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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Alexander Dumas hat durch seine Schauspiele, seine Tragödien, seine Romane die liederliche Sittenlosigkeit, die großthuende Patzigkeit, das Maulheldenthum – das zuletzt das ganze Heer des Kaiserthums angesteckt hatte, in alle Schichten des Volkes übergetragen. Sein Talent war groß, die Müßigen zu fesseln, die Nervenschwachen zu kitzeln, die Launengeplagten zu unterhalten. Man las und ließ sich gehen. Aber wer diese bodenlose, gewissenlose, grundsatzlose, sittenlose und in Wahrheit auch muth- und ehrlose Aufschneiderei nicht am Ende mit Ekel aus der Hand warf, der nahm ein Giftkorn in sich auf, das Wurzel faßte, und ihn schließlich selbst zum ehr- und sittenlosen Großsprecher machte.

Ehre dem Ehre gebührt, vor Allem – der Wahrheit! Diese Alexander Dumas und Genossen haben die französische, die Pariser Gesellschaft zu Dem gemacht, was sie unter dem Kaiserthum war, zur „Demi-monde“.

Zu Anfang des Julikönigthums hatte man in Paris – wo immer Zuchtlosigkeit genug im Zwielicht des Halbgeheimnisses herumschlich, – noch keine Ahnung von dieser in Gold und Prunk umherfahrenden frechen Zuchtlosigkeit, die die ganze französische Gesellschaft nach und nach durchdrang. Sie wurzelt in den Kreisen, in der Literatur, in dem Gedankenfluge, aus denen die Dumas’schen Schriften hervorgingen; – vielleicht, daß sie unter den Trümmern des Jahres 1870 mit dem „Vater“ Dumas, dem glänzendsten Typus der geistreichen Verkommenheit, der prunkenden und prahlenden Fäulniß des Kaiserthums, begraben wird. Zum Heile Frankreichs! Zum Heile der Menschheit!

J. Venedey.

Unsere Marine auf der Loire. (Mit Abbildung.) Unserer norddeutschen Flotte war in diesem Kriege kein freundliches Loos gefallen. Von Kampflust beseelt, von der Unruhe beständig in Athem gehalten und dennoch zur Unthätigkeit verdammt, mußte sie mit Neid auf die Landarmee blicken, der bis zur Stunde an keinem Tage die blutige Aufgabe gefehlt hatte und an keinem Abend der Sieg. Zwar dann und wann wohl zeigten sich Abtheilungen der feindlichen Flotte, und es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß das jedesmalige Erscheinen derselben einen wahren Jubel auf deutscher Seite hervorrief; aber die Hoffnungen auf Kampf wurden stets auf’s Neue getäuscht – die feindlichen Schiffe ließen es immer wieder zu keinem ernsten Angriff kommen und beschränkten sich darauf, Seekaperei zu üben und friedliche Handelsschiffe hinwegzunehmen. Nur ein einziges Mal rollte der Donner der Kanonen über die Wogen des Meeres hin, zum Zeichen, daß Kriegsdampfer der beiden sich befehenden Nationen aufeinander gestoßen seien – das war aber im fernen Ocean gewesen, an den grünen Küsten der Havana, und die lebendigste Freude über den glänzenden Sieg, den der wackere „Meteor“ errungen, war bei der Marine unserer Küstenländer auch diesmal nicht frei von einer kleinen Dosis herben Beigeschmacks, welcher der Eifersucht auf’s Haar glich.

So hatte man denn schon allen Glauben daran fahren lassen, selbst noch in dem Feldzuge werkthätig zu sein, als plötzlich die Ordre kam, sofort hundertzwanzig Mann Marine sammt Officieren marschbereit zu machen, nach Orleans zu befördern und mit ihnen zum Schutze der deutschen Brückenübergänge die auf der Loire eroberten vier französischen Kanonenboote zu besetzen. Mit ausgelassener Freude wurde diese Nachricht aufgenommen, Jeder drängte sich zur freiwilligen Anmeldung vor, doch, wie immer, traf nur Wenige das Loos der Auserwählten. Diese aber hatten sich vor Allem einer völlig neuen Equipirung oder Ausrüstung zu unterziehen, da es darauf ankam, sie nunmehr zu Wasser wie zu Land kampffähig zu machen.

Es interessirt unsere Leser wohl, bei dieser Gelegenheit überhaupt Etwas über das Aussehen unserer Matrosen zu erfahren das ja – von Süd- und Mitteldeutschland ganz abgesehen – selbst in den von den Küsten entfernter und mehr landeinwärts gelegenen Strichen Norddeutschlands ein so gut wie unbekanntes ist.

