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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Im nächsten Jahre ist die Ernte schwächer, und nach vier bis fünf Sommern ist die Kraft des Bodens für Buchweizen erschöpft, selbst Hafer und Roggen, die ihre Nahrung in jenem noch finden, gedeihen nur bisweilen, die Brandcultur muß aufgegeben werden, und es beginnt nun eine dreißigjährige Brache, während welcher das Moor in seinen Urzustand zurückkehrt.

Nur da, wo der Buchweizenbau im verbrannten Sumpfe, wie im Bourtanger Moor, die gewöhnliche Feld- und Viehwirthschaft neben sich hat, ist er zu empfehlen; denn häufig läßt ungünstige Witterung die Pflanze mißrathen, und dann giebt es da, wo jener Ersatz mangelt, die traurigsten Zustände. Die armen „Moorker“, kleine Leute, die eine falsche Humanität auf einigen Mooren ansiedelte, wissen davon zu erzählen. Ohne Vieh, ohne Wege, aus denen sie ihren Torf zur Verwerthung bringen könnten, ohne Gelegenheit, sich, wenn die Buchweizenernte auf der Brandstätte schlecht ausgefallen, durch Arbeit als Tagelöhner ihren Unterhalt zu verdienen, nach den Herbstregen, durch welche das Moor um ihre Colonie unzugänglich wird, von allem Verkehr mit den Nachbarn jenseits des Sumpfes abgesperrt, verbringen sie in ihren aus Torfstücken aufgebauten Hütten die lange Winterszeit in Hunger und Kummer, wenn sie es nicht vorziehen, als Bettler im Lande umherzuschweifen. Auch davon könnte der Heerrauch manche betrübende Geschichte berichten.

Weit Erfreulicheres dagegen erzählt er von den Ergebnissen einer dritten Art, gegen die „wilden Moore“ vorzugehen, die besonders in Ostfriesland in Gebrauch ist, aber im eigentlichen Muffrika, oder in Muffrika im engsten Wortsinn, d. h. im Herzogthum Aremberg-Meppen, den glänzendsten Beweis dafür zeigt, daß sie praktisch ist. Bei dieser Methode wird das Moor bis auf sein Soolband, d. h. bis auf die Humusschicht zwischen dem Torflager und dem sandigen Untergrunde, den jedes Moor hat, abgegraben und der Torf auf den Markt gebracht, die Unterlage desselben aber als Garten- oder Ackerland bestellt. Gewöhnlich bildet sich zu dem Zwecke eine Gesellschaft, welche das Moor oder ein Stück desselben von dem Besitzer in Erbpacht nimmt und es dann wieder an kleine Leute in Erbpacht austhut. Das Erste, was man thut, ist die Anlage eines Canals von der Mitte des Moors bis zum nächsten schiffbaren Flusse. Zweck dieses Canals ist einerseits Entwässerung der Stelle, andererseits Verbindung derselben mit der übrigen Welt. Auf ihm verschifft der „Fehntjer“, wie der Colonist nach „Fehn“, dem friesischen Namen solcher Moorcolonien, heißt, seinen Torf und bringt dafür aus den Marschlanden Dünger, fruchtbare Erde und andere Bedürfnisse für den Ackerbau zurück. Der Canal, für den Fehntjer, was für den Hinterwäldler die Straße, ist die große Schlagader des hier halb im Wasser, halb auf dem Lande sich entwickelnden amphibienhaften Dorforganismus. An ihm, der das Moor seiner Länge nach in gerader Linie durchschneidet, siedeln sich die Pächter der Gesellschaft in der Weise an, daß jeder Neuhinzukommende, von der Mündung des Canals aus gerechnet, die letzte Stelle einnimmt. In der Regel ist das Stück Moor, das ihm angewiesen wird, fünfundzwanzig Ruthen breit, die Länge ist verschieden und bisweilen nur durch das Belieben und die Arbeitskraft des Anbauers begrenzt. Von zwei zu zwei solchen Colonistenstellen, also in Zwischenräumen von fünfzig Ruthen, zweigen sich, wie jene, im rechten Winkel sogenannte „Inwieken“, d. h. Nebencanäle, ab, die bei ihrer Mündung überbrückt sind, und ist das Moor sehr breit, so stehen dieselben wieder mit Canälen in Verbindung, welche mit dem Hauptcanal parallel laufen und „Hinterwieken“ heißen.

Der Fehntjer baut sich auf seinem Moorstück zuerst eine Hütte aus Torfsoden. Dann zieht er Entwässerungsgräben, damit der Torf trockne, zusammensinke und zum Ausstechen reif werde. Hierauf legt er sich durch Entfernung desselben in der Nähe der Hütte ein Gärtchen an, und allmählich gewinnt er durch weitere Weggrabungen ein Stück Ackerland, das, mit Canalschlamm oder Mergel gedüngt, gewöhnlich gute Ernten liefert. Die erste Generation hat es bei der langsam vorrückenden Arbeit des Umhackens und Abgrabens sehr sauer. Aber mit der Zeit findet redliches Schaffen seinen Lohn. Wo erst nur Buchweizen und einige Gartenfrüchte gebaut wurden, wird jetzt schöner Hafer und Roggen, goldner Weizen und Raps gewonnen. An die Stelle der niedrigen Hütte tritt ein bequemes und an dessen Stelle später oft selbst ein elegantes Wohnhaus, das hinter sich einen anmuthigen Garten hat.

