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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

soll die verlogene Tafel auch nit drauf zu stehen kommen, denn das Grab ist mein!“

Dem Trotze des Mädchens gegenüber fand auch der Meister die alte Starrheit wieder. „Das wollen wir einmal sehen!“ rief er. „Ich will Dir zeigen, daß ich als Vater auch ein Recht habe…“

„Ein Recht als Vater?“ rief Franzi. „Und auf das wollten Sie sich stützen? Wollten sich darauf berufen, hier an dem Grab der nämlichen Tochter, die Sie verstoßen haben?“

„Sie hat sich von mir losgesagt,“ erwiderte Staudinger. „Warum ist sie meinem Willen nit gefolgt und hat sich an den Tischlergesellen gehängt, der nichts gehabt hat und nichts gewesen ist…“

„Nichts,“ fiel Franzi ein, „nichts hat er gehabt, als ein paar fleißige Arm’ und einen offenen Kopf, nichts ist er gewesen, als ein redlicher, fleißiger Arbeiter und ein braver Mann… Er muß es gewesen sein, sonst hätt’ ihn meine Mutter nit so gern gehabt, das spür’ ich an mir selber, drum lass’ ich auf ihn so wenig ’was kommen, Herr, wie auf mein’ arme Mutter… Wenn Sie einmal drüben in der Ewigkeit mit ihr zusammen kommen, dann können Sie mit ihr abrechnen vor Gottes Angesicht … aber hier unten, auf der Welt, mit dem, was noch von ihr übrig ist, mit dem sollen Sie nichts mehr zu schaffen haben … Sie sollen ihr keinen Stein auf’s Grab setzen, sie hat schon an dem genug, der ihr das Herz abgedruckt hat, das Grab ist mein! … Gehen Sie Ihren Weg und lassen Sie mich den meinigen gehen … es ist am besten, wenn wir Zwei so weit auseinander bleiben, wie möglich…“

„Und hab’ ich denn schon nach Dir verlangt?“ erwiderte der Alte grimmig. „Ja, ich leugn’ es nicht, das Herz ist mir weich geworden in den letzten Tagen … ich hab’ viel an meine Tochter denken müssen, ich hab’ mit ihr abrechnen wollen und mit meinem Gewissen … drum hätt’ sie auch ein äußeres Zeichen davon haben sollen! Wenn’s nicht sein soll, so kann ich’s inwendig auch mit ihr abmachen, ohne Grabtafel und Denkstein, aber Dich hab’ ich nicht gesucht und will’s nicht wissen, daß ich Dich gefunden hab’! Dich kenn’ ich nicht und will Dich nicht kennen, meiner Tochter hab’ ich mit Ehren verzeihen können, wenn ich will, sie war doch ein ehrliches Weib … Du aber …“

Er vollendete nicht, denn Franzi stand schon hart vor ihm, starr wie ein Steinbild und doch mit dem flammenden Antlitz eines Racheengels. „Sprich das nit aus, alter Mann,“ rief sie mit unterdrückter Stimme, „sprich nit aus, was Du jetzt auf der Zunge hast… An diesem heiligen Ort, am Grab meiner braven, seligen Mutter sag’ ich Dir und ruf’ sie zum Zeugen an in der Ewigkeit, daß ich nichts gethan hab’, über was ich roth werden müßt’ vor ihr… Wenn es aber so wär’,“ fuhr sie noch leiser flüsternd fort und faßte den Alten hart am Arme, „… wenn ich schlecht geworden wär’, wär’s etwan meine Schuld? Auf wen thät’ die Verantwortung fallen, als auf den, der seine Tochter in’s Grab g’stoßen hat und sein Enkelkind in’s Findelhaus…“

Der Todtengräber, der mit Kränzen und Blumen reich beladen zurückkam, unterbrach sie. „Da bin ich schon, Madel,“ rief er schon von ferne, „ich hab’ die schönsten Sachen ausgesucht, Du sollst Deine Freude dran haben, wie wir das Grab aufrichten und zieren wollen!“

Gleichzeitig kam auch der Anstreicher mit Schaufel und Pickel zurück, Staudinger deutete ihm nach der Tafel. „Nehmen Sie das nur wieder mit,“ sagte er, indem er sich gleichzeitig zum Gehen wandte, „das ist jetzt nicht mehr nöthig…“

Verwundert sah ihm der Geselle nach, indem er die Tafel auflud. „Dem fällt auch alle Finger lang etwas Andres ein,“ sagte er, „aber ich hab’ mir’s gleich gedacht, den hat gewiß das Geld zu dem Monument wieder gereut!“

Der Todtengräber schickte sich an, den Hügel aufzugraben. Eh’ er es that, pflückte Franzi ein paar von den Schmeelen und die einzelne Scabiose und steckte sie in’s Mieder. –




Ein Bild anderer Art war es, das der Allerseelen-Vorabend auf dem einsamen Oedhofe entfaltete, minder farbenreich, aber mit nicht minderem Schattendunkel.

