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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

darum hermachen muß, daß nicht im Winter die genäschigen Hasen kommen und fressen die Rinde ab; es ist, als ob es heuer bald einwintern wollte, der Schnee und die Kälte können da sein über Nacht…“

„Ja, ja, es ist merkwürdig,“ sagte der Bauer, „wie’s gehen kann und wie oft in der Geschwindigkeit ’was daher kommt, an das kein Mensch denkt! Wann ich denk’,“ fuhr er bedächtig um sich blickend fort, „daß es noch keine völligen vier Wochen sind, seit wir uns ’troffen haben und bei einander da g’sessen sind, so sollt’ man’s kaum für möglich halten! Wissen Sie’s noch, Herr Lehrer, es ist gerad’ an dem nämlichen Tag gewesen, wie die Waldbegehung hat sein sollen wegen dem Westerbrunner Grenzstreit… Was ist seit der Zeit Alles passirt und was hat sich Alles verändert seitdem! Die schöne Kellnerin, die Franzi, die wir Alle für so brav gehalten haben, hat einen Besuch gekriegt von den Haberfeldtreibern, gegen die sie selbigesmal so aufbegehrt hat; sie ist mit Schimpf und Schand’ davon gejagt worden und seitdem weiß kein Mensch, wo sie hinkommen ist…“

Dem Lehrer war die Pfeife wirklich kalt geworden. „Also ist es dennoch wahr?“ sagte er kopfschüttelnd. „Man hat nichts mehr von ihr gehört?“

„Kein Sterbenswört’l… Die Einen meinen, sie sei fort in ein anderes Land; die Andern meinen gar, sie hätt’ sich ein Leid’s angethan in der Desperation! Du lieber Gott, unmöglich wär’s gerade nit, denn es ist ihr hart genug gegangen, – aber wer hätt’s auch geglaubt, daß sie, die so schön hat thun können, ein solches schlechtes Leut’ sein könnt!“

„Ich glaub’ es immer noch nicht,“ sagte bedächtig der Lehrer, „ich hab’s wohl schon erlebt, daß ein Wildling, den ich oculirt habe, zwei-, dreimal hintereinander nicht hat anschlagen wollen und ist ein Wildling geblieben nach wie vor, aber was einmal ein richtiger Baum ist von einer Edel-Sorten, der kann zu Grunde geh’n, aber er kann nicht aus der Art schlagen und auf einmal anfangen, Holzäpfel zu tragen!“

„Ja ja, das werden Sie wohl am Besten versteh’n, Herr Lehrer!“ nickte zustimmend der Bauer. „Mich soll’s freuen, wenn Sie Recht behalten thäten … aber es ist halt doch einmal bei ihr Haberfeld ’trieben worden und das bringt sie ihrer Lebtag nimmer von sich weg, fürcht’ ich alleweil! Man irrt sich halt diemalen gar stark in den Leuten! Was ist der Herr Waldhauser für ein gesetzter und gottesfürchtiger Mann gewesen! Wer hätt’s von dem für möglich gehalten, daß er unter die Haberer wär’ und hinterm Zaun sterben thät, ohne Beicht und Absolution! … Und das ist noch nicht Alles! Selbigesmal ist ja auch noch der Herr Staudinger dagewesen, der dicke Viehhändler, der immer auf die Franzi seinen Pik gehabt hat, und der Nußbichler Alisi, der Haderlumper, wegen dem es ja eigentlich her’gangen ist!“

„Was ist’s mit diesen Beiden?“ fragte der Lehrer.

„Das wissen Sie nit?“ rief der Alte verwundert. „Bei dem saubern Herr Staudinger ist auch getrieben worden! Hat der Mann alleweil über uns gespöttelt und uns dumme Bauern geschimpft – ja, so gescheidt sind wir freilich nit, daß wir das Fleisch von verrecktem Vieh unter die Würst’ hacken lassen und für ein gutes essen! Der schlechte Mann – aber er hat sein Theil ordentlich ’kriegt und ist auch auf und davon! Er hat sein Haus und Alles zurück gelassen, wie’s geht und steht, und wird sich wohl nit getrauen, seiner Lebtag wieder zu kommen!“

„Vielleicht hat das Vorgefallene sein Gemüth erschüttert – dann hat das Haberfeld immerhin auch etwas Gutes gestiftet!“ meinte der Lehrer.

Der Bauer lachte und kraute sich unter’m Hute. „Dasselbe glaub’ ich kaum,“ sagte er, „ein bissel Erschüttern giebt bei dem nit aus, da müßt schon ein klein’s Erdbeben kommen! Da möcht’ ich noch eher glauben, daß der Nußbichler Alisi noch einmal gescheidt wird und gut thut, wenn’s auch jetzt gar nit den Anschein dazu hat! Den haben s’ jetzt hinter Schloß und Riegel gesetzt, weil er ganz unsinnig worden ist und durchaus sein ehemaliges Güt’l, das jetzt wieder versteigert werden soll, wieder haben möcht’…“

„Daran sehe ich nichts Unsinniges…“

„Freilich nit, Herr; aber sie haben heidenmäßig viel Geld bei ihm gefunden und er kann sich nit ausweisen, woher er es hat, und daß er’s geschenkt bekommen hat, wie er erzählt, das glaubt ihm Niemand – sie meinen halt, er hätt’ es irgendwo mitgeh’n lassen oder hätt’ gar Jemand’ ausgeraubt; darum haben sie ihm das Geld abgenommen, haben ihn eingesperrt und über dem ist er völlig ein Narr’ worden – ein halbeter ist er eh’ schon lang gewesen…“

Wachsendes Geräusch aus der Gaststube unterbrach den Redefluß des Alten.

