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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

todtlachen, mit einer so seltsam heftigen Heiterkeit, daß ich nicht begriff, was ich mir dabei denken sollte. Die Tante schien es zu verdrießen, sie sah das Mädchen unwillig an, wagte aber doch kein Wort des Vorwurfs zu sagen. Ich stand und wunderte mich; endlich setzte das Mädchen sich wieder aufrecht, trocknete sich die gelachten Thränen und sagte zur Erklärung: sie wolle lieber am Lachen sterben, als einen Menschen mit so rothen Ohren heirathen. Unwillkürlich sah ich in den gegenüberhängenden Spiegel und sah meine Ohren an; sie waren weiß und bescheiden. Darüber brach sie nun wieder in ein kindisches Gelächter aus. „Sie ist eine rechte Trine, Friedrich,“ sagte die Tante verdrießlich und schrammte auf ihren Hausschuhen in das andere Zimmer. Mir aber fiel unsere alte Verabredung aus den verliebten Halbekinder-Jahren ein, mit der sich Anna und ich damals auf’s Beste unterhalten hatten: daß ich sie heirathen solle, wenn sie mit dreißig Jahren noch unvermählt sei. Gott sei Dank, dachte ich, indem ich wieder hinausging, sie ist erst einundzwanzig!

Aber nun endlich genug von diesen Kindergeschichten! Ich will den guten Homer wieder zur Hand nehmen, will wieder im Baum der Menschheit etwas höher hinaufklettern. Es wird auch Zeit! Lebe wohl!




Dritter Brief.

Dem Himmel sei Dank, liebste Julie, ich athme wieder auf; nun fühl’ ich erst, wie ich mich nach dieser Befreiung gesehnt hatte! – Ja, Schwesterherz, ich habe Aussicht, in meine geliebte wärmere Welt zurückzugehen. Frau Amanda, unsere vortreffliche Freundin, die Dir diesen Brief überbringt und mit der ich hier einen viel zu kurzen, herzerquickenden Tag verlebt habe, wird Dir mehr davon erzählen. Genug, ich werde die Bibliotheken durchwühlen, die alten Geschichten ausgraben und darüber die Gegenwart und ihr Vorrecht nicht vergessen; ich werde wieder am Arno lustwandeln, vom Capitol auf die Erde heruntersehen – und dann wird diese vaterstädtische Idylle wie ein kurzer närrischer Traum in meiner Seele entschlafen. Ich übernehme zwar Verpflichtungen auf längere Zeit, aber sie sind ein gern gebrachtes Opfer, das ich den alten Heidengöttern und den südlichen Lüften bringe. Hier hielt’ ich es doch nicht aus; ich sehe es täglich. Nur der alte Gewohnheitsteufel ist es, der mich immer wieder unter die Stadtmauerlinden, vor’s Mühlenthor hinaus, – in Anna’s Haus führt. Und nichts unwürdiger, als sich von einer Gewohnheit schleppen lassen, die keine Frucht trägt, die nie eine tragen kann, noch tragen konnte.

Ach, Schwester, und wie ich sie bei alledem von Herzen bedaure! Wenn ich Anna’s Leben überdenke, so wird mir Alles begreiflich und verzeihlich, was den flüchtigen Zuschauer nicht anders als ungeduldig machen kann. Du hättest sie in jenen ersten Zeiten kennen sollen, als sie nach ihrer Mutter Tode zu uns in’s Haus kam, so eine kleine blasse, verschüchterte Waise; aber unter den Fittichen unserer guten Mutter lebte sie auf, der kleinen Seele wuchsen ein paar goldene Flügel. Man nannte sie damals im Hause die „Schwärmerin“, und es mag auch etwas daran gewesen sein: für mich, ihren Spielgenossen, war sie ein rechtes Märchenkind, das frei und offen und liebenswürdig in die Welt hineinwuchs, wie wenn ihr Alles gehörte. Gott, wir waren noch jung; ich weiß, mit welcher Achtung ich zu Dir hinaufsah, die damals in der Residenz, in der Pension, ihre französischen Zopfstyl-Poeten absolvirte. Wir lernten unterdessen unser gewöhnliches Deutsch, träumten den Himmel an, ließen unsern Theaterpuppen Tugend und Edelmuth ausströmen und sogen aus den „Räubern“ und „Wilhelm Tell“ die Nahrung hoher Gefühle. Das war die Anna von damals! Die schöne Saatzeit ihrer guten Seele war zu kurz: denn nun kam die Tante angezogen, forderte sich ihr geliebtes Nichtchen, steifte sich auf die „heiligen Bande des Bluts“ und versetzte die zarte Pflanze in den gröberen Boden, in die trocknere Luft. Die alte Trompete, mit all’ ihrer gutherzigen Zärtlichkeit, verstand von Erziehung so viel wie ich vom Corsettschneidern, und sie ließ sich nicht dreinreden, sie hätte sich am liebsten mit ihrem Nichtchen unter eine große Glocke gesetzt. So wuchs das Kind zwischen Gehorchen und Befehlen ziellos heran und suchte nur in dieser rauheren Umgebung ihre feineren Fühlfäden einzuziehen. Es gab auch allerlei Unsauberes um sie her, kleine gemeine Zustände, kleine gemeine Menschen; davon erschreckt, begann sie ihr seltsames, starres, zur Gewohnheit werdendes Versteckenspielen, um ihren inneren Funken nicht zu verrathen, um nicht verhöhnt, um nicht getreten zu werden. Denn in enger Luft, unter unedlen Menschen giebt es wohl keinen stärkeren Trieb, als die Scheu vor Lächerlichkeit. Um der hundertäugigen Spottsucht zu entgehen, umhärtet man sich lieber wie ein Schalthier, geht mit Krebsen den Krebsgang oder vergräbt sein Pfund wie jener unweise Knecht. Und so, denk’ ich mir, entstand in ihrer offenen Seele diese schauspielende Verschlossenheit. Ich sehe, sie hat kein reines, aufrichtiges Verhältniß zu keinem Menschen. Sie will nicht besser sein als die Andern um sie her und ist es doch und sucht’s vom Morgen bis zum Abend zu verbergen. Ja, ich beobachte sie, Julie, und täglich find’ ich von Neuem, daß ihre alten goldenen Flügel sich regen, aber der harte Selbstzwang drückt sie nieder, oder läßt sie nur hinter Gittern und Mauern flattern, verstohlen, ganz verstohlen. Zuweilen verräth mir plötzlich ein verlorenes Wort, daß sie irgend ein gutes Buch mit Eifer gelesen, von dem sie beharrlich geschwiegen, über das sie unter den Menschen nie ein Wörtchen mitgeklatscht hatte. Sie hatte dann stumm und träumend dagesessen und gedacht an – wer weiß es?