Es war noch in den ersten Stunden des Nachmittags, in der Wohnstube fing es jedoch schon an, düster und dämmerig zu werden, denn die kleinen Fenster mit den noch kleineren runden Scheiben ließen wenig Licht ein, und das Licht, das heran kam, war kärglich, weil die mächtigen Linden, die den Hof umgaben, noch viele ihrer Blätter behalten hatten und weil der Hof auf der Schattenseite des Gebirges lag, für welche die Sonne um einige Stunden früher untergeht, als für die andere Welt. Es war einsam in dem Gehöfte; die Dienstleute waren nach der Mahlzeit alle fort, zu Rosenkranz und Vesper in der weit entlegenen Pfarrkirche und zum Gang an die Gräber der Befreundeten und Angehörigen, die alte Herrin des Hauses mit einer Magd war allein zu Hause, die Sonntagswache zu halten, aber sie saß in der Stube nicht allein, sie hatte Nachmittags unerwarteten und selten gesehenen Besuch bekommen. Sixt saß der Base auf der Bank gegenüber, den Ehrenplatz am Tische hatte der Lehrer inne, der mit ihm gekommen war.

Sie pflegten lange und angelegentliche Zwiesprache miteinander, so eifrig, daß sie es nicht gewahrten, wie es immer dämmeriger wurde um sie her, und des Hahns auf der Uhr nicht achteten, der getreulich mahnte, wann wieder eine Stunde näher gerückt war an die Ewigkeit. Sixt war es gewesen, der hauptsächlich die Unterredung geführt, er hatte Vieles mitzutheilen gehabt, was ihn selbst und Andere betraf, nur Eines blieb unerwähnt, was ja nicht sein Geheimniß war, sondern das des Bundes, an dessen Spitze er stand.

„Es geht nit anders, Base,“ sagte er, eine längere wiederholte Erörterung schließend, „es muß etwas geschehen in der Sache, wir müssen was thun, damit das Gerede und das Gezischel ein Ende nimmt und der Schein nit noch schlimmer wird, als er schon ist. Ich hab’ es mit dem Herrn Lehrer nach allen Seiten überlegt und betrachtet, und er ist auch meiner Meinung, wir müssen Alles thun, um die Franzi her zu schaffen, und wenn sie sich noch so gut versteckt hält oder noch so weit fortgegangen wär … sie ist die Einzige, die Licht in die Sache bringen kann … und haben wir sie nur erst da, wird sie wohl dazu zu bringen sein, daß sie Red’ und Antwort giebt…“

Die Alte schüttelte den Kopf. „Ich weiß nit,“ sagte sie, „ob Du Dir nit zu viel einbildest … die Franzi ist alleweil ein besonderes Leut gewesen und wenn sie einmal ihren stützigen Kopf aufgesetzt hat, glaub’ ich kaum, daß irgend was sie zum Reden bringt …“

„Ich hoff’s doch,“ erwiderte Sixt, „es ist wahr, sie hat einen trutzigen Kopf, aber auch ein gutes Gemüth und sie ist den Eltern selig in’s Grab hinein dankbar für Alles, was sie ihr gethan haben – sie bringt’s nit über’s Herz, daß wir in unrechten Schein kommen und wegen ihr leiden sollen! – Warum sollt’ sie auch nit reden?“ fuhr er, da er vergeblich eine Erwiderung erwartet hatte, wie sich selbst beruhigend fort. „Was hat sie zu fürchten? – Es ist wahr, wie ich sie gehört und gesehen hab’, ist es mir eine Zeit lang gewesen, als wär’ ihr wohl gar Unrecht geschehen – wie ich mir aber Alles so bei ruhigem Blut wieder zusammengestellt hab’ und zusammengereimt, da hab’ ich’s nimmer denken können … und so hart es mich ankommt, denn ich hab’ allemal viel gehalten auf das Madel, so muß ich’s doch sagen … sie und keine Andere ist die Mutter von dem Kind und Niemand als sie hat es auf den Oedhof gebracht. … Wenn sie also sieht, daß das Leugnen nichts nutzt, daß es doch alle Welt schon weiß, dann wird sie’s auch eingestehen, wird sagen, wer der Vater ist, und Alles kommt wieder in Ordnung. …. Eine Straf’ wird sie freilich wohl kriegen, aber dem Kind ist ja nichts Leids geschehen und so wird die Straf’ nit so schwer ausfallen, denk’ ich … sie werden wohl nachsichtig sein mit ihr, denn das ist gewiß, ausgestanden hat sie genug und die ärgste Straf’ ist doch schon über sie ’kommen.“

„Alles richtig,“ sagte der Lehrer bedächtig, „wenn die Voraussetzung es ist, wenn sie wirklich schuldig ist.“

Sixt war aufgestanden und durchschritt die Stube. „Ja, ja, ich weiß,“ sagte er, „Sie haben den Glauben noch immer nit aufgegeben. … Es ist eine Zeit gewesen, da hätt’ ich auch einen Finger aus meiner Hand verwettet, daß es nicht so sein könnt’ … aber dadurch wird’s doch nicht anders und wir werden ja sehen, daß ich Recht behalt’, wenn wir sie nur erst gefunden haben.“

„Wenn wir sie aber nicht finden?“ fragte der Lehrer. „,Du weißt, ich habe nach München geschrieben, wo wir sie zunächst vermutheten, – ich habe einflußreiche Bekannte dort, aber Niemand hat ihre Spur aufzufinden vermocht.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_724.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)