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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Streifen und über den Stoppeln glänzt der Thau an den Erdspinnengeweben, ein silberner Spiegel der Herbstnacht. In einem Bogen erreichen wir den Wald. Lautlos tritt der Zug in seinen düsteren Dämmer, auf einen Holzweg geräuschlos lenkend. Kein Laut trifft das Ohr, als der Hall unserer Tritte oder zuweilen das Geraschel thaubeschwerten fallenden Laubes oder reifer Eicheln. Tiefer und tiefer schlängelt sich der Pfad in den Wald. Nun wird’s plötzlich heller, vor uns liegt ein ausgehauener Niederwaldschlag. Wie feenhaft heben sich die weißen Birken von dem dunklen Hintergrunde eines Fichtenortes ab und wie magisch empfängt uns die Mondhelle inmitten der Waldnacht! Doch fort geht es auf einem Seitenweg mitten durch den Schlag, der uns plötzlich in die doppelte Nacht des Schwarzwaldes bringt. Ein leiser Schauer überkommt hier selbst den beherztesten Waidmann: denn diese schwarzen, dumpfen Hallen erzeugen eine zweite, tiefere Nacht und selbst den Hall unserer Tritte verschluckt die schwellende Moosdecke unter uns. Hier und da durchbricht ein Strahl des Mondes die schwarze Decke droben, den Pfad vor uns nothdürftig beleuchtend und die Matronen Edeltannen und Fichten mit ihrer langen, die Erde berührenden Gewandung von Flechten, Gezweig und Aesten als geheimnißvolle Riesengestalten vor unsere erregte Phantasie zaubernd. Eben schlägt’s Eins und wir überschreiten den Erlenbach, der uns die Nähe des Dachsbaues kündet. Mit pochendem Herzen und voller Erwartung nähern wir uns demselben. Das Licht der Laterne trifft die erste Röhre. „Waidmannsheil!“ hebt es still in uns an, die Zeichen liegen nach außen, ein Dachs ist ausgegangen. Behutsam und still wird eine zweite, eine dritte beleuchtet – derselbe Anblick, die Zeichen liegen vor den Ausgängen.

Das freudige Ereigniß bricht den Bann, in welchem Erwartung und Spannung uns gehalten, und Zungen und Glieder sind sofort in Bewegung. Das am Morgen schon gesammelte Holz flackert wie durch einen Zauber in lustigen Flammen empor, und flugs ist die alte Feste Grimmbart’s erleuchtet wie am hellen Tage. Die Pfeife wird gezündet und die entstehende Asche des Feuers nimmt bald die mitgenommenen Kartoffeln zum Braten auf, deren Kost mit einem Schluck aus der Flasche doppelt mundet in der innersten Waldnatur hoch auf den Bergen. Jetzt dämmert der Morgen heran und gemahnt uns, mit dem alten Jagdpeter zum Abspüren der umliegenden Nothbaue aufzubrechen. Einer der Rotte bleibt auf dem Bau, um durch seine lärmende Gegenwart das Einfahren irgend eines alten Dachsprakticus, der sich abseit gedrückt haben könnte und auf den Wegzug der Störenfriede harrt, zu verhindern und um ihn endlich hierdurch noch zu veranlassen, in einer Nothröthe „sich zu stecken“. Mehrere derselben sind bereits mit den Dächseln durchspürt; aber auf keinem der „Sommerbaue“ hat sich ein Dachs gesteckt. Plötzlich erschallt von einer Kuppe Jagdpeter’s „Hupp!“ Wir kennen die Bedeutung dieses Waldrufes wohl, und gegenseitig uns durch Rufe leitend, sind wir alsbald um Peter den Langen versammelt, der, in orakelhafter Miene auf einem Felsstück stehend, uns erwartet. Wir harren erwartungsvoll seines Spruches. Statt dessen weist er uns stumm eine feuchte Stelle vor dem Gerölle. Hier spürt sich ein ungemein starker Dachs neben einigen schwächeren. Nun führt uns Peter an eine Röhre hart an einem Felsblocke. Richtig! im feuchten Ausgang spürt sich ganz frisch der starke Dachs: er ist heute Morgen eingefahren.

Wir befragen die Hieroglyphenschrift in Peter’s Gesicht, das uns mit verschmitztem Lächeln die Ruine seines Mundes, den einzigen Vorderzahn, zeigt und die lakonische Antwort ertheilt: „Das Vergißmeinnicht steckt.“ Wir wollen dem geneigten Leser die tiefbedeutsamen Orakelworte Peter’s verdolmetschen. Ein sehr alter, starker „Dachsrüde“ (Männchen) hatte voriges Jahr unserm Alten auf einer Nachtjagd in dem Augenblicke, als er ihm mit der „Dachsgabel“ an das Leben wollte, empfindlich durch die Hosen „geschlagen“ (gebissen) und war dem alten Waldmanne, der in Folge des heftigen Angriffs von Meister Grimmbart in’s Wanken kam, entwischt und zum großen Aerger Peter’s auch obendrein noch in eine unverkeilt gebliebene Röhre des nahen Baues zum Nimmerwiedersehen eingefahren. Zur Erinnerung an den Schlag des Dachses nannte er den Entkommen „das Vergißmeinnicht“.