In diesen letzten Wochen ärgerte sie mich oft damit, daß sie nicht singen wollte, daß sie gegen alle die alten guten melancholischen Lieder lästerte und, so oft ich sie um irgend ein innigeres Musikstück bat, ihr eigensinniges Nein sagte. Sie spielte nur, was ihre Freundinnen spielten, das Neueste vom Leihinstitut, die fabrikmäßigen Salonstücke mit den französischen Titeln. Doch wie ich gestern Abends zu ihr komme – die Tante war nicht daheim, es war schon dunkel geworden, und sie glaubte sich unbelauscht – da höre ich sie die Lieder singen, die holden, herzlichen, rührenden Lieder, nach denen ich mich in Italien so oft gesehnt hatte, darunter auch dies – liebes Herz, Du kennst es:

Es steht ein Baum im Odenwald,
     Der hat viel grüne Aest,
Da bin ich schon viel tausend Mal
     Bei meinem Schatz gewest.

Der Vogel sitzt in seinem Nest
     Wohl auf dem grünen Baum.
Ach, Schätzel, bin ich bei Dir gewest
     Oder ist es nur ein Traum?

Und als ich wieder kam zu Dir,
     Gehauen war der Baum – –

Liebe Julie, mir lief das Herz davon und die Augen über; ich stand noch immer draußen auf dem Gang, ich hatte den Muth verloren, einzutreten. Mit meinen kindlichen Thränen auf der Backe schlich ich mich davon. Draußen schienen die Sterne, der Mond wanderte neben mir an dem blinkenden Fluß, meinem ältesten Freund, entlang. Mir ging so viel Altes und Neues durch die Seele, köstlich-unsterbliche Erinnerungen; ich hätte sie um nichts dahingegeben.

Ich wollte so nicht heimgehen, es zog mich noch zu der guten heimlichen Sängerin zurück, gerührt, wie ich war. Als ich wieder hinauf komme und vor der Zimmerthür horche, ist Alles still. Ich klopfe leise, Niemand ruft Herein; endlich öffne ich – und da saß sie beim Mondlichte auf ihrem Stuhl am Fenster, in die Ecke gedrückt, und war eingeschlafen. Der Kopf lag so friedlich auf der Schulter; ich schlich näher heran, aber nun sah ich die ernsten, großen, schweren Züge, ein Gesicht wie aus dem Traum, die Lippen schmerzlich verzogen; – so hatt’ ich sie nie gesehen. Mir ward ganz beklommen zu Muth; die Hyacinthen am Fenster wirkten mit ihrem starken Duft wie Wein auf meine Sinne; dazu ihr luftiges gelbes Kleid, von der gleichen Farbe wie damals, als ich ihr Kleid auf halbe Meilen erkannte, – und darüber diese melancholisch gereiften Züge – liebe Julie, ich fühlte mich seltsam erschüttert. Auf einmal erwachte sie, wie von meinen Blicken aufgestört, starrte erschreckt zu mir auf, – und wie ein Bild des Gehirns verweht, war ihre ernste Schwermuth ausgelöscht, das Gesicht wieder still und kalt, sie hatte die alte Maske vorgebunden.

Dies war mir endlich zu viel. Als sie sich aufrichtete und mich mit einer ihrer nüchternen Fragen scheinbar ganz gelassen anredete, schüttelte ich mich, wie mit kaltem Wasser übergossen, trat an’s andere Fenster und sah, auf’s Widrigste verstimmt, hinaus, ohne ihr Antwort zu geben. Sie schien nun selbst zu fühlen, was in mir vorging. Auf ihren leisen Füßen kam sie mir nach. Sie rührte meine Schulter an, zog aber hastig die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 788. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_788.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)