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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

und bald säuselten und schwirrten die Saiten von den zierlichen, anmuthig kecken Weisen, unaufhörlich strömend, wie ein sprudelnder Waldquell. Bald fügten sich auch Worte und Reime dazu. Er sang:

„Ich bin von Länggries,
Der Floßer-Martl,
Mein Trinkgeld, das hab’ ich,
’S leid’t noch ein Quart’l!“

Lauter lachender Beifall antwortete, droben im obern Stock öffnete sich ein Fenster; Stasi stand daran, um ungesehen zu erkunden, wer der geübte Schläger sei und wem die wohlklingende sangkundige Stimme gehören mochte.

Unten tönte es weiter:

„Die Bleameln gehn auf,
’S wird all’weil schöna,
Und wer kann alle Bleameln
Beim Namen kenna!“

Und wieder:

„Eins wachst auf’m Berg,
Da heißt’s beim Kurz’n:,
Das Bleameln, das kenn’ i,
– Hoaßt Z’widerwurz’n!“

Wieder fiel lautes Gelächter ein und viele Stimmen riefen durcheinander. „Recht hat er – es gehört ihr nit besser! Zuwiderwurz’n, das ist für sie der rechte Nam’!“

Droben flog das Fenster zu, daß die Scheiben klirrten!




2.

Es war Sommer geworden, nicht blos draußen in der Ebene und in den Thälern, welche sich zwischen die Berge hineinflechten wie grüne Kränze um Säulen von Stein, sondern auch auf den Höhen, wo der Winter seine Hochwachten ausstellt, die er selten oder nie verläßt, und von denen er herniederspäht, bis die Stunde da ist, wieder herabzustürmen, den voll und warm durch die Welt pulsirenden Herzschlag des Lebens stocken zu machen und über die Erstarrte den weißen Todesschleier zu breiten, mit dem wahnsinnigen Triumph eines Tyrannen, der am Grabe eines seiner Opfer wähnt, es sei ihm gelungen, das verhaßte Licht und die Gluth und mit ihnen die Freiheit auf ewig zu begraben. Er war ungewöhnlich früh gekommen wie der Frühling und schöner noch als dieser. Die Almweiden standen so üppig, daß selbst die ältesten Leute sich solcher Fülle kaum erinnerten, unten in den Thälern hingen die Schwarzkirschen, die sonst erst im September zu reifen begannen, bereits wie purpurne Tropfen in den Zweigen; auf den Berghalden, wo sonst nur spät kärglicher Hafer gedieh, neigten schon reiche Saaten ihre vergilbenden Halme der Sichel entgegen, und droben, die Felsen hinan blühten die