„Sie rücken die Stühle,“ sagte der Lehrer, „sie scheinen mit der Vorsteherwahl zu Ende zu sein…“

„Wohl möglich,“ erwiderte der Bauer, „da kommt auch schon der Bediente vom Herrn Amtmann und läßt anspannen – sie sind wirklich schon fertig. Ja, die Westerbrunner haben’s leicht, die wählen eben den alten Finkenzeller wieder; da beißt die Maus kein’ Faden ab – aber wie’s jetzt bei uns Osterbrunnern geh’n wird… Sie wissen ja, über acht Tag’ ist die Vorsteherwahl bei uns…“

„So? Ich weiß es nicht – der Herr Amtmann hat dafür gesorgt, daß ich nicht mehr dabei zu functioniren habe; er läßt alle Protokolle von seinem Actuarius schreiben.“

Der Alte sah sich vorsichtig um; als er Niemand in der Nähe gewahrte, fuhr er leiser fort: „Ja, ja, der Herr Amtmann laßt sich nicht umsonst ein’ gestrengen Herrn heißen … aber wenn Sie mich nit verrathen wollen, Herr Lehrer, will ich Ihnen noch was Neues sagen … es soll nimmer so sicher und fest sein mit ihm, wie zu Anfang… Der Bericht wegen dem Waldvergleich und das Haberfeld dazu, die sollen die Herren von der Regierung bös verschmacht haben … es heißt gar, sie wollen einen Commissari schicken, der Alles an Ort und Stelle untersuchen und verhören soll… Da ist er richtig schon!“ rief er abbrechend. „Der hat’s ja heut’ gewaltig eilig – ich will noch geschwind in’s Haus hinein, ich mag ihm nit in die Hand laufen, er ist nit gut zu sprechen auf uns Osterbrunner von wegen der Deputation…“ Er wollte nach dem Hause zurück, aber es war schon zu spät, er mußte an seinem Platze bleiben, denn der Amtmann schritt bereits die Treppe herab, die Uniformmütze auf dem Kopfe und in einen stattlichen Marderpelz gehüllt, über welchen der gestickte Kragen der Amtskleidung emporstand; hinter ihm, den Actenbündel unter’m Arm, den Hut auf dem Kopf, schritt der Actuarius; diesem folgten in weitem Kreise mit entblößten Häuptern nachdrängend die Gemeindemitglieder von Westerbrunn.

Gleichzeitig eilte noch ein Bauer von der Straße her dem Hause zu, eine hohe Gestalt, aber mit nachdenklich gesenktem Haupte, so daß er die Anwesenden nicht eher gewahr wurde, als bis er nahe vor ihnen stand; auch diese, zu sehr mit der Abreise des mächtigen Beamten beschäftigt, bemerkten ihn nicht. Der Amtmann war bereits unten angelangt, während der Kutscher noch vollauf beschäftigt war, die Stränge der Pferde an den Wagen zu knüpfen; der Wirth, der vorausgesprungen war, hatte den Schlag aufgerissen und stand nun in unterwürfiger Haltung daneben, unter’m Arm die zerknitterte Mütze.

„Freiherrliche Gnaden eilen ja heute über die Maßen,“ sagte er mit tiefem Bückling, „es thut mir unendlich leid, daß ich nicht die Ehr’ haben soll über Mittag …“

„Es paßt nicht, Herr Wirth,“ entgegnete der Amtmann kalt, „die Spitzen der Behörden können nicht wohl außerdienstlich in einem Hause verweilen, wo so bedenkliche Dinge vorgehen. Sie werden zu thun haben, bis Sie die Scharte auswetzen und den guten Ruf Ihres Hauses wieder herstellen. … Sie werden es nur können, wenn Sie Anstifter und Theilnehmer des schändlichen Unfuges ermitteln, der auch vor Ihrem Hause verübt wurde. …“

„Aber wie soll ich…“ stammelte der betroffene Wirth.

„Ihre Sache, mein Lieber, nicht die meine,“ erwiderte der Beamte, indem er den Blick leicht im Kreise herum gleiten ließ; er gewahrte den zuletzt Gekommenen, aber keine Miene, nicht ein Zwinkern des Auges verrieth, daß er ihn erblickt. Im ruhigsten Tone sprach er weiter, halb zu den Westerbrunnern zurückgewandt. „Das Amt kann sonst nichts thun, als Andeutungen geben, als leiten, wo man sich leiten lassen will; die Ausführung selbst muß in diesen Zeiten der Selbstregierung den Unterthanen … will sagen, den Staatsangehörigen überlassen bleiben. Es ist immer gut und bequem, sich leiten zu lassen … Ihr Männer von Westerbrunn werdet es erfahren, weil Ihr meinen Andeutungen gefolgt seid und die Persönlichkeit zum Vorsteher gewählt habt, welche dem Amte als die geeignetste erschien! Ihr steht mitten drinnen und seht, so zu sagen, den Wald vor

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_708.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)