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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Damit warf sich Friedrich wieder auf sein Lager, und ich suchte das meinige auf und fragte mich dabei, ob ich nicht sehr wohl gethan, des Abbé „beruhigendes“ Pulver nicht anzurühren!

Freilich, hätte ich es genommen, ich hätte schwerlich den Rest der Nacht so aufgeregt schlaflos, wie ich jetzt that, zugebracht. Solche peinvolle, unsäglich quälende, rastlose Stunden, in denen ich oft vollständig der Verzweiflung nahe war, daß gerade ich dies entsetzliche Gold hatte finden müssen … Ich hatte so innerlich glücklich, so im Stillen jubelnd die Zuversicht genährt, daß es mir glorreich gelingen werde, eine Brücke über den Abgrund zu bauen, der mich unleugbar von Blanche trennte … und nun kam dies verflucht schwere Gold und legte sich auf meine luftige phantastische Brücke, und unter dieser Last war sie zusammengebrochen und eingestürzt, und der Abgrund klaffte tiefer und weiter als zuvor, und aus der schwarzen Tiefe starrte mich die öde grauenhafte Hoffnungslosigkeit an. –

Endlich, endlich stieg der Morgen herauf. Die Sonne kam und stieg höher und höher; doch fühlte ich mich nicht versucht, mich zu erheben. Ich fühlte mich matt, hinfällig, wie an allen Gliedern gebrochen. Ein Mädchen brachte mir das Frühstück. Der Abbé, obwohl er sich mir zum Arzt aufgedrungen, erschien nicht. Von Blanche vernahm ich natürlich nichts. Auch der Arzt aus Noroy, den man mir für heute angekündigt, kam nicht. Friedrich hatte sich erhoben und ging verdrossen zwischen mir und meinen Leuten hin und her; er klagte über Kopfweh. Ich nahm mir endlich ein Herz und sandte ihn zum Abbé hinauf. Ich ließ diesen dringend ersuchen, sich zu mir herunter zu bemühen.

Der Abbé kam nach einer geraumen Weile.

Ich bat ihn, Platz an meinem Bette zu nehmen, und sagte mit einem Scherz, der freilich sehr gezwungen lauten mochte:

„Ich habe das Pulver, welches Sie mir gestern Abend verordnet, nicht genommen, und das hat Sie mit Ihrem Patienten so unzufrieden gemacht, daß Sie ihn aufgegeben haben. Ist es so? Ich würde es Ihnen nicht übel nehmen können. Ich will auch in der That Ihre Mühe und Sorge nicht weiter in Anspruch nehmen; meine Wunde heilt wohl ohnehin jetzt ohne viel ärztliche Behandlung und ist jedenfalls das Geringste von dem, was mich unglücklich macht … ah, weshalb thun Sie das?“

Der Abbé hatte mit einem eigenthümlich gedrückten und scheuen Wesen, während ich so sprach, meine Blicke vermieden und streckte jetzt die Hand nach dem Glase aus, in das er am gestrigen Abend sein Pulver gemischt und das noch gefüllt auf meinem Nachttische stand.

Er nahm es und leerte es rasch bis zur Hälfte.

„Weshalb thun Sie das?“ rief ich aus.

(Fortsetzung folgt.)




Eine Fahrt in das Eismeer.
Aus meinem Tagebuche, von M. E. Plankenau.
(Schluß.)


Nach einem lange anhaltenden schweren Nebel sahen wir endlich wieder einmal den Eisblink und bald befanden wir uns zwischen Eisfeldern, wie wir sie schon im Bering-Meer unter den Namen „Pack“ kennen gelernt hatten.

Dieses „Pack“ ist die einzige Eisformation, welche das Meer selbst zuläßt, es besteht aus den Trümmern der gefrorenen Oberfläche. Eisberge dagegen sind Landgebilde, abgestoßene Theile von Gletschern der Polarländer. Der dort fallende Schnee schmilzt während des kurzen Sommers nur theilweise, große Mengen bleiben zurück, verwandeln sich in Eis und bilden nun Gletschermäntel von oft großartiger Ausdehnung. Derselbe Vorgang, wenn auch in geringerem Maße, findet in wärmeren Gegenden auf Gebirgen statt, welche die Schneegrenze überragen, wie z. B. auf den Alpen.

Diese Eismassen müßten durch immer neue Auflagerungen zu großer Höhe anwachsen und durch ihre ungeheure Last den Schwerpunkt und mit ihm das ganze Wesen unseres Planeten verändern, wenn ihnen nicht eine eigene Bewegungsfähigkeit innewohnte. Sie fließen gewissermaßen, wenn auch nur sehr langsam, thalwärts. Jeder Gestaltung des Bodens bequemen sie sich an, zwängen sich durch enge Pässe und breiten sich aus in weiten Thälern; Felsenblöcke und Geröll schieben sie voraus oder führen es eingebettet mit sich. Erreichen sie das Meer, so senken sie sich in dasselbe hinab und bilden, die Fluthen zurückdrängend, neue Küstenlinien.

