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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Da kam das Jahr 1848; wie für so manchen Fürsten war es auch für ihn verhängnißvoll. Auch in Rom brach die Revolution aus und in einer düstern Novembernacht führte der Wagen eines fremden Gesandten den Mann als Flüchtling nach Gaeta, der vor anderthalb Jahren wie ein Gott von dem Römervolke begrüßt worden war. Das war der Wendepunkt in des Papstes Leben, wir können sagen, der Wendepunkt des Papstthums selbst.

Die geträumte Vereinigung der kirchlichen Fürstengewalt mit der Freiheit war vorbei, und mißtrauisch betrachteten sich beide von nun an als Todfeinde. Der Papst wurde in Rom für abgesetzt erklärt, die Republik proclamirt, die siegestrunken des Papstes Proteste und Bannstrahlen verlachte. Aber die Sache wendete sich, die italienische Armee erlag bei Novara der gereiften Schlachtenerfahrung Radetzky’s, und als der flüchtige Papst ein wirksameres Mittel, als die papiernen Bannbullen, versuchte und die Intervention der katholischen Mächte anrief, da sandte bekanntlich die unter des jetzigen Kaisers Napoleon des Dritten Präsidentschaft stehende französische Republik ihre Soldaten, um die römische Republik zu vernichten. Noch einmal kam der Heldengeist der Scipionen und Gracchen über die Römer, die unter Garibaldi’s Führung wider die fremde Uebermacht sich wehrten. Ueber ein Vierteljahr bedurfte es, ehe die ewige Stadt erobert wurde, und nur die Erwägung, daß es doch nur für kurze Zeit die Einnahme aufschieben würde, bewog Garibaldi, zu capituliren, statt, wozu er und die Vertheidiger ursprünglich entschlossen waren, einen Theil der Stadt in die Luft zu sprengen.

Unter den Auspicien dieses traurigen Sieges kehrte Pius der Neunte, nachdem er ein Amnestiedecret unterzeichnet, sehr unähnlich dem bei seinem Regierungsantritt erlassenen, nach Rom zurück, von französischen Truppen geschützt, im Grunde ein französischer Gefangener. Kein Römer bewillkommnete ihn, aber eine andere Körperschaft fand ihn jetzt in der rechten Verfassung für ihre Zwecke, und in ihre geöffneten Arme sank er – die Gesellschaft der Jesuiten. Die Jesuiten brauchen gebrochene Willen und gebrochene Gewissen, diese charakterisiren in erster Reihe die geschicktesten Werkzeuge ihrer geheimen Machinationen. Ein gebrochener Mann war der Papst nach seiner Rückkehr, bankerott an jenen Idealen, die den wahren Kern seiner im Grunde edeln Gesinnung bildeten, zerfallen mit seinen reinsten und schönsten Bestrebungen, getäuscht in seinen lebendigsten Hoffnungen, er hatte seine segensreiche Vergangenheit selbst begraben. Das ist der tiefe, unvertilgbare Schmerz seiner Seele. Nicht sowohl die Kränkungen, die man ihm zugefügt, sondern was er dadurch geworden, machte ihn zu einer tragischen Gestalt und zum unglücklichen Werkzeug der unheilvollsten Bestrebungen.

Seit seiner Rückkehr ist in seiner ganzen Denk- und Handlungsweise der jesuitische Einfluß unverkennbar. Jener Grundgedanke des Ordens, dem päpstlichen Stuhl wieder zu seiner mittelalterlichen Allgewalt zu verhelfen, wurde der seinige. Es schien, als wollte er die Erniedrigung wieder tilgen, die seine Würde erfahren, er holte den ganzen Apparat wieder hervor, mit dem die großen Hierarchen des Mittelalters ihre überirdische Macht vor der Welt festgestellt und documentirt. Freilich, Eines fehlte: der Papst hatte sich um Jahrhunderte verrechnet, die Welt war anders geworden, und jene Acte, durch die er sie wieder unter sein Joch zwingen wollte, gingen entweder spurlos vorüber oder erregten, wenn nicht Widerspruch, so nur Lächeln und Kopfschütteln; höchstens ernteten sie den beifälligen Zuruf bigotter Romantiker und jener urtheilslosen Vergangenheitsschwärmer, die das Alte nur verehren, weil es eben alt ist. Nur die Jesuiten wußten daraus Capital zu machen, um die katholische Kirche in ihren wichtigsten Positionen, Schule, Presse, Ehe und, nicht zu vergessen, das Geld der Gläubigen auf allen Wegen in ihre Gewalt zu bringen. Ihr Einfluß war es, der den Papst zu jenen Seligsprechungen veranlaßte, die eine Anzahl von Gliedern ihres Ordens den Heiligen zugesellte. Sie vermochten ihn, das verunglückte Dogma von der unbefleckten Empfängniß der Maria auszusprechen, das nicht durch die Beistimmung der Kirche, sondern dadurch, daß es trotz des Widerspruchs der besonneneren Katholiken vom Papste festgestellt wurde, charakteristisch den Papst auf’s Neue als den Unfehlbaren kennzeichnen sollte. Ihre Hand leitete den Abschluß jener Concordate mit verschiedenen deutschen Staaten, die an Oesterreich ihre verderbliche Wirkung zeigten; ihre Grundsätze bewirkten Gewaltthaten der Art, wie den Raub des Judenknaben Mortara, und ihre Anschauungen tönen in jener berüchtigten Encyklika der jüngsten Vergangenheit wieder, welche die ganze moderne Weltentwickelung mit einem stumpfsinnigen Fluche belegte.

