher?“ unterbrach ihn der Amtmann.

„Nein. Der Vorsteher ist gestorben und der neue ist noch nit gewählt, und der Pfleger hat sich einen Eggenspitz in’ Fuß eingetreten und kann nit von der Liegerstatt … da sind wir halt miteinander her, wir Vollmächtigen und haben ’denkt, wir werden’s wohl auch ohne Vorsteher und Pfleger ausmachen können…“

„Ihr seid lang ausgeblieben,“ rief der Amtmann, „ich bin es nicht gewohnt, daß man mich warten läßt; an Euch, an den Unterthanen ist es, auf das Amt zu warten.“

„Aber wir haben ja …“ wollte der Alte erwidern, konnte aber seinen Satz nicht zu Ende bringen, da ihm der Amtmann unwillig dazwischen fuhr.

„Schweigt,“ rief er, „ich will keine Ausflüchte hören! Ich habe schon in Erfahrung gebracht, daß bei Euch Osterbrunnern die Ordnung fehlt in der Gemeinde und die Zucht – ich werde aber sorgen, daß das anders wird: ich werde sogleich die Nachwahl anordnen und sorgen, daß Ihr einen Vorsteher bekommt, der widerspenstige Köpfe nieder zu halten versteht.“

Die Osterbrunner standen betroffen da, sahen sich mit verlegenen Mienen an und ließen die Hüte in den Händen tanzen. Der Grubhofer schien sich den Schnauzbart ausreißen zu wollen; dem Aichbauer war die Röthe über’s Gesicht geflogen, er wollte eben erwidernd vortreten, als ihm der Grubhofer noch zuvor kam.

„Das hat Ihnen kein aufrichtiger Freund gesagt, gestrenger Herr!“ rief er. „In der Osterbrunner Gemein’ ist es alleweil ordentlich hergegangen und richtig, wir lassen uns finden darum, wo bei uns eine Unordnung sein soll! G’streng’ Herr müssen nit Jedem glauben, der Ihnen das Maul macht, und keinem Westerbrunner schon gar nit! Wir haben’s schon geseh’n, wie der Finkenzeller in Sie hinein discurirt hat, aber wenn er so was gesagt hat, hat er’s gelogen… Die Westerbrunner sind uns spinnefeind, das weiß ich schon von meinem Vater her…“

„Weil Ihr Osterbrunner es uns immer darnach gemacht habt!“ rief der Finkenzeller entgegen, der eilig mit seinen Gemeindegenossen herzu trat und sich mit ihnen gegenüber stellte. „Wir haben Euch nie was zu Leid gethan, das weiß ich auch von meinem Vater her – wir haben uns immer nur gewehrt gegen Euch!“

„Gelogen, wer das sagt!“ schrie der Grubhofer entgegen. „Die Westerbrunner sind’s gewesen, welche die ganze Feindschaft angefangen und uns Alles zum Tort gethan haben, was sie nur haben ausstudiren können. So ist’s gewesen, seit ich denk’ … aber Ihr sollt nit aufkommen über uns. Wir wehren uns auch, und es müßt’ keine Gerechtigkeit mehr geben im Land, wenn wir nit Recht behalten thäten.“

Der Amtmann hatte die Tasse ergriffen und behaglich einen Zug des kühl gewordenen Mokka geschlürft. „Was sagen Sie dazu, ma mie?“ rief er seiner Frau zu, indem er die Cigarrenasche abstreifte. „Welfen und Ghibellinen in der Joppe – wie finden Sie das?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_611.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)