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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

für meine Leser wählte er das letztere, und mit einer Cavalerieescorte, auf deren Anzahl ich alle Ursache haben konnte stolz zu sein, galoppirte ich und mein Diener nach der Residenz des Selbstherrschers aller Pintos.

La Providencia (die Vorsehung) ist der ominöse Name der zeitweiligen Residenz des Mannes, der sich während der ungewöhnlich langen Dauer eines seltsam bewegten Lebens niemals sehr um ihre ewigen Gesetze gekümmert hat und schon lange vor dem Schlusse des mexicanischen Unabhängigkeitskrieges in fast all’ die unzähligen Intriguen mexicanischer Politik verflochten gewesen ist. Empörend, in der That, selbst für solche, deren Herz hart wurde beim täglichen Anblick unerhörter Grausamkeiten – wie solche nur in Mexico vorkommen können – sind die zahllosen theils wahren, theils erfundenen Geschichten, die auf seinen Namen laufen. Heute noch flüstern sich Eingeweihte mit leiser Stimme ihre Vermuthungen zu über das plötzliche Verschwinden oder den unerwarteten Todesfall dieses oder jenes Individuums, des einfältigen Geschwätzes des gemeinen, unwissenden Haufens, der dieses unerschöpfliche Thema bis in das Fabelhafte hinausspinnt, gar nicht zu gedenken.

La Providencia sieht nach nichts weniger als einem Palaste aus, sondern gleicht vielmehr einem Rancho. Es war schon spät am Abend, als wir hungrig und müde dort anlangten. Mein armer Diener – Antonio hieß er – sonst so heiter und aufgelegt, ließ traurig den Kopf hängen. Er bildete sich steif und fest ein, daß die morgende Sonne die letzte sein würde, die mir zu sehen bestimmt sei, und daß der thatsächliche Umstand, in meinem Dienste betroffen worden zu sein, auch seine Aussicht, den kommenden Tag zu überleben, zu einer sehr problematischen mache.

Der Gouverneur hatte sich längst schon zur Ruhe begeben; er thut dies, seit langen Jahren schon, stets mit der untergehenden Sonne. Einer seiner Adjutanten, aus dessen runzligem und „gemaltem“ Gesicht vierzig Jahre verwegenen Räuberlebens mir entgegenblickten, nahm den Rapport des Commandanten meiner Escorte entgegen nebst einer schriftlichen Weisung des Befehlshabers der Papagayo-Station.

Der „Panther“, auch hierin jener ungeselligen Bestie nicht unähnlich, deren Namen er mit solchem Stolze trägt, ist nicht eben berühmt wegen seiner Gastfreundschaft. Selbst wenn ich sein eingeladener Gast gewesen wäre, statt sein Gefangener zu sein, so hätte ich dennoch für meine und meines Dieners Leibes Nothdurft und Nahrung selbst zu sorgen gehabt. Zum Besten derjenigen, die sich des unbeneideten Vorzuges erfreuen, in La Providencia weilen zu dürfen – gleichviel ob „eingeladen“ oder nicht – ist eine Herberge gegenüber dem Residenzgebäude des Staatsoberhauptes errichtet, woselbst den also Bevorzugten gegen „liberale“ Preise die nothwendigen Lebensmittel und Getränke verabreicht werden. Da der Wirth jenes Gasthofes ein naher Verwandter der obersten Gottheit ist, so hat letztere es ganz in ihrer Gewalt, das Geschäft des „Gevatters“ im Schwunge zu halten, denn es dürfte ein etwas gewagtes Unternehmen sein, einer „Einladung“ nach dem Hauptquartiere nicht bereitwillige Folge leisten zu wollen.

Ich lag noch zu Bett, als man mir bedeutete, daß es Zeit sei, Sr. Excellenz meine Aufwartung zu machen, und eine halbe Stunde später stand ich in Person vor ihm. Obgleich ich damals nicht die Hälfte von dem wußte, was ich jetzt von ihm weiß, so war doch selbst dieses Wenige mehr als hinreichend, um meinen Puls rascher klopfen zu machen, als ich mich Angesicht zu Angesicht mit dem „Panther des Südens“ erblickte.

Wie übertrieben und fabelhaft auch viele Gerüchte sind, welche über den alten Panther umlaufen, so viel steht fest, daß, nach Abzug aller ausschmückenden Romantik, noch eine ziemlich nette Summe an Thatsachen übrig bliebe, um ein tête à tête mit dem Gouverneur als ein verhängnißvolles Begegniß erscheinen zu lassen. Derselbe hat ja noch nie vor einem Mittel zurückgebebt, das seiner Macht und seinem Geldbeutel Erfolge versprach. So sind unter Andern die erheblichen Zolleinnahmen zweier Seehäfen niemals an das Finanzdepartement nach Mexico abgeführt worden, sondern Jahr aus Jahr ein mit je einem Reinertrag von einmalhundertundfünfzigtausend Thalern seit fast einem halben Säculum in des Panthers Taschen geflossen. Ueberhaupt hat es diesem wie jedwedem Gouverneur eines mexicanischen Staates nimmermehr an Wegen gefehlt, die „Regierten“ nach Herzenslust zu plündern. Der Anblick einer Schwadron betrunkener „Pintos“, die mit wüsten Geschrei und geschwungener Waffe vor einem industriellen Etablissement oder im Hof einer Plantage aufreiten; die entschlossene und bündige Weise, mit welcher ihr Commandant seine Forderung im Namen des allmächtigen Gouverneurs präsentirt, ihre augenblickliche Tilgung mit gespannter Pistole – à la Gil Blas – einschärfend: das ist sicher Veranlassung genug für irgend welchen Christen, sich von seinem sauer verdienten Gelde zu trennen, was auch seine Ansichten über die „Constitutionalität“ des ganzen Verfahrens sein mögen. Dergleichen Gelderpressungen von Seiten der Behörden gehören in ganz Mexico zu den alltäglichen Vorkommnissen, indeß dem Pantherstaate gebührt meines Erachtens in dieser Beziehung unbedingt die Krone.