Nirgends vielleicht sieht man eine so regelmäßige Stufenleiter dörflicher Besitz- und Lebensverhältnisse von der äußersten Dürftigkeit bis zum höchsten Wohlstande als in diesen Fehnen, wenn man den Hauptcanal nach dem Flusse zu durchschifft, nirgends eine solche eindringliehe Illustration der Lehre, daß man mit der Zeit Rosen pflückt und daß Arbeit die Mutter des Reichthums ist. Am obern oder innern Ende des Canals schwarze, schlammige Wildniß, menschenleer, einsam, freudelos, ohne Frucht und Leben. Dann die jüngsten Ansiedlungen, arme Menschen, arme Hütten, ein kleiner Torfkahn davor, ein Stück Buchweizenacker dahinter, weiterhin schwer mit Hauen und Spaten sich mühende Hände in feuchten, mißfarbigen Torfgruben. Dann die Häuser älterer Colonisten, welche die gröbste Arbeit schon überstanden und etwas vor sich gebracht haben, Fenster, in denen sich die Sonne spiegelt, munteres wohlgekleidetes Volk vor den Thüren, Obstbäume, Blumenbeete, reichtragendes Feld, Wiesen mit Kühen und Schafen darauf. Endlich am äußern Ende des Canals die ältesten Ansiedlungen des Fehns, stattliche Gehöfte mit Gebäuden so groß wie die von Rittergütern, von Frucht strotzende Gärten, Häuser daneben, die man Villen nennen könnte, fette Fluren dahinter, die unabsehbar scheinen, Vieh in Fülle, prächtige Pferde und Rinder, Alles grün im Sommer, golden im Erntemonat, ein Bild des Segens, wie es die Marsch nicht erquicklicher zu bieten hat. Was mag der Alte im weißen Haar denken, der dort vor der Thür auf den Canal hinabschaut und in dem armen Torfschiffer aus dem Innern des Fehns seine Vergangenheit vorübergleiten sieht! Und wie mag sich dieser wieder über die Noth und Last des Anfangs getröstet finden, wenn er hier seine Zukunft erblickt oder die seiner Kinder!

Auch im Herzogthum Bremen, d. h. in dem Theile Nordhannovers, der zwischen der Unterweser und Unterelbe liegt, giebt es Moorcolonien der geschilderten Art, die, siebenundachtzig an Zahl, von ungefähr fünfzehntausend Menschen bewohnt sind und seit ihrer Gründung in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts etwa vier Quadratmeilen Landes unter Cultur gebracht haben. Wichtiger sind die neunzehn Fehne Ostfrieslands, die zusammen fast zwei Quadratmeilen einnehmen und von nahezu vierzehntausend Menschen bewohnt sind, so daß hier etwa siebentausendundsiebenhundert Seelen auf die Quadratmeile fallen, während die bevölkertsten Polder der Marsch im benachbarten Rheiderland kaum zweitausend auf derselben zählen. Und unter diesen ostfriesischen Fehntjern giebt es keinen Bettler. Während das unbedeutende Steuerquantum der Moorcolonien, die durch Brennen cultiviren, bisher fast regelmäßig bis die Hälfte niedergeschlagen werden mußte, weil viele Colonisten zahlungsunfähig waren, kamen in den Fehncolonien beinahe niemals Nonvalenten vor.

Die großartigste Fehncolonie Hannovers ist aber Papenburg, früher ein Flecken, seit 1860 eine Stadt. Es liegt im Herzogthum Aremberg-Meppen, und so kehren wir, uns zu ihm wendend, wieder in’s eigentliche Muffrikanische zurück, welches manche Schwächen und manchen komischen Zug haben mag, aber, wie wir sahen und sogleich weiter sehen werden, auch sehr respectable Seiten hat und überhaupt nicht so schlimm ist, wie sein Ruf unter den Althannoveranern.

Wo jetzt Papenburg steht, war vor etwas länger als zweihundert Jahren ein weites wildes Moor, auf dem nichts als ein verfallenes Haus von Stein und sieben elende Hütten standen. Da rief Dietrich van Veelen, der den Landstrich gekauft, 1675 von allen Seiten durch das Versprechen großer Freiheiten Ansiedler herbei, um eine Moorcolonie nach dem Muster der in Holland bereits bestehenden zu gründen. Dieselbe gedieh von Jahr zu Jahr besser, und neben dem Ackerbau, den die Bewohner trieben, entwickelte sich mit der Zeit eine Rhederei, wie sie kein anderer Ort Hannovers in solcher Bedeutung aufzuweisen hat.

Das System von Canälen, welches seitdem hier entstanden ist, hat eine Gesammtlänge von 5½ Wegstunden. Der eine Meile lange Hauptcanal geht durch das Droster Siel, wo sich die großen Werften Papenburgs befinden, in die Ems. Die Stadt selbst zieht sich zu beiden Seiten der Canäle durch das Fehn, welches, im Ganzen etwa siebenzehntausend Morgen groß, in etwas mehr als der Hälfte seines Flächenraums vollständig in Felder, Wiesen und Gärten verwandelt ist. Die Einwohnerzahl, zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts ungefähr dritthalbtausend, hat sich seitdem mehr als verdoppelt. Statt der sieben Torfhütten von 1675 hatte der Ort 1865 nicht weniger als siebenhundert und achtzig Häuser und dazu drei Kirchen. Statt der wenigen Torfkähne,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_775.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)