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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

des Polizeidieners hielt und schnell wieder einsteckte, und bemächtigte sich der Waare, welche die arme Dirne jetzt nicht mehr zu vertheidigen vermochte. Diese folgte, den ungleichen Kampf aufgebend, dem Polizeidiener und die Menge verlief sich etwas unwillig über den unpoetischen Schluß des kleinen Dramas.

Wer aber war der Mann, die wie ein Deux ex machina so unerwartet den Knoten löste? Ein Agent, der in Civilkleidern die öffentliche Sicherheit und die Sittlichkeit überwacht. Diese Agenten bilden in Paris eine kleine Schaar, die den Namen „Brigade de Sûreté“ führt. Sie stehen unter dem Befehl eines Brigadiers, zweier Sousbrigadiers, eines Generalinspectors und eines Officier de Paix, und diese Beamten stehen sämmtlich ihrerseits unter dem Befehl des Polizeipräfecten. Sie werden aus den Unterofficieren der Armee genommen, müssen sich eines guten Rufes, einer vortrefflichen Gesundheit erfreuen und dürfen das Alter von fünfunddreißig Jahren nicht überschritten haben. Auch wird von ihnen eine gewisse Schulbildung verlangt; sie werden zu diesem Zwecke einem Examen unterworfen. Nach seiner Ernennung erhält ein solcher Agent eine sogenannte Sicherheitskarte (carte de sûreté). Dieselbe hat eine ovale Form und ist auf der einen Seite roth, auf der andern gelb. Auf der rothen Seite befindet sich der kaiserliche Adler und die Inschrift: „Surveillance générale“, auf der gelben Seite stehen die Worte: „Le Nommé X – a le droit de requérir au besoin la force publique“. (Der X. hat das Recht, nöthigenfalls die öffentliche Gewalt in Anspruch zu nehmen.)

Er darf jeden Verbrecher verhaften, der auf frischer That ertappt wird. Sein ganz besonderes Amt ist es aber, die Prostitution zu überwachen und beständig auf der Fährte der Schaar von Unterhändlern, Kupplern und Verführern zu sein, die in der Weltstadt ihr Unwesen treiben. Daß dieses Amt nicht leicht und gefahrlos ist, kann man sich unschwer denken. Es erfordert sehr viel Muth und Unerschrockenheit, sehr viel Scharfsinn und Geistesgegenwart.

Der Agent hat seinem Vorgesetzten jeden Tag einen ausführlichen Bericht einzuhändigen über das, was er am vorhergehenden Tage beobachtet hat. Außer seinem Jahresgehalte, der von zwölfhundert bis zu dreitausend sechshundert Franken steigen kann, erhält er noch jährlich zweihundert Franken für Wohnung, zwölf Sous täglich für Omnibusfahrten und zwölf Franken monatlich als Prämie für bewirkte Verhaftungen. Er hat sich um halb acht Uhr Morgens in seinem Büreau einzufinden. Um fünf Uhr Nachmittags ist er frei – wenn es nichts zu thun giebt. Jeden fünften Tag muß er bis elf Uhr Abends auf der Wache sein. Er hat außerdem noch manche Nacht zu durchwachen; ist dies der Fall, so darf er am folgenden Tage ausruhen. Erst nach dreißigjährigem Dienste hat er Anspruch auf Pension.

Diese Agenten heißen auch „Agents de moeurs“. Sie sind auf allen öffentlichen Tanzplätzen, in zweideutigen Wirthshäusern und in allen Anstalten zu finden, wo die weibliche Verdorbenheit nach Beute sucht. Sie gehen selten einzeln, meistens zu Zweit auf ihre Streifzüge, auf denen sie sich häufig ernsten Gefahren aussetzen.

Die Agent de moeurs haben eine ganz eigenthümliche Industrie in’s Leben gerufen. Da sie nämlich im Geheimen wirken und keine Uniform tragen, geben sich viele Taugenichtse und Pflastertreter für solche Agenten aus, drohen mit Verhaftungen und lassen sich durch Geld zur Milde bewegen. Die falschen Agenten, auf welche die wahren beständig Jagd machen, finden sehr häufig ihre Opfer unter Denen, die noch nicht lange auf der Bahn des Lasters wandeln; die Erfahrenen jedoch, die mit der Polizei bereits ein Hühnchen zu pflücken hatten, fragen gleich, wenn sich ein Agent bei ihnen einfindet, nach seiner Karte. Der falsche Agent, der natürlich keine solche besitzt, setzt sich der Unannehmlichkeit aus, hinter nackten Kerkermauern seine Keckheit zu bereuen.