Daß der Gouverneur auf solche Weise bereits lange sein Schäfchen gehörig auf’s Trockene gebracht hat, ist selbstverständlich, zumal die Ausgaben für Schulen, Hospitäler und andere öffentliche Institute unbekannte Größen sind und den Beamten meist überlassen wird, sich selbst, wie sie eben können, bezahlt zu machen.

Vor mir in einer Hängematte ausgestreckt, mit geschlossenen Augen und am ganzen Körper mit Binden und Bandagen umwickelt, schaukelten die armseligen Ueberbleibsel eines ehedem starken und gewaltigen Mannes, vor einem halben Jahrhundert noch das immer willige Werkzeug Hidalgo’s, Morelos’ und Anderer glorreichen Andenkens. Wenn jene Ungeheuer in Menschengestalt, die Pioniere der famösen „mexicanischen Unabhängigkeit“, keinen andern Henker finden konnten zur Vollstreckung ihrer teuflischen Bluturtheile, so brauchten sie nur nach ihm – dem Meuchelmörder, welcher einst seinen Herrn, einen spanischen Obersten, auf der Landstraße durch den Rücken geschossen hatte – zu schicken, um des pünktlichsten Gehorsams sicher zu sein. Sein Eifer war von jener Art, die nicht zu übertreffen ist; hinter ihm blieben seine würdigen Sub-Agenten weit zurück, deren Messer, wie rasch sie auch waren, ihm noch immer viel zu langsam arbeiteten, daher er nicht selten den executiven Theil ihres Blutgeschäftes in seine eigenen unheiligen „gemalten“ Hände nahm.

Ich habe selbst vor einem Abgrunde von ein paar Tausend Fuß Tiefe gestanden – die Quebrada genannt – der in den verflossenen Zeiten der Revolution in unserm Staate berüchtigt war als Schauplatz jener entsetzlichen heimlichen Abschlächtereien spanischer Kriegsgefangener. Jene grausamen Hinrichtungen waren im Allgemeinen in hohem Grade unpopulär bei der überwiegenden Mehrzahl des mexicanischen Volks und gingen nur von den Leitern der revolutionären Bewegung aus, den Septembriseurs von Mexico, denen sie zu ihren Zwecken unentbehrlich erschienen. Sie mußten aus dieser Ursache des Nachts und in abgelegenen Gegenden vor sich genommen werden. Der „Panther des Südens“, dem Eifer und guten Willen einiger seiner Unter-Agenten mißtrauend, die mit der summarischen Execution einiger Hundert spanischer Kriegsgefangener beauftragt waren, war einstmal selbst an Ort und Stelle erschienen. Die wehrlosen Opfer waren – an Händen und Füßen gefesselt – in Reih und Glied, Front nach dem Abgrund, aufmarschirt. Ueber seine säumigen Helfershelfer erzürnt, schleuderte er dieselben unwillig bei Seite und seinen eigenen mit Juwelen besetzten Dolch ziehend, ließ er dessen funkelnde Klinge rasch und in geschäftsmäßiger Weise über die Halsadern jener Unglücklichen gleiten, deren blutende und noch zuckende Körper er selbst mit den Füßen in den Abgrund stieß. Jener Platz ist gemieden bis auf den heutigen Tag von den wenigen armen und unwissenden Menschen, welche etwa in der Nähe dort wohnen. Sie meinen, es spuke dort des Nachts.

Die Augenlider des Gouverneurs blieben geschlossen, als ich eintrat, und er würdigte mich noch immer keines Blickes, nachdem ich bereits eine geraume Weile schweigend vor ihm gestanden. Zwei Indianer, die neben ihm auf dem Boden kauerten, beobachteten jede meiner Bewegungen.

„Was hat Sie veranlaßt, gerade diese Route zu wählen?“ sagte er endlich, langsam und mit einer Stimme, die sich mühsam und heiser aus seiner Kehle rang; „man wird Ihnen vermuthlich in der Hauptstadt gesagt haben, daß ich keine Fremden im Lande leiden mag.“

Seine Augen – offen jetzt – ruhten starr und unbeweglich auf den meinen. Was für Augen das waren! Ihre starre Unbeweglichkeit, die kalte, schlangenartige, leichenhafte Ausdruckslosigkeit ihres gleichgültigen und dennoch so finstern und grausamen Blickes war grauenerregend. Ich sagte ihm, daß ökonomische

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 729. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_729.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)