Da sie vielfach zerklüftet und von Spalten durchsetzt sind, brechen Theile davon durch ihre eigene Schwere nieder, aber die gewaltigsten Eismassen – oft viele tausend Fuß in jeder Richtung messend – werden wahrscheinlich durch die hebende Kraft des Wassers von den auf dem Grunde vorrückenden Gletschern abgetrennt. Unter weithin vernehmbarem Getöse steigen sie empor, finden nach langem Rollen und Schwanken ihr Gleichgewicht und werden als Eisberge von der Strömung hinweggeführt. Strahlend in herrlicher Pracht und unbewegt in Sturm und Wogenschwall erscheinen sie als hehre Fremdlinge in fernen wärmeren Zonen, wo sie im Meere vergehen.– So vollendet sich der Kreislauf des Wassers vom Land zum Meer in den Polargegenden durch die Gletscher und ungleich langsamer als in niedrigeren Breiten, wo er durch Bäche und Flüsse auf schnellere Weise vermittelt wird.

In den großen Eismassen, welche den Arktischen und Antarktischen Ocean bedecken, sind nun aber wirkliche Eisberge verhältnißmäßig selten und nicht häufiger als vielleicht Berge und Gebirge auf dem Lande. Leicht könnte man, gleich uns, einen Theil des Eismeeres befahren, ohne auch nur ein einziges jener krystallenen Wunder zu erblicken. Sie können nur dort entstehen, wo große Gebirgsländer von ungeheuren Gletschern bedeckt sind. Die bedeutendsten Eisberge haben daher wohl am Südpol ihren Ursprung. Eine andere Hauptgeburtsstätte für dieselben ist auch Grönland, vorzüglich seine Westküste; von dort treiben sie alljährlich mit dem Pack durch die Davisstraße nach Süden, bis sie auf den Golfstrom treffen. In dem warmen Wasser desselben schmelzen sie dann und lassen die mitgeführten Felsblöcke und Gerölle zu Boden sinken. Im Laufe von Jahrtausenden sind durch diese ununterbrochenen Zufuhren jene ausgedehnten Untiefen entstanden, welche man die Bänke von Neufundland nennt. Die zwischen nordamerikanischen und europäischen Häfen fahrenden Schiffe begegnen nicht selten im Spätsommer solchen Eismassen, und manches derselben ist schon dabei verunglückt.

Schwimmendes Eis ragt je nach seiner Gestalt zum ungefähr fünften bis achten Theil aus dem Wasser. Die für gewöhnlich befahrbaren Strecken des Meeres nördlich der Beringstraße sind nur an wenigen Stellen über zweihundert Fuß tief; hieraus folgt, daß wirkliche Eisberge – die doch bis zu mehreren Hundert Fuß hoch sich über die Oberfläche des Wassers erheben und einen entsprechenden bedeutenden Tiefgang haben – in jenen Gewässern nicht vorkommen können, selbst wenn in höheren noch unerforschten Breiten sich große Gletscher befinden sollten.

In den von uns besuchten Meerestheilen, sowohl diesseit als jenseit der Beringstraße, findet sich nur das Packeis, das weniger durch Einzelgröße als durch Ausdehnung der Massen imponirt. Selten findet man Stücke, welche durch ihre Beschaffenheit und durch ihnen anhaftende Steine und Erde sich als Abkömmlinge des Landes legitimiren; doch haben sie keine auffallende Größe. Einmal nur sah ich in der Nähe der Heraldinsel einen Eisblock, welcher zwar von geringem Umfange, aber doch an dreißig Fuß hoch war. Uebrigens ist das meergebildete ebenfalls „süßes Eis“, da das Seewasser beim Gefrieren seinen Salzgehalt ausscheidet.

Während der nächsten Zeit kreuzten wir nun meistens zwischen Eisfeldern. Das Wetter war ausgezeichnet schön, fast windstill, und die Leute arbeiteten in leichter Kleidung. Eines Tages aber setzte eine scharfe Brise von Nordosten ein und mit ihr wälzte sich eine dunkle Nebelwand heran, welche uns bald gänzlich umhüllte. Es war nicht möglich von einem Ende des Schiffes zum andern zu sehen, stieg man aber aufwärts, so wurde es lichter und lichter, von der Mastspitze aus hatte man das wallende Dunstmeer gänzlich unter sich und befand sich im vollen Sonnenschein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_092.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)