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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

November bis in den Winter hinein mit dem „Strich“ der Wachholderdrossel oder des Krammetsvogels. Dieser hauptsächlich in den Birkenwaldungen des nördlichen Europas gesellig nistende Zugvogel verbreitet sich auf seiner Herbst- und Frühjahrswanderung auch über unser Deutschland und „fällt“ gern auf hoch und einsam gelegenen Wachholderwüstungen der Gebirge „an“. Wegen seines aromatischen Wildprets ist er, nebst der großen Misteldrossel, im Handel sehr willkommen, und kommen beide – im Gegensatze zu den kleineren Drosseln oder „Halbvögeln“ – als „Ganzvögel“, wovon vier auf einen „Spieß“ gehen, zu Markte.

Man unterscheidet einfache und doppelte Heerde. Der einfache ist der bei dem Fang auf der Tränke schon beschriebene. Der gewöhnlich gebräuchliche Krammetsvogelheerd oder der „doppelte Strauchheerd“ ist im Wesentlichen nichts Anderes, als der schon bekannte einfache, in zweifacher Gestalt derart angebracht, daß beide Schlagwände durch einen Ruck der gemeinschaftlichen Zug- oder Ruckleine gegeneinander zusammenschlagen und so eine etwa einen Fuß erhöhte Fläche von fünfzehn bis zwanzig Fuß Länge und acht bis zwölf Fuß Breite bedecken. Zum besseren Verständnisse diene statt weitläufiger Beschreibung eine Zeichnung.

In aa′bc erkennt der geehrte Leser die ihm beschriebene Einrichtung des Schlaggarns wieder, und in der Vorrichtung zz′z′′ eine einfache Vereinigung der beiden Zugleinen rechts und links beim Punkte p der Hütte (H) des Vogelfängers, woselbst durch einen starken Ruck bei H die beiden Schlagwände (a′a′) in einem Bogen gegeneinander geschnellt werden. Gut ist es, wenn bei cc Curveln oder Curven in der Erde angebracht sind, worin sich die „Sprenkel“ oder „Schlagstäbe“ (a′c) besser bewegen als an bloßen Pflöcken.

An guten Lockvögeln ist viel, beinahe Alles gelegen. Diese dürfen keine aufgezogenen Vögel, sondern müssen Wildfänge sein. Ihnen widmet der Vogelsteller alle Aufmerksamkeit, pflegt sie in einer besondern kalten Kammer und gewöhnt sie nach und nach an die sogenannten „Fesseln“. Dieselben bestehen bei sorgsamen Vogelstellern in einem halbfingerdicken Riemen weichen Leders, welcher zwei Paar Längsschnitte hat. In das innere Paar werden vom Rücken aus die Flügel bis an das Ende der Knochen am Schulterblatt gesteckt, in das äußere Paar kommen die Füße mit den Schenkeln, so daß beide Riemenenden zwischen den letzteren am Bauche zusammengeheftet werden können. Mittels eines Drahtkettchens oder eines starken Bindfadens fesselt man die Lockvögel bei vv auf dem Heerd an, auf welchen schwache Wachholderreiser gesteckt und Wachholderbeeren ausgestreut werden. Durch einen feinen Bindfaden, den man von den Fesseln aus zur Hütte leitet, kann man einen und den andern dieser Vögel auch zu einem „Ruhrvogel“ umgestalten, welcher, durch einen Ruck am Bindfaden „angeregt“, zu flattern beginnt und hierdurch die vorüberstreichenden Wachholderdrosseln ebenfalls anlockt.

Inmitten der in die Erde halb versenkten und mit dichtem Wachholdergeflechte oder Rasenstücken überwölbten Hütte hockt der Waldbruder an kalten nebligen Morgen am „Lugloch“. Mit Indianersinnen erwartet er die ersten Locktöne „Schaschaschaschack“ anziehender Krammetsvögel, die entweder mit seiner „Klutter“ oder einem Blättchen von Rohr im Munde oder durch die mit Wachholderreisern „verblendeten“ Lockvögel herbeigelockt werden. Entweder künstlich in der Nähe des Heerdes aufgerichtete „Fallbäume“, oder besser natürlich gewachsene einzelstehende Waldbäume laden die Drosseln, die den Locktönen folgen, ein, auf den Aesten zu „fußen“ und alsbald auf den Heerd zu den angefesselten Lock- oder Ruhrvögeln zu fallen. Interessant ist die Spannung in den Gesichtszügen des in der Hütte Lauernden beim Anrücken eines starken Drosselzuges, interessant und komisch, wie sich die Leidenschaft des Naturmenschen drastisch in Wort und Bewegung endlich entfesselt, wenn der Zug wie an Schnüren von den Fallbäumen auf den Heerd fällt und nun durch einen Ruck gedeckt wird, von welchem das Männchen oft rückwärts vom Sitze in die Hütte kollert. O glücklicher Vogelsteller mit deiner kindlichen Hingabe an den Augenblick, wie bist du zu beneiden! –

A. M.




Blätter und Blüthen.


Edle Revanche. In einem österreichischen Regimente, welches in Mainz in Garnison stand, diente vor wenigen Jahren ein Hauptmann M..…r, ein Mann, der sehr stiller und zurückhaltender Natur war und wenig mit den anderen Officieren verkehrte, sondern sich lieber in seinen freien Stunden mit wissenschaftlichen Studien beschäftigte. Daher stand er bei seinen Cameraden nur wenig in Gunst, ja diese gingen mit ihrem Urtheile über ihn so weit, daß sie ihm nicht einmal denjenigen persönlichen Muth zuerkannten, der dem Soldaten und vor Allem dem Officier so nothwendig ist.