Zur Tractätchenliteratur. Die Gefährlichkeit des Mysticismus, namentlich für geistig beschränkte Personen, ist längst von verständigen und echtes Christenthum hochschätzenden Menschen anerkannt. Dennoch wird zu wenig gethan um dem Treiben der Dunkelmänner, denen man Zähigkeit und Ausdauer in ihren verderblichen Bestrebungen nicht absprechen kann, entgegen zu arbeiten.

Wir wollen deshalb uns hier mit einem Gegenstande beschäftigen, der, obgleich bekannt und weit verbreitet, noch immer nicht die Beachtung gefunden, die er verdient, und der doch so unendlich viel Schaden anrichtet. Wir meinen die sogenannten Tractätchen, die, gratis zu Tausenden ausgetheilt, Ansichten und Begriffe im Volke verbreiten, welche ganz geeignet sind, alles Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes zu ersticken. Denn während Christus uns den Schöpfer als den liebevollsten Vater darstellt, lehren Jene, daß Gott ein Gott des Zornes, der Rache und ein Tyrann sei, der schlimmer wüthet und quält, als je ein Mensch auf Erden es gethan.

Zum Beweise, daß dies keine Uebertreibung ist, mögen einige Stellen aus einer dieser sogenannten Erbauungsschriften buchstäblich folgen. In Nr. 140 der von der „Niedersächsischen Gesellschaft zur Verbreitung christlicher Erbauungsschriften“ herausgegebenen Tractätchen heißt es in dem Aufsatze: „Die Natur der Bekehrung und Anleitung zu derselben“ Seite 9 wörtlich:

„Beschuldige Dein Herz; führe seine Sünden demselben vor, und Du wirst nicht mehr gut von Dir denken. Betrachte, was Deine Sünde verdient hat; sie schreiet zum Himmel um Rache gegen Dich; ihr Verdienst ist Tod und Verdammung; sie bringt den Fluch Gottes auf Deine Seele und auf Deinen Leib. Das kleinste sündliche Wort, ja der kleinste sündliche Gedanke legt Dich unter des Allmächtigen Zorn. O, was für eine Ladung des Zorns, welches Gewicht des Fluches, welche schreckliche Rache haben Deine Millionen von Sünden verdient!“

Auf derselben Seite und Seite 10 heißt es ferner:

„Bestrebe Dich, ein tiefes Gefühl Deines gegenwärtigen Elendes in Dir lebendig zu machen. Bedenke, wenn Du Dich niederlegest, daß Du nicht gewiß bist, ob Du nicht aufwachest in den Flammen und in der Marter; und bedenke, wenn Du aufstehest, daß vielleicht, ehe die nächste Nacht kömmt, Du in der Hölle gebettet bist. Bist Du noch zufrieden, in diesem furchtbaren Zustande zu bleiben? zitternd über dem Abgrunde höllischer Qualen zu stehen, nicht wissend, wie bald ein Zufall oder eine Krankheit Deine arme, sündliche, verdammte Seele in den ewigen Brand hinabstürzt?“

Ferner Seite 11:

„Bedenke, was es ist, in ewiger Qual, wo der Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht verlöscht, mit dem Teufel und seinen Engeln in ewiger Verzweiflung zu leben.“

Kaum sollte man es für möglich halten, daß solche Blasphemien gedruckt und verbreitet werden dürften, wenn nicht die Thatsache Schwarz auf Weiß vorläge.


Der „Dichter der Gartenlaube“, Albert Traeger giebt, wie vielen unserer Leser bekannt, seit einer Reihe von Jahren eine Neujahrsgabe heraus, der durch ihren textlichen wie illustrativen Inhalt und ihre prachtvolle äußere Ausstattung ein hervorragender Platz in der alljährlich massenhafter auftretenden Weihnachtsliteratur gebührt. Es hat sich dies Jahrbuch, unter dem Titel: „Deutsche Kunst in Bild und Wort; Originalbeiträge deutscher Maler, Dichter und Tonkünstler“ – im Verlag von J. G. Bach in Leipzig – bereits so sehr in den deutschen Häusern und auf den deutschen Christtischen eingebürgert, daß wir hiermit blos mittheilen wollen, wie soeben der neueste Jahrgang des eleganten Werkes erschienen ist, überzeugt, damit gar vielen Lesern und namentlich Leserinnen der Gartenlaube die Wiederkunft eines alten lieben Freundes zu verkünden. Eine Würdigung des Buches, das uns fast noch reicher geschmückt dünkt, als die ihm schon vorhergegangenen neun Bände, behalten wir uns für später vor.



Inhalt: Heimath. Novelle von Adolf Wilbrandt. (Schluß.). – Flüchtige Federzeichnungen aus Deutschlands Großstädten. 1. Ein Billet zum Berliner Opernhause. Von Max Ring. Mit Abbildung. – Der geheimnißvolle Doctor. – Auf den Flügeln des Stahls. Von Max Wirth. Mit Abbildungen. – Blätter und Blüthen: Der Sittenagent. – Zur Tractätchenliteratur. – Der „Dichter der Gartenlaube“.




Nicht zu übersehen!


Mit nächster Nummer schließt das vierte Quartal und der fünfzehnte Jahrgang unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten ihre Bestellungen auf das erste Quartal des neuen (sechzehnten) Jahrgangs schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Thatsache, daß die „Gartenlaube“ am Schlusse ihres fünfzehnten Jahrgangs in einer Auflage von
mehr als 230,000 Exemplaren

verbreitet ist, überhebt uns jeder weitern Darlegung, wie sehr es unserm Blatte gelungen, die Gunst des Publicums zu erlangen und sich zu bewahren. Die Namen unserer Mitarbeiter sind in ihrer Mehrzahl den Lesern alte liebe Freunde, wir brauchen sie daher nicht mehr aufzuzählen; wir wollen nur aus der Fülle von werthvollen literarischen und artistischen Beiträgen, die uns wiederum vorliegen, einige wenige nennen, welche in der nächsten Zeit zum Abdrucke kommen werden. Es sind dies u. a., außer den bereits früher angekündigten:

Reichsgräfin Gisela. Erzählung von E. Marlitt, Verfasser von „Goldelse“. – Der hessische Schatz. Novelle von Levin Schücking.

Erinnerungen an Heinrich Heine. Von Heinrich Laube. – Die Herbergen der Gerechtigkeit. Von Aug. Becker. Mit Abbildungen. – Aus meinem Leben. Von Karl v. Holtei. – Das norddeutsche Nürnberg. Von Mor. Busch. Mit Illustrationen. – Die Menschenfresserei. Von Rich. Andrée. – Skizzen aus dem Land- und Jägerleben. Wort und Bild von Ludwig Beckmann. 2. Das Deputatsstück. – „Der alte Feldherr“ in Solothurn. Mittheilungen eines Zeitgenossen. Mit Illustrationen. – Die Blattpflanzen und ihre Cultur. – Bilder aus dem Schwarzwald. Von Ludwig Steub. Mit Illustrationen von Theodor Pixis. – Ein königlicher Dramatiker. – Nach dem Maskenball. Von Rud. Löwenstein. Mit Bild von L. Katzenstein. – Das altdeutsche Haus. Von Moritz Heyne. – Erinnerungen aus dem Burschenschaftsjubiläum auf der Wartburg. Mit Illustration von E. A. Döpler. – Die drei preußischen Wehs. Von Max Ring. – Eine Bergpredigt in Franken. Mit Abbildung. – Am Theetisch Bettina’s. – Thiercharaktere von Adolph und Karl Müller. 1. Das Eichhörnchen. – Ein Schwingfest im Berner Oberland. – Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege: Der Marketender von der siebenten Division. – Für die in und mit Staub Arbeitenden. Von Bock. – Rheinfahrten von Ferdinand Heyl. Mit Abbildungen. – Goethe und Oeser. Mit Illustration.

Leipzig, im December 1867. Redaction und Verlagshandlung. 


Zur Nachricht.Für diejenigen Abonnenten, welche sich die Gartenlaube einbinden lassen, sind durch uns auch zum Jahrgang 1867

höchst geschmackvolle Decken

nach eigens dazu angefertigter Zeichnung zu beziehen. Alle Buchhandlungen sind in den Stand gesetzt, dieselben zu dem billigen Preise von 13 Ngr. zu liefern. Die Verlagshandlung. 



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_832.jpg&oldid=- (Version vom 6.9.2023)