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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


in’s Verderben. Aber es giebt Leidenschaften, in welchen wir nichts als die Führung zum Glück sehen. Die Liebe ist solch eine Leidenschaft.“

„Wie könnte etwas zum Glück führen, was Sie selbst mit Krieg, Sturm, Wetter und verhängnißvollen Schicksalsmächten zusammenwerfen?“

„Die Verhängnisse drücken uns nur, so lange wir uns gegen sie stemmen. Sobald wir uns ihnen unterwerfen und hingeben, können sie das Glück bringen.“

„Die Unterwerfung,“ rief Fräulein Blanche aus, „ist nicht Jedermanns Sache. Ein besonnener und starker Mensch hütet sich vor der Hingebung und führt den Zügel seines Schicksals selbst.“

„Frauen nicht immer mit dem Geschick, womit ich Sie in so fester Hand die Zügel lenken sehe!“ warf ich ein.

„Doch könnte es jede. Man muß es nur lernen wollen und man kann es!“

„Unsere Straße ist sehr glatt und eben, eine vortreffliche Vicinalstraße,“ sagte ich lächelnd; „vielleicht kommt noch eine schmale Brücke, ein Ausweichen, eine schwierige Stelle, wo ich die Genugthuung habe, Ihnen helfen zu müssen.“

„Es wäre sehr thöricht, wenn ich Ihre Hülfe erbäte, ehe ich weiß, ob Sie dann fahren können.“

„Das ist wahr, ich muß nach einer Gelegenheit suchen, um es Ihnen zu beweisen und ich wünsche nichts mehr als das!“

„Da ist Colomier aux Bois!“ sagte jetzt der Geistliche, auf eine Burgruine in der Nähe deutend.

Wir hatten längst eine Wendung gemacht und waren in ein höchst romantisches Seitenthal, das ein dem Oignon zuströmendes Gewässer bildete, eingefahren. Schroffe Felsen und pittoreske Klippenbildungen engten rechts und links die Thalsohle ein. Das Gewässer rauschte nahe unter uns in einem tief durch das Gestein gewühlten Bette – oft schoß es schäumend in heftigen Stromschnellen dahin; zuweilen zog sich unser dem Ufergestein abgewonnener Weg in steilen Erhebungen empor; dann hatten wir das tosende Gewässer in einer abgrundtiefen Schlucht unter uns und erhielten prachtvolle Ueberblicke über das romantische kleine Flußthal. Die Burgruine mit dem Belfried, die im Süden vor uns, wo das Thal vollständig abgeschlossen schien, von einem höheren Rücken herüberblickte, hatte ich längst in’s Auge gefaßt; Fräulein Blanche hatte bis jetzt nicht daran gedacht, mich auf dies unser Ziel aufmerksam zu machen. Sie war überhaupt nicht so liebenswürdig, wie sie es gestern gewesen; es war etwas Gereiztes in ihrem Wesen; sie warf wie Vorwürfe die Worte hin, die sie mir antwortete, mit dem schmollenden Aufwerfen der Lippen, durch das uns Frauen ihre Ungnade an den Tag legen. Was hatte sie? Reute sie die große Freundlichkeit, die in dieser unserer Fahrt für mich lag? Sie selbst hatte sie doch vorgeschlagen!

Mich, ich muß es gestehen, beunruhigte es. Ich war von Fräulein Blanche nach jener ersten abendlichen Unterhaltung schon bezaubert – aber auf dieser Fahrt verliebte ich mich in sie. Es sah so edel, so schön, so stolz und vornehm aus, dies Profil des vorwärts gerichteten, in die Ferne blickenden Kopfes, das ich neben mir hatte. Ihr dunkles Auge hatte einen so seelenvollen Blick; es sprach so fesselnd von der räthselvollen Gemüthstiefe, die der Deutsche in den Augen sucht, in die er sich verliebt; es hatte so gar nichts von dem Wechsel von trügerischem Sanftmuthsschlummer und leidenschaftlichem Feuer der Südländerinnen; in all ihrem einfachen natürlichen Wesen sprach sich eine solche Klarheit eines starken, sich selbst bewußten und tüchtigen Charakters aus; und ich, ich war vollständig von dieser schönen und fesselnden Erscheinung befangen … ich hätte so im leichten Gefährt neben ihr immer weiter rollen mögen in diese schöne sonnige Gotteswelt hinein, ohne Ziel, ohne Ende – in ihren Händen die Zügel unseres Fahrzeuges!

