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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 46.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Der Habermeister.
Ein Volksbild aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Der erste November und mit ihm Allerheiligen war gekommen und hatte wieder das große alljährliche Todten- und Gräberfest mitgebracht, das vielleicht an keinem andern Orte so allgemein und mit solcher Feierlichkeit begangen wird, wie in der Stadt München. Der Himmel hatte sich in ein tiefes Grau gehüllt, als läge auch ihm daran, Zeichen der Trauer zu zeigen; die Luft war windstill und mild und trug mit den von ihr getrockneten Wegen dazu bei, die Zahl derer zu vermehren, welche Alle dem großen Kirchhofe zuströmten, Manche mit Herzen voll liebenden Gedenkens und mit Augen, die im Widerschein der Erinnerung erglänzten, die Meisten wohl, weil es die Sitte des Tages so mit sich bringt und weil das Getreibe und Gedränge so gut ein Schauspiel und eine Kurzweil abgab, wie ein anderer mehr weltlich fröhlicher Anlaß. Je mehr die Menge sich dem Gottesacker näherte, desto mehr war der Weg von großen und kleinen Laden und Buden besetzt, welche mit allem Gräberschmuck Handel trieben, vom kleinsten Kränzchen an, aus grauem Moose gewunden und mit Papierrosen besteckt, bis zum prachtvollsten Blumengewinde, das dem Pinsel eines Künstlers Ehre gemacht hätte; vom stattlichen in Stein gehauenen Denkmal mit Urne, Säule oder Sarkophag bis zum einfachen Holzkreuz, auf dessen schwarzem Anstrich nur ein gedrucktes Heiligenbildchen klebte. Drinnen aber, innerhalb der langhin gestreckten Umfassungsmauern prangten die ernsten Grabhügel und die Denkmale auf ihnen in aller Zier, welche sinnige Liebe, reiche Pracht und auch prahlender Ungeschmack zu erfinden vermögen. Während die Hügel der Aermeren sich begnügten, wenn die Erde frisch aufgeharkt, mit einem Kranze von Immergrün eingefaßt, oder mit Buchstaben und Kreuzen aus Asterköpfen oder rothen Vogelbeeren belegt ward, waren die Gräber der Reichern in prachtvolle Gärten verwandelt und manches Treib- und Gewächshaus war geleert, die Stätte des Todes unter Blumenstöcken, Blattpflanzen und seltenen Sträuchern zu verbergen. Um Kreuze und Denksteine schlangen sich Gewinde und Kränze, hier aus den kostbarsten, für die Jahreszeit doppelt seltenen Blumen gebunden, beinahe zu schön für einen so vergänglichen Schmuck, dort mit haushälterischem Sinne aus dauernden Immortellen gewunden oder wohl gar aus bemaltem Blech geformt, um mit der Zierde die Dauer zu vereinen. Dazwischen flatterten Trauerflöre oder rauschten schwarze Bänder; in farbigen Glasglocken brannten düstere Ampeln und wo diese mangelten, fehlte doch selten das Licht, so wenig wie das Kesselchen mit Weihwasser, die angezündet und ausgesprengt werden zum Troste der „Armen Seelen“, deren Andenken der Tag gewidmet ist. Zwischen den Gräbern saßen allerlei Leute, Greise und alte Mütterchen oder kränkliche Personen, welche, anderer Arbeit und andern Erwerbs unfähig, sich verdungen hatten, die Gräber und deren Putz den Tag über zu hüten und nicht abzulassen im ständigen Gebete für die „abgeschiedenen Christgläubigen“, die vielleicht noch zu büßen und zu schmachten haben in den Flammenqualen des Fegefeuers.

Nur an der einen Seite des großen Todtenfeldes sah es minder festlich aus; die Schaaren der Besuchenden zogen hier achtlos vorüber und nur selten wandelte der Fuß eines Einsamen zwischen halb eingesunkenen übergrasten Hügeln hin. Blos hier und da erhob sich ein für die Dauer berechneter Denkstein. Blos auf einigen wenigen Erhöhungen stand noch ein halbverwittertes Holzkreuz, an Einem war sogar eine Tafel angebracht, worauf verzeichnet stand, daß dieses Andenken nur ein Vorläufiges sein und nur dauern solle „bis zur Errichtung eines Monuments“, aber sei es, daß die Angehörigen dem Todten selbst unerwartet bald nachgefolgt waren, oder daß sie, von der Zeit geheilt, mit ihrem Schmerz auch ihr Vorhaben vergessen hatten … die schwarze Tafel stand noch immer verheißend da und das Monument war unerrichtet geblieben. Es war jene Abtheilung des Kirchhofs, welche, schon seit Jahren gefüllt, nun dazu bestimmt war, wieder umgegraben und mit neuen Gräbern bepflanzt zu werden.

Jenseits des Weges, an schön verzierten Gräbern saßen ein paar Grabhüterinnen, die Rosenkränze in den Händen, und ließen eifrig murmelnd die schwarzen Betkorallen daran niedergleiten; das hinderte sie jedoch nicht, auch dem, was um sie her vorging, einen beobachtenden Blick zu schenken und in ihre Andacht manchmal eine kleine Gesprächsunterhaltung einzuflechten.

„Gieb uns heut’ unser tägliches Brod … siehst Du, Schärdingerin,“ sagte die Eine, „… da kommt er schon wieder, der dicke Alte … dort beim Eisengitter am Seiteneingang steht er und schaut sich um, als wenn er auf ’was warten thät…“

„Alt ist er wohl,“ erwiderte die Andere, nach dem Eingang hinüber blickend, „aber dick ist er nicht, das Gewand hängt ihm ja nur so am Leib, wie an einem Kleiderstock. Wer ist er denn und was will er?“

„Wer er ist, weiß ich nicht, aber er war heut’ morgens schon da und hat da herumgefragt, er sucht ein Grab aus der Cholerazeit…“

„Aus der Zeit liegen freilich die Meisten da in dem Revier herum! Du lieber Gott, wie feindselig der Mensch d’reinschaut

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_721.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)