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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

sonst nicht aus dem Auge zu verlieren; denn eben schleppten sechs Mann und ein Unterofficier Bohlen und Balken bei, um mit deren Hülfe hinter der Scharte eine Bettung zu „strecken“, die rasch genug hergestellt war, und zwar mit sorgfältigster Beobachtung aller jener Maßregeln, welche ein gerades, trockenes und gutes Stehen des Geschützes verbürgen.

Ich bemerkte bald, daß, je mehr die Arbeit an der Brustwehr vorschritt, desto mehr Arbeiter frei wurden, welche sofort zum Bau jener Magazine verwandt wurden, aus denen sich die Batterie mit Munition versorgt. Mit solcher muß nämlich jede Batterie auf vierundzwanzig Stunden versehen sein, um allen Möglichkeiten begegnen zu können. Um aber gleichzeitig Unglücksfälle und namentlich ein Crepiren auf dem Transport zur Batterie zu vermeiden, werden alle Hohlgeschosse erst im sogenanten Laderaum fertig gemacht und zwar wieder nur so weit, daß das Feuer der Batterie nicht stockt. Der Grund hierzu ist natürlich nur eine Vorsichtsmaßregel gegen feindliche Geschosse. Uebrigens hat es mit dieser Gefahr Nichts zu sagen, da alle Batterie-Magazine bombensicher eingedeckt sind; wenigstens fand ich den Laderaum, als ich ihm meinen persönlichen Besuch abstattete, mit einer Lage Kreuzholz, Eisenbahnschienen und einer Lage Bretter eingedeckt.

Am meisten interessirte mich in der Batterie das Pulvermagazin. Ich stieg zu demselben hinab, sobald es nur fertig war. Es lag ganz seit- und rückwärts der Batterie, den Eingang von dieser abgewandt. Die Decke war aus einer Lage Kreuzholz, einer Lage Faschinen und einer Erdschicht von vielleicht zehn Fuß hergestellt, seine Wände bestanden aus Schanzkörben und seine Sohle lag vier Fuß unter der Erde. Zum Schutze gegen Feuchtigkeit waren Decken und Matten auf den Boden gelegt. Da, wie man sich denken kann, der Feind mit Vorliebe nach dem Pulvermagazin schießt, so legt man dasselbe möglichst in der Weise an, daß der Feind es nicht sehen, ja daß er seine Lage nicht einmal vermuthen kann. Wie ich das Pulvermagazin verließ, ward eben der Graben in Angriff genommen, welcher von jenem in den Batteriehof, also zu den Geschützen führte; derselbe ward aber nicht in der geraden kürzesten Linie gezogen, sondern krumm und gewunden, weil er so der Mannschaft mehr Deckung bot.

Zum Lade- und Geschoßraum hatte ich von hier aus nicht weit; beide lagen auf derselben Seite der Batterie, wie das Pulvermagazin, und zwar ist dies, wie mein Begleiter mir bemerkte, immer der Fall, um das Tragen der Pulvertonnen von einem Flügel zum andern zu vermeiden. Alle diese Räumlichkeiten liegen in dem Flügel- oder Laufgraben der Batterie, das heißt in dem Graben, der von den Flügeln der Batterie nach einer benachbarten Batterie oder rückwärts bis zu einem Terrainabschnitt führt, von dem aus man gedeckt nach dem Parke gehen kann, und dieser Flügelgraben ist es denn auch vorzüglich, den meine Illustration fast vollkommen fertig darstellt. Der Beginn der eigentlichen Batterienflucht ist auf meiner Skizze rechts nur durch die Bettung für das letzte Geschütz und durch die Schießscharte angezeigt; unmittelbar daran stößt links der Geschoßraum und dann folgt, durch eine Traverse zugedeckt, der Laderaum. Solche hohe Traversen oder Querwälle trennen auch die einzelnen Geschütze von einander, deren in der Batterie sechs standen, damit die explodirenden Geschosse in ihren Wirkungen auf einen kleinen Raum beschränkt werden. Im Rücken des Batteriehofes, das heißt im Vordergrund meines Bildes, befindet sich das Pulvermagazin.

