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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

auseinander, welche eine freilich als wünschenswerth erkannte nähere Verbindung zwischen Flotte und Volk herbeiführe. Sein Wesen war dabei von so gewinnender Einfachheit und Offenheit, daß ich seine Weigerung vollkommen darüber vergaß.

Damit wird der Leser freilich noch kein rechtes Bild von Jachmann bekommen; zum Glück kann ich indeß noch etwas leisten. Herrn Photograph Brandt in Flensburg begünstigte das Schicksal mehr als mich; er photographirte den Admiral und behielt die Platte für sich, er vermag ein deutlicheres Bild zu liefern als meine Feder; deshalb werde ich der Gartenlaube demnächst diese Photographie übersenden, natürlich hinter dem Rücken des Admirals, der davon kein Wörtchen weiß. Das wird aber die Redaction gewiß nicht abhalten, danach recht bald für das gesammte große Publicum ihres Blattes ein Bildniß herstellen zu lassen. –




Legrenne, der Pariser Zigeuner.
Von Ludwig Kalisch.


Nach der Behauptung des Seine-Präfecten Haußmann besteht die Einwohnerschaft von Paris nicht aus Parisern, sondern aus Nomaden. Diese Behauptung ist nun freilich übertrieben; indessen ist es doch eine unbestreitbare Thatsache, daß in keiner andern Stadt unsers Welttheils die Bevölkerung aus solch’ bunt zusammengewürfelten Elementen besteht, wie in der Hauptstadt Frankreichs. Hier sind alle Nationalitäten, fast alle Schattirungen der Menschenracen vertreten, und Paris hat eine solche unwiderstehliche Assimilationskraft, daß jeder Fremde hier nach einem längeren Aufenthalte sich in einen Pariser verwandelt. Nur eine Race lebt in Paris, auf deren Eigenart die Weltstadt kaum einen Einfluß ausübt, ich meine die Zigeuner. – Als wirkliche Nomaden haben sie eine unüberwindliche Scheu gegen jeden bleibenden Wohnsitz. Sie leben auch nur in Paris während der rauhen Jahreszeit und dann auch nicht in Häusern, sondern in ambulanten Wohnungen.

In einem weiten Hofraum oder vielmehr auf einem Bauplatz in der Avenue de Clichy steht ein alter, von Müll, Kehricht, Steinhaufen und allerlei unnennbarem Gerümpel umgebener Karren. Dieser Karren, der von außen einem kleinen, gebrechlichen Omnibus gleicht, ist die Wohnung einer Zigeunerfamilie. Der Chef derselben heißt Legrenne, ein Siebenziger, der während seines langen Nomadenlebens aller Herren Länder gesehen und so manchen Sturm erlebt hat. Ihm habe ich über das Wesen der Zigeuner manche Aufschlüsse zu verdanken, die ich meinen Lesern mittheilen will.

Während des Winters leben in Paris etwa fünfzig Zigeunerfamilien. Sie treiben verschiedene Handwerke, die keinen festen Wohnsitz erfordern. Sie sind Korbflechter, Kesselflicker, fahrende Musikanten. Einige besuchen die Werkstätten der Maler und Bildhauer, Andere gehen mit Affen und abgerichteten Hunden herum. Sie sind zwar katholisch, aber nur dem Namen nach. Sie besuchen keine Kirche und, die geschäftlichen Beziehungen abgerechnet, verkehren sie überhaupt wenig mit Nichtzigeunern, die sie „Gadshos“ oder „Weiße“ nennen. Unter sich selbst leben sie jedoch in einem innigen Zusammenhang. Sie besuchen sich nicht nur, sondern sie unterstützen sich auch gegenseitig, oder vielmehr sie theilen miteinander. Mit Franzosen sprechen sie französisch, wie sie denn überhaupt die Sprache jedes Landes sprechen, in welchem sie leben; untereinander aber sprechen sie nur die Zigeunersprache, die bekanntlich, wie die Race selbst, hindostanischen Ursprungs ist. Daß im Laufe der Zeit und bei der unstäten Lebensweise der Zigeuner ihre Sprache manche fremde Elemente aufgenommen, ist erklärlich. Die in Deutschland und Ungarn lebenden Zigeuner sprechen am besten, die in Spanien lebenden weniger gut; indessen verstehen sich doch die Zigeuner aller Länder sehr leicht untereinander.

Ihr Familienleben beruht zwar auf keiner gesetzmäßigen Ehe, doch ist die eheliche Untreue sehr selten, ja fast unerhört und wurde ehedem, als die Zigeuner ausschließlich in den Wäldern lebten und Waffen trugen, furchtbar gestraft. Das Weib, das sich eines Fehltritts schuldig gemacht, mußte vor der versammelten Bande den rechten Arm ausstrecken und der Beleidigte jagte ihr eine Kugel durch denselben. Der alte Legrenne hat einer solchen Strafe in seinen Jugendjahren beigewohnt und er versichert, daß der Eindruck, den sie in ihm hervorgebracht, im Laufe der Zeit nichts von der Lebhaftigkeit verloren.