Der deutsche Matrose trägt für gewöhnlich ein dunkelblaues, wollenes Hemd mit breitem, liegendem Kragen und freier Brust, dunkelblaue Beinkleider von Tuch, eine ebensolche Mütze ohne Schirm, aber mit wehenden Bändern und vorn auf der Mütze mit Goldbuchstaben den Namen des Schiffes, auf welchem er dient. Derjenige Matrose, der keinem bestimmten Schiffe zugetheilt ist, führt auf der Mütze statt den Namen des Schiffes die Benennung „Königliche Marine“. Als Ausrüstung trägt der Matrose, der auf dienstgestellten Schiffen auch den Dienst der Artillerie bei den Geschützen versieht, ein Zündnadelgewehr nebst Pite, die gleichzeitig als Ladestock verwendet werden kann, und eine Patrontasche. Kommt es im Kampf zum Entern, wobei also das Feuern der Batterien aufhören muß, so gebraucht der Matrose das an seiner Seite hängende Entermesser, welches mit einem kolossalen schwarzen Eisenkorb versehen ist, um dem an Deck kletternden Feinde die Hände abzuschlagen, während mit der Zündnadelbüchse der Feind vom Mastkorb aus beschossen wird.

Anders sieht der Matrose in Gala aus: auf dem Kopfe der schwarzlackirte Hut, weit hinten im Nacken sitzend, daß das Haar vorn an der Stirn drei Finger breit zu sehen ist, über dem weißen Hemd eine kurze blaue Jacke mit goldenen Knöpfen, über den Kragen der Jacke einen hellblauen Leinenhemdkragen mit weißen Streifen ausgeschlagen und unter diesem ein flatterndes Halstuch von schwarzer Seide. Auf dem Aermel des linken Armes sind die Abzeichen der verschiedenen Grade aufgenäht. Die Einjährig-Freiwilligen der norddeutschen Flotte haben als Abzeichen, ähnlich der Landarmee, eine schwarz-weiße Litze auf dem linken Aermel und zwar in Form eines nach oben offenen Dreiecks.

Etwas anders geartet nun, aber wo möglich noch malerischer ist die Ausrüstung der nach Orleans, an die Ufer der Loire beorderten Mannschaft: auf der kecken Stirn der breitgeränderte Hut, der kräftige Körper von der dunkelblauen Penjacke und dem gleichen Beinkleid in hohen Stiefeln umschlossen, um den Leib am gelben Gurt ein langes Entermesser nebst zwei Patrontaschen, auf dem Rücken ein schwarzlackirter Tornister, auf der rechten Seite Brodbeutel und Feldflasche und in der nervigen Faust die Zündnadelbüchse.

Sämmtliche Unterofficiere, bei der Marine Maate genannt, tragen statt der Büchse vorn am Gurt einen sechsläufigen Revolver nebst Kugeltasche, in der sich sechszig Kugeln befinden. Ebenso die Officiere, zu deren langem, dunkelblauem Gehrock mit goldenen Knöpfen noch ein Mantel mit Kragen und eine um den Hals geschlagene graue Kapuze kommt.

So ausgerüstet stand die etwa hundertzwanzig Mann starke Schaar Mitte December zu Kiel vor dem Admiral Held, der sie mit der eindringlichen Mahnung entließ, sich der Landarmee an Muth und Entschlossenheit ebenbürtig zu zeigen. Ein stürmisches Hurrah war die Antwort, und schon am nächsten Tage traten die deutschen Marinesoldaten den Weg nach Orleans an, um dort den Dienst auf den französischen Kanonenbooten zu übernehmen. Beim Anblick der letztern werden sie freilich verdutzt genug gewesen sein; denn nach neueren Nachrichten ist solch eine Nußschale von französischem „Kanonenboot“ kaum halb so lang als ein normaler Apfelkahn auf der Spree.


Dreihunderttausend mehr. Als in dem letzten, furchtbaren amerikanischen Kriege die Südstaaten eine letzte verzweifelte Anstrengung machten, da rief Abraham Lincoln auch den Norden zu erneuten Kämpfen auf. Sechshunderttausend Mann waren schon vorangeschickt und hatten blutige Schlachten, besonders bei Richmond, geschlagen. Abraham Lincoln forderte dreihunderttausend mehr, und der Feind wurde, während die Bürger des Nordens von allen Seiten herbeiströmten, vernichtet.

General Moltke fordert ebenso jetzt, wie wir lesen „dreihunderttausend mehr“.

Von allen Seiten strömen unsere Leute zu den Waffen, sie verlassen Haus und Heerd, in die glorreichen Spuren der schon Vorausgegangenen zu treten und den so herrlich begonnenen Kampf gleich herrlich zu Ende zu führen. Jeder kennt das Opfer, das er bringt; Jeder kennt aber auch den Preis, um den gerungen wird und der Deutschland zufallen muß.