Es war schon gegen Abend, als endlich zur Armirung der Schanze geschritten werden konnte. Die Wege pflegen zur Herbeischaffung des Geschützes nachgesehen, ausgebessert und durch Posten markirt zu werden, da ja bei ihrem Transport, der dem Feinde verborgen bleiben soll, nicht der geringste Aufenthalt stattfinden darf. Heute bot sich denn auch nicht die kleinste Schwierigkeit und bald genug standen die Vierundzwanzigpfünder, welche auf dem Bahnhofe zu Gonesse schon längst sich nach diesem Ort ihrer Bestimmung gesehnt hatten, auf ihren Bettungen. Rückwärts von den Geschützen, auch tief gestellt und mit Erderhöhungen umgeben, fanden die Protzkasten ihren Platz.

Ich muß es wiederholen, daß ich die größte Bewunderung für diese Leistung unserer Soldaten hatte; ich habe schon oben davon gesprochen, wie sehr der harte Winter ihre Aufgabe erschwerte. Dann aber erfreute ich mich nicht weniger, als unsere Mörser endlich ihren ehernen Mund aufthun durften; ich war oft in der Batterie und weidete mich immer wieder an dem großartigen Schauspiel des Bombardements. Man hat überdies von den Höhen bei Montmorency einen herrlichen Fernblick, und wie schön, wie sicher flogen unsere Geschosse hinüber nach St. Denis – so sicher, daß die Batterie schon nach acht Tagen den Befehl erhielt, dreitausend Schritte weiter vorzurücken und zwar, um schon am nächsten Morgen aus ihrer neuen Stellung zu feuern. Mittags gab sie den letzten Schuß ab, und nun ging es daran, die Geschütze aus der Schanze zu bringen und Alles zum Vorrücken bereit zu halten. Es war keine Kleinigkeit, denn inzwischen hatte der Südwind Thauwetter herbeigeführt, und es schien unmöglich, die wohl zwei Fuß im schlammigen Lehmboden steckenden Geschütze auf die bereitgehaltenen Eichenbohlen an langen Seilen zum Ausgange und an die Stelle zu bringen, wo das Gespann, acht Pferde, stand. Aber es schien nur unmöglich. Unsere braven Soldaten, die schon so viel zu Stande gebracht hatten, brachten auch das fertig – bis zum Abend war die alte Schanze geräumt, in der folgenden Nacht wurde die neue gebaut und schon am nächsten Morgen begrüßte die wackere Batterie mit ihren wohlgeschleuderten Geschossen die Begräbnißstätte der französischen Könige auf’s Neue, aber diesmal um dreitausend Schritte näher.




Blätter und Blüthen.

Ein Jägerstücklein vor Paris. Wir hatten, so schreibt uns ein preußischer Jäger vor Paris, seit einiger Zeit den Vorpostendienst, seitlich vom Wäldchen von Bondy, übernommen. Kümmerten wir uns wenig um die Granaten, welche sie uns so groß wie die kleinen Kinder von drüben herüberschickten, sobald sich auch nur ein einzelner Mann von uns sehen ließ (die Vorposten an den zumeist gefährlichen Stellen sind sämmtlich eingegraben), so ärgerte uns doch nicht wenig ein großes, eine Strecke vor unserer äußersten Vorpostenkette gelegenes steinernes Gartenhaus, in welchem sich größere und kleinere französische Patrouillen oft während der Nacht festsetzten, und von welchem aus dann am Morgen unsere Leute beschossen wurden, sobald sie sich nur die geringste Blöße gaben. Gingen wir dem Neste mit Hurrah zu Leibe, dann freilich kniffen die Rothhosen mit fabelhafter Geschwindigkeit aus, während zu gleicher Zeit von drüben die Granaten auf uns angerasselt kamen, daß es eine Art hatte.