Wenn ein Mädchen sich verging, so wurden ihm von dem Vater oder dem Bruder oder sonst einem Verwandten die Haare abgeschnitten, was als eine große Schmach angesehen wurde. Diese Strenge steht durchaus nicht im Widerspruch mit dem weder durch die Kirche, noch durch den Staat geregelten Eheverhältniß. Sie unterwerfen sich keinem Gesetze, allein sie waren und sind zum Theil noch jetzt die Sclaven ihrer Sitten und Gebräuche. Ein Zigeunermädchen schließt sich zwar sehr häufig ohne Wissen der Eltern einem jungen Manne an und sucht erst später die Einwilligung derselben zu erlangen, aber sie hängt dann an ihrem Gatten in unverbrüchlicher Treue.

Eheliche Verbindungen zwischen Zigeunern und „Weißen“ kommen niemals vor. Obgleich die jungen Zigeunerinnen oft von außerordentlicher Schönheit sind und in der Weltstadt ihr Glück machen könnten, treten sie doch niemals in eine engere Beziehung zu Männern, die nicht zu ihrem Stamme gehören. Ebensowenig tritt ein Zigeuner in Verbindung mit einem Weibe außerhalb seiner Race. Eine entschiedene Abneigung, die nicht blos durch Erinnerung an erlittene Verfolgungen hervorgerufen, sondern in dem Racenunterschiede zu wurzeln scheint, hat sie bisher von jeder Familienverbindung mit „Weißen“ abgehalten. Ist eine Zigeunerin des Umgangs mit einem Weißen verdächtig, so wird sie von ihrem Stamm als ein Gräuel betrachtet und man verbittert ihr das Leben auf jede mögliche Weise. Noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, als sich die Zigeuner schaarenweise bewaffnet in den Wäldern herumtrieben und die Wachsamkeit der Polizei zu vereiteln wußten, wurde ein solcher nur einigermaßen gegründeter Verdacht durch den Tod bestraft. Die Schuldige wurde unerwartet von dem rächenden Dolch ereilt.

Die Zigeuner sind große Schleckermäuler. Ein guter Bissen geht ihnen über Alles, und sie wenden ihren ganzen Scharfsinn an, um zu einem solchen zu gelangen. Ihr Lieblingsgericht ist der Igel, den sie jeder andern Speise vorziehen. Sie machen beständig Jagd auf dieses Thier, das in der nächsten Umgegend von Paris nicht selten ist und im Wald von Fontainebleau in großer Menge lebt. Sie besuchen daher sehr häufig diesen Wald und kehren niemals ohne Beute zurück. Ist diese besonders ergiebig, so wird brüderlich mit den andern Zigeunern getheilt. Die Igeljagd wird besonders im October lebhaft betrieben, wo das Fleisch des Thieres am schmackhaftesten sein soll.

Während des Winters sind sie sehr unglücklich, denn abgesehen davon, daß sie in ihren unter freiem Himmel stehenden Karren nicht sonderlich vor den bösen Launen der Witterung geschützt sind, wird es ihnen auch schwer, sich in Paris die Mittel für ihren Lebensunterhalt zu verschaffen, da sie nicht gern arbeiten. Dazu kommt noch, daß sie die Städte hassen und nur in der freien Natur sich behaglich fühlen. Sobald der Frühling naht, ist ihres Bleibens nicht mehr und sie verstreuen sich nach allen Richtungen des Landes. Dieser Trieb, mit dem Beginn des Lenzes in der freien Natur zu leben, regt sich in ihnen so gewaltig, daß sie ihm schlechterdings nicht widerstehen können. Eine Zigeunerin, die unter dem Nennen Madeleine in den Pariser Künstlerwerkstätten sehr bekannt ist und auf die ich noch zurückkommen werde, erzählte mir, daß sie einst an sich selbst die Gewalt dieses Triebes erlebte. „Ich saß an einem Märztage,“ sagte sie, „als Modell im Atelier des Malers H–t. Ich dachte nur an meine Stellung, mit welcher der Künstler ganz besonders zufrieden war. Nach einiger Zeit wurde die Luft im Atelier etwas drückend und der Künstler öffnete das Fenster. Sobald aber dasselbe geöffnet war und ich einen grünenden Baum sah, dessen Wipfel die Sonne vergoldete, war es mir trotz aller Bitten und Ermahnungen des verzweifelten Malers nicht möglich, länger im Atelier zu bleiben. Ich lief, als ob ich von einem unsichtbaren Geiste getrieben würde, hinaus in’s Freie, bis ich nach St. Ouen kam, wo ich lange auf dem Rasen herumsprang, mich dann unter einen Baum lagerte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_712.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)