Als eine flinke Schlieferin und Plänklerin wird nun Waldine gelöst. Flugs ist sie eingeschlüpft und „giebt“ alsbald an einer Stelle zwischen einem Felsblocke und einem Buchenstamme „laut aus“. Da die Jagd auf einer Stelle bleibt, so wird zum „Einschlagen“ zwischen dem Felsen und dem Orte, woher der Laut Waldinens dringt, geschritten. Hacke, Schippe und Schaufel der rüstigen Waldleute fördern bald einen Einschlag von sechs Fuß Länge und vier Fuß Breite zur Tiefe. Immer vernehmlicher dringt der Laut Waldinens herauf. Endlich wird unter der Hacke der Boden besonders fest und trocken, ein Zeichen, daß wir nahe auf einer Röhre sind. Rasch ist Peter im Einschlag und ebenso schnell hat er die Röhre durch einige behutsam geführte Hiebe mit der Hacke bloßgelegt. Sein scharfes Gehör hatte ihn nicht getäuscht: denn gerade hinter Waldine geht der Einschlag hinab. In dem Augenblick aber, als die erste Lücke in der Röhre entsteht, „überrollt“ der Dachs das Hündchen, das heulend zurückweicht und Meister Grimmbart Gelegenheit läßt, durch eine Seitenröhre in die Hauptröhre zu fahren. Behende nimmt jetzt Peter die hart geschlagene Waldine aus der Röhre und „verreisert“ dieselbe, indem er sie mit Schutt und einer Holzwelle verstopft.

Nun kommt die Reihe an Waldmann, den Dachs „festzumachen“. Wohl steht der alte Kämpe an der Leine bereit zu Thaten. In Geduld vernahm er seither das Treiben unter der Erde; nun bekundet die Geberdensprache seiner Ruthe, daß der Augenblick gekommen ist, wo auch er ein Wort mit drein zu sprechen habe. Mit einem selbstbewußten: „Nun d’ran Waldmann! krieg’ Dein Dächschen!“ löst Peter den Dächsel. Dieser, ein väterlicherseits von einem Pommer abstammender Dachshund, prüft nun in der eigenthümlichen Art seiner Spitzpommer-Ahnen ein Weilchen bedächtig und ernst den Ausgang der Hauptröhre gegenüber der Buche. Aber nicht lange, so ist der derbe Rumpf mit der „Kringelruthe“ in der Erde verschwunden. Eine Pause tiefer Stille und hoher Erwartung tritt ein. Waldpeter liegt seine sieben Fuß Länge bereits am Boden auf einem Ohre. Jetzt hebt er die Hand mit ausgerecktem Zeigefinger, das Zeichen, daß er Etwas im Bau vernommen. Gleich darauf dringt auch zu uns am Boden Horchenden der Laut Waldmann’s. Aber noch geht die Jagd unter dumpfem Gepolter hin und her im Baue, denn bald lauter, bald schwächer, jetzt mehr zu Tag, dann mehr in der Tiefe ertönt die Kunde des Hundes. Plötzlich richtet sich Peter auf, seiner Rotte das Lärmsignal gebend. Die Arbeiter ergreifen Hacken und lange Prügel, um damit tüchtig auf den Boden zu schlagen und den Dachs in den Kessel oder einen Winkel des Baues zu treiben. Im Nu erdröhnt die Dachsfeste von den Schlägen der Rotte. Die Wirkung dieser Maßregel ist alsbald auch an dem Lautausgeben Meister Waldmann’s bemerkbar, indem die Jagd immer tiefer in die Erde geht und endlich unter dem Wurzelstock der Buche anhält. Wir vergewissern uns alsbald am Eingang der Hauptröhre, daß der Hund nunmehr in dem vermuthlichen Kessel oder einer Sackröhre unter der Buche fest „vorliegt“. Rüstig geht’s nun an einen zweiten Einschlag, der aber zur Sicherheit, daß eine der zum Kessel führenden Röhren, die eben verreiserte oder die Hauptröhre, von ihm getroffen werde, ziemlich lang und nicht weit von der Buche hinab geführt wird. Die Werkzeuge fördern bald hinab, und in weniger als einer Viertelstunde setzt uns der letzte Schippenstich mit der Unterwelt in Verbindung. Wir haben die Hauptröhre getroffen und den in der Ecke Brummenden und Trommelnden vom Bau gänzlich abgeschnitten. Keine zwei Schritte von der Oeffnung des Einschlags liegt der Hund vor. Unter dem Toben der Jagd hören wir denselben tapfer laut ausgeben, zuweilen aber auch sich beklagen über einen Schlag oder eine Ohrfeige des erbosten Kobolds. Doch mitten in dem bewegten Treiben unter der Erde kommt plötzlich in dem Ausgange der Hauptröhre ganz verstohlen die weiße Blässe eines sichernden Dachses zum Vorschein. Einer von uns aber hat sich über der Röhre schußfertig angestellt und erlegt den Dachs eben, als er aus der Röhre herausfahren will. Inzwischen hat Waldpeter den braven Waldmann bei seinem Rückzuge vor einem wüthenden Angriff von dem gefährlichen und nunmehr nutzlosen Kampf im Kessel an den Läufen glücklich heraus in’s Freie gezogen und den widerstrebenden Helden den Arbeitern übergeben.

Fast folgt nun das aufgeregte Jägergemüth dem heimlichen Zuge einer barbarischen Gewohnheit der Nimrode, den festgemachten Dachs mittelst des Dachshakens oder der Dachszange aus seinem Winkel hervorzuziehen, ihn auch wohl lebendig in eine „Dachshaube“ (Sack) zu treiben, um den Armen daheim in einem Hofe oder einer Scheune einer Hundehatze preiszugeben; – doch das Gefühl der Menschlichkeit ist größer und behauptet in uns sein Recht. Schnell fällt das letzte Bollwerk der Ueberkommenheit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_686.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)