Diese Einmüthigkeit des Wollens und der Opferfreudigkeit ruft mir ein Gedicht in Erinnerung, welches bei dem obenerwähnten Aufruf Lincoln’s von einem Amerikaner gedichtet wurde. Es paßt so sehr auf unsere gegenwärtigen Verhältnisse, daß ich mir nicht versagen kann, es in nachfolgender Uebersetzung wiederzugeben.

F. Gerstäcker.

          Dreihunderttausend mehr.
Wir kommen, Vater Abraham, dreihunderttausend mehr,
Von Mississippis wildem Strom und von Neu-England her.
Wir ließen Pflug und Arbeit stehn und Weib und Kind zurück,
Mit Herzen voll zum Springen, doch – die Thrän’ im Aug’ zerdrückt.
Wir dürfen auch zurück nicht schau’n – vor uns liegt Pflicht und Ehr’ –
Wir kommen Vater Abraham, Dreihunderttausend mehr.

Und wenn Du auf die Hügel blickst, die dort im Norden steh’n,
So kannst du lange, staub’ge Reih’n, die sich bewegen, seh’n,
Und scheucht der Wind den Schleier fort, der auf dem Zuge liegt,
Mit Sternen und mit Streifen hoch das theure Banner fliegt.
Und Bajonnete blitzen drein, im Arme das Gewehr,
So kommen, Vater Abraham, Dreihunderttausend mehr.

Und siehst Du weit das Thal hinauf, das sonst der Pflug durchzieht,
Da treten uns’re Burschen schon in Reihe und in Glied,
Und Kinder klein und ungeschickt, die lernen draus im Feld
Die Arbeit, die für’s Vaterland den Ackergrund bestellt.
Und überall stehn Gruppen, ach, der Abschied war so schwer!
Wir kommen, Vater Abraham, Dreihunderttausend mehr.

Du riefst uns, und für Vaterland und Freiheit gutgewillt,
So zogen wir zum Kampf herbei, zu Richmonds Blutgefild
Und muß es sein – zum Tod! Doch giebt uns Gott der Herr den Sieg,
So brechen wir des Feindes Trotz in diesem blut’gen Krieg.
Sechshunderttausend Herzen brav marschirten vor uns her –
Wir kommen, Vater Abraham, Dreihunderttausend mehr.

Emmons.[WS 1]

Aus der dreitägigen Königsschlacht bei Metz, in welcher erst Steinmetz bei Pange, dann Prinz Friedrich Karl bei Mars la Tour und zuletzt der König von Preußen selbst bei Gravelotte das Heer Bazaine’s in gewaltigem Ringen nieder- und in die Festung zurückwarf, die es nur mehr gefangen verlassen sollte, haben wir bereits den bedeutungsvollen Schlußpunkt, wie der König Abends im Bivouac bei Rezonville dem Bundeskanzler das siegkündende Telegramm an die Königin dictirt, in Illustration gebracht. Wir lassen heute eine andere Skizze folgen, welche von der Meisterhand Sell’s das preußische Gardecorps bei der Erstürmung des Dorfes St. Privat darstellt. Diese Erstürmung erfolgte bekanntlich in den Nachmittagsstunden des letzten Schlachttages, des 18. August, nach einem geradezu mörderischen Kampfe, an welchem sich auch die Sachsen betheiligten. Die Opfer auf deutscher Seite waren dabei um so blutiger, als vor dem mit einer Mauer umgebenen und deshalb trefflich zur Vertheidigung geeigneten Dorfe eine Ebene lag, die unter dem Regen feindlicher Granaten passirt werden mußte, während aus dem unmittelbar an’s Dorf stoßenden Kirchhof von den Franzosen eine kleine Festung gemacht worden war. Die Bravour unserer heldenhaften Truppen blieb auch solchen Aufgaben gegenüber unerschüttert; gegen Abend hatten sie das brennende Dorf, das von dem Feinde mit gleichem Heldenmuthe vertheidigt wurde, mit stürmender Hand genommen. Wir können uns heute um so mehr auf diese Andeutungen beschränken, als wir schon demnächst von einem Officier, der auch bei St. Privat gekämpft hat und dessen Brust heute das eiserne Kreuz schmückt, eine Schilderung jener Schlacht bringen werden, und bemerken nur noch, daß auf unserem Bilde die Kirche von St. Privat im Hintergrunde sichtbar ist, während die rechts durch Bäume gekennzeichnete Chaussee von St. Privat nach St. Marie aux Chênes führt.



Kleiner Briefkasten.

Wir ersuchen den Verfasser der Notiz „Opferfreudigkeit eines Kindes“ in Nr. 52 der Gartenlaube vom vorigen Jahrgang, uns gefälligst umgehend seine gegenwärtige Adresse anzugeben, da wir ihm eine Mittheilung zu machen haben.

D. Red.

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Text: James S. Gibbons, Arrangement: Luther Orlando Emerson, vergl. w:en:We Are Coming, Father Abra'am.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_056.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)