Mit der kirchlichen ging die weltliche Politik Hand in Hand. Cavour’s patriotische Staatskunst und Garibaldi’s wagende Kühnheit machten Italien aus einem traurigen Conglomerat von geknechteten Fürstenthümern mit Einem Schlage zu einem Reich, und eine Kette blitzschneller Eroberungen kostete auch dem Papste ein Stück seines Gebietes. Rom wiederzuerobern und als Herz in den neugeschaffenen Staatskörper zu setzen, wurde das nationale Programm, durch die Septemberconvention von 1864 von Frankreich theilweise anerkannt, Rom oder der Tod ward die Losung, die, in Aspromonte von der italienischen Regierung gezwungen zum Schweigen gebracht, machtvoll in unsern Tagen wiederklingt. Das preußisch-italienische Bündniß hat Venetien schon der italienischen Nation zurückgegeben, Alles weissagt dem nationalen Gedanken die Zukunft, und was hat der Papst gethan? Von Antonelli’s tyrannischer Energie beherrscht, von Mérode’s jesuitischer Ränkesucht geleitet, hat er sich nur auf ein eigensinniges non possumus den versöhnlichsten und entgegenkommendsten Vorschlägen gegenüber, sich den neuen Verhältnissen zu fügen, gesteift, und nur mit Verdammungen und Klagen um sich geworfen. Den entthronten Franz von Neapel hat er in seinem ruchlosen Treiben gewähren lassen, durch Räuber- und Mörderbanden das neapolitanische Gebiet zu verheeren und Hunderte von harmlosen Landleuten der Grausamkeit und Habgier der verworfensten Strolche zu opfern; den Gräuelthaten der polnischen Hängegensd’armen hat er die Märtyrerkrone aufgesetzt, und währenddem seufzen seine armen Unterthanen unter dem Erpressungs- und Aussaugesystem habgieriger Beamten; das ärgerlichste Leben üppiger Würdenträger der Kirche wird geduldet, Unsummen für Decorationen und Illuminationen an hohen Festtagen werden ausgegeben, die alle öffentlichen Cassen trotz der zufließenden Peterspfennige erschöpfen und die Schulden immer unbezahlbarer machen; das herrlichste Land liegt öde, unbebaut, eine Wiege giftiger Fieber, das reichstbegabte Volk hat für seine Kinder wohl Anstalten, um Spitzen für die Priester klöppeln zu lernen, aber keine Schulen, um es zu ordentlichem Lesen und Schreiben zu bringen.

So steht es um Rom – das ist das Ende der Hoffnungen, die es dereinst auf seinen Papst setzte, und darum wahrscheinlich das Ende des Papstthums selbst, und doch steht, wie gesagt, an der Spitze dieses verfaulten Staates kein rücksichtsloser Tyrann, kein hinterlistiger Intriguant, sondern ein Mann von Wohlwollen, Güte und Liebenswürdigkeit, nach wie vor, und eigenthümlich ist es, so sehr das Papstthum als solches gehaßt wird, so tödtliche Feinde der höhere Klerus hat, der Papst selbst, rein als Mensch, hat immer seine Freunde noch auch im Volke, und das begreift man selbst als rechtschaffener Protestant. Selten wird ihn Jemand sehen und sprechen hören, ohne von dem Zauber seiner Erscheinung ergriffen zu werden.

Ich habe den Papst öfter gesehen, immer hat er diese mächtige Anziehungskraft auf mich geübt, und Vielen ist es so ergangen. So erinnere ich mich einer großen Audienz, die er am Ostersonnabend den zum Osterfest nach Rom gekommenen Priestern und Fremden gab und zu der gegen Anmeldung und ein anständiges Trinkgeld an den die Erlaubniß überbringenden Boten Jeder Zutritt erhielt, welcher die Mühe nicht scheute, sich in Gesellschaftsanzug zu werfen. Eine ganze Galerie des Vatican war mit Menschen angefüllt, meist Priester, unvermeidliche Engländer mit ihren noch unvermeidlicheren Ladies, dann auch Römer mit Frauen und Kindern, meist in Trauer. Die päpstlichen Palofronieri theilten die Anwesenden in zwei Reihen, durch die der Papst ganz weißgekleidet ging. Er sprach zu Jedem einige Worte, die der Anwesende knieend anhörte und die sich meist auf Gegenstände wie Rosenkränze und Heiligenbilder bezogen, für welche der Segen des Papstes erbeten wurde; zum Schluß bestieg er eine Estrade und hielt eine Ansprache auf Französisch. Nach einigen allgemeinen Betrachtungen kam er auch auf das Unglück zu sprechen, von dem das Land schon so lange heimgesucht, das den Müttern ihre Söhne, den Kindern ihre Väter, den Frauen ihre Männer gekostet hätte und das er freilich anderswo suchte, als worin es wirklich zu suchen war. Der Inhalt war nicht bedeutend, die Form die der pathetischen Phrase, aber unvergeßlich ist mir die Art, wie er sprach. Es lag eine Kraft und Milde, eine Fülle und Weichheit in den auf- und absteigenden Modulationen seiner Rede, die bis in’s

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_715.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)