Das Regiment bekam zu jener Zeit einen neuen Commandeur in der Person eines Grafen L…….n, eines noch jungen Mannes, welcher in der ganzen Armee bekannt war wegen seiner Kriegs- und Friedensabenteuer und seiner lustigen Streiche und der nur seiner hohen Abstammung und der Verwandtschaft mit dem englischen Königshause dieses schnelle Avancement verdankte. Derselbe erfuhr bald die erwähnte Ansicht seiner Officiere über den Hauptmann M..…r und beschloß sich sofort davon zu überzeugen, ob dieselbe gerechtfertigt wäre oder nicht.

Bei einem gemeinschaftlichen Diner – einem sogenannten Liebesmahle, an welchem alle Chargen Theil nahmen – ließ er es so einrichten, daß der Hauptmann neben ihm zu sitzen kam. Die wirklich außergewöhnliche Schüchternheit und Zurückhaltung desselben machten den Grafen im Laufe des Mittags mehr und mehr glauben, daß die andern Officiere seinen Nachbar richtig beurtheilt hätten, er begann ebenfalls denselben für einen entschiedenen Feigling zu halten und nahm sich vor sogleich durch eine Probe sich hiervon Gewißheit zu verschaffen.

Er brachte daher beim Dessert das Gespräch geschickt auf das Pistolenschießen, worin er selbst Meister war, und schickte endlich einen Diener nach seinen Kuchenreutern, um an Ort und Stelle einige Proben seiner Geschicklichkeit abzulegen.

Die Pistolen kamen, der Graf lud dieselben und eine kleine Kreuzersemmel vom Tische nehmend, forderte er den Hauptmann auf, an das andere Ende des Saales zu treten und ihm dort besagte Semmel als Scheibe hinzuhalten. Alle Officiere an der langen Mittagstafel horchten gespannt auf und betrachteten schadenfroh lächelnd den Hauptmann, der sich natürlich gegen eine solche Zumuthung heftig sträubte, umsomehr, als er wußte, daß sein Vorgesetzter der Flasche im Laufe des Mahles nicht unbedeutend zugesprochen hatte.

„Aber Sie werden sich doch nicht etwa fürchten, Herr Hauptmann M..…r? der Geruch des Pulvers ist Ihnen doch nicht unangenehm?“ frug dieser endlich mit Ironie.

„Ich glaub’ halt nit,“ erwiderte der Hauptmann mit einem eigenthümlichen Lächeln, stand von seinem Stuhle auf und schritt dann ruhig nach dem Hintergrunde des Saales. Dort lehnte er sich gegen die Wand und hielt die kleine Semmel in der ausgestreckten Hand zwischen Daumen und Zeigefinger empor; der Graf stürzte ein Glas Champagner hinunter, setzte das Lorgnon auf den Nasenrücken, hob blitzschnell das Pistol und drückte ab. Der Schuß ging los, die Kugel hatte mitten durch die Semmel getroffen.

Der Hauptmann M..…r hatte mit keiner Wimper gezuckt. Ruhig hob er die Semmel vom Erdboden auf und betrachtete diese und das kleine Loch, welches durch dieselbe geschossen war. Das Gelächter der Officiere war mit einem Male verstummt, die schadenfrohen Mienen verschwunden, und mancher bedauerte jetzt, so übel von einem seiner Cameraden gedacht zu haben. Der Graf aber eilte warmherzig auf seinen Untergebenen zu, um demselben etwas Angenehmes zu sagen. Dieser hatte mittlerweile die Semmel auf den Tisch gelegt, die andere Pistole ergriffen, und das Schießwerkzeug von allen Seiten betrachtend, sprach er mit dem treuherzigsten Gesichte von der Welt: „Schaun’s, Herr Graf, das muß ich halt sag’n, Sie sind ein sehr gewandter Schütz, Sie hab’n mich gar sauber behandelt, nicht einmal den kleinen Finger haben’s mir geritzt. Da möcht ich halt auch einmal probir’n, ob ich das fertig bekomm’. Jetzt, wenn’s woll’n die Gnad’ hab’n, dann halten’s mir a mal die Semmel, ich bin halt sehr neugierig, ob ich das auch kann.“

Es war interessant, die Gesichter der Gesellschaft zu beobachten, die eben noch so schadenfroh gelacht hatten. Der Spieß hatte sich mit einem Male umgedreht, Verlegenheit und Bestürzung spiegelte sich in Aller Mienen, am meisten bestürzt aber war Graf L…….n selber.

„Aber Sie sagten ja eben, Sie hätten noch nie in Ihrem Leben eine Pistole in der Hand gehabt,“ erwiderte er betroffen.

„Ja, da hab’n’s auch ganz Recht, Herr Oberst,“ entgegnete Jener mit dem freundlichsten Lächeln, „um so mehr thät mich’s aber grad freuen, wenn i halt richtig treffen würd’.“

Da half denn nun kein Reden, da halfen keine Vorstellungen, der Graf war gezwungen, um sich vor seinem Officier-Corps keine Blöße zu geben, dem Ansuchen des schüchternen Hauptmanns zu willfahren. Was in seinem Herzen vorging, weiß Niemand, soviel indessen ist gewiß, ruhig und ohne Zagen trat derselbe, zwar etwas blaß, an die gegenüberliegende Wand und hielt die Semmel empor.

Etwas ungeschickt erhob nun der Hauptmann das Pistol und zielte. Es dauerte lange. Die Waffe schwankte und zitterte in seiner unkundigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_767.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)