Was war zu thun? Wünschten wir dem verdammten Gartenhause sammt und sonders den Untergang, so nahmen die drüben sich dafür nur umsomehr in Acht, je einmal eine Granate hinein zu werfen und dadurch den beliebten Schlupfwinkel ihrer Patrouillen selbst zu zerstören – des Nestes wegen aber Pionniere herkommen zu lassen und dasselbe in die Luft zu sprengen, das hätte schließlich doch mehr Umstände gemacht, als es in der That werth war.

Da kommen wir denn einmal bei einer nächtlichen Schleichpatrouille über unsere Vorpostenlinie hinaus und statten dabei auch dem Gartenhause einen Besuch ab, uns den Fall einmal gründlich in der Nähe zu besehen. Das Haus schien keinem Besitzer der „tieferen Mittelclasse“ zu gehören. Es war famos eingerichtet, oder besser, war famos eingerichtet gewesen; denn Alles, was ein französisches Soldatenherz entzücken mochte und zu gleicher Zeit leicht transportabel und nicht allzu niet- und nagelfest war, hatten die Herren Franzosen bei ihren nächtlichen Besuchen bereits mit großer Sorgfalt ausgewählt und mitgehen heißen. Immerhin aber erinnerte noch das elegante Meublement, wenngleich theilweise zerschlagen und zerfetzt, an geschwundene Pracht und Herrlichkeit; dazu gehörten auch ein Paar schön gearbeitete Marmortischchen eines großen Zimmers, wahrscheinlich des Speisesaals, welche zwei Gypsbüsten, Brustbilder in Lebensgröße, trugen – ich weiß nicht, wen vorstellend. Wir langten eine der Statuen herunter, und – ein famoser Gedanke blitzt einem unserer Leute in diesem Moment durch’s Hirn. Ohne ein Wort zu sagen, zieht er seine Feldmütze aus der Tasche und stülpt sie dem Gypsgesicht auf sein würdiges Haupt; dann zieht er den Waffenrock aus, die dunkle Unterjacke herunter, und drüber damit über Brust und Schultern des weißen Mannes. Wir hatten sofort die Ansicht unseres Cameraden errathen, und lachend standen wir im Kreise herum. Nun mußte der Popanz nur noch eine große Pfeife in die Physiognomie bekommen. Aber eine unserer Pfeifen dranzugeben, das war zu viel verlangt; so mußte denn ein hakenförmiges Holzstück, welches am Boden lag, aushelfen, und ohne Besinnen schlug ich dasselbe unserm Bleichgesicht, weil es den Mund nicht öffnen wollte, durch die geschlossenen Lippen. Noch wird ein Marmortisch, unter einem „verflossenen“ Spiegel stehend, herangeschoben, wird an eines der großen Fenster gegen Paris hingestellt, und der Popanz darauf, der nun, die Jägermütze keck auf dem Ohr und die Pfeife im Mundwinkel, unverwandt durch das offene Fenster gegen Paris hinausschaut. Das Werk ist vollbracht und wir überlassen unseren nächtlichen weißen Freund nunmehr seinem Schicksal.

Am andern Morgen, der Nebel hatte sich kaum zertheilt, hören wir’s auch schon durch die Lüfte herüberkommen – nicht wie Zephyrsäuseln, sondern wie donnerndes Granatensausen. Der erste „Zuckerhut“ fliegt einige fünfzig Schritte über das Gartenhaus hinweg, der zweite geht schon kürzer, und die dritte Granate – sie beobachten drüben durch vortreffliche Gläser – prasselt glücklich in den Giebel des Gartenhauses hinein. – „Hat gesessen!“ ruft mir mein Nachbarposten zu und reibt sich vergnügt die Hände. „Jetzt wird unserem Bleichgesicht wohl die Pfeife ausgehen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_119.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)