Wir kamen an einen kleinen Weiler; die Bergwände traten an einer Stelle unseres Weges zurück; der offene Raum war dazu benutzt, eine Mühle zu erbauen, in deren Räder sich ein dünnes, über blank gewaschenes Gestein niederrauschendes Gewässer stürzte; umher standen kleine auf Wohlhabenheit deutende Häuser mit Blumengärtchen nach der Straße hin. Die Reihe dieser Häuser zog sich, zwischen Bergwand und Chaussee liegend, unsern Weg entlang. Als unser Wagen an diesen Wohnungen vorüberrollte, stürzten aus mehreren derselben die Einwohner heraus; auf ihren Schwellen stehend, starrten sie die preußischen Uniformen an, stießen auch Rufe aus, die ich nicht verstand. Ein Paar Bursche, die uns entgegenkamen, blieben inmitten des Weges stehen, als ob sie Lust hätten, unser Gefährt aufzuhalten. Es war nicht unmöglich, daß sie auf den Gedanken geriethen, Fräulein Kühn werde eben von diesen Deutschen entführt … war das der Fall, so wurden sie bald beschwichtigt, denn das Fräulein rief ihnen einige Worte entgegen, worauf sie grüßend die Mütze zogen und bei Seite traten, um uns doch mit sehr zornigen und haßerfüllten Blicken nachzuschauen.

(Fortsetzung folgt.)


„Du forderst viel, o Vaterland!“

„Gepackt, gesiegelt! Nun geh’ hin,
Erfreue meinen Herzensjungen!
Wär’ ich so jung wie alt ich bin,
Ich wär’ der Feldpost nachgesprungen,

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Gelaufen wär’ ich Tag und Nacht,

Hätt’ ihm dies Päcklein selbst gebracht.

Denn Alles, was ich denk’ und thu’
Vom Morgen- bis zum Abendsegen,
Eilt meinem Sohn, dem einz’gen zu,

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Der ist mein Alles allerwegen.

Und was ich für ihn thu’ und sinn’,
Das steckt in diesem Päcklein drin.

Die Jacke und die warmen Socken,
Die strickt’ ich selbst beim Lampenlicht.

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Das war des Kindes erst Frohlocken,

Die Augenlust vergess’ ich nicht.
Jetz siegl’ ich bei demselben Schein
Dem Kriegsmann seine Gabe ein.

Ein Päckchen Tabak, und dazu

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Ein Tütchen Kaffee, fein gemahlen,

O wenn er das erblickt! Im Nu
Wird ihm die Freud’ im Auge strahlen –
Gewiß, im Geiste sitzt er hier
Am trauten Tische neben mir.

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Das Geld, das ich für ihn gespart,

Wird seinen Blick zum Wandschrank wenden,
Wo schon der Vater aufbewahrt,
Was er erschwang mit harten Händen.
Jetzt ist’s der Wittwe karger Lohn,

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Den spart die Liebe für den Sohn.


Und ganz zu unterst, fast versteckt,
Liegt, was die Liebste ihm geschrieben.
Warum? Daß er es erst entdeckt,
Wenn er erkannt, daß meine Liebe

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Ihm heute noch am nächsten steh’ –

Wenn’s anders wär’, das thät’ mir weh!“

So hat das Mütterlein bewegt
Ihr Werk vollbracht in stillem Sehnen.
Ob auch der Mutterstolz sich regt,

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Auf’s Siegel fallen heiße Thränen,

Und zitternd preßt das Herz die Hand:
Du forderst viel, o Vaterland!

Friedrich Hofmann.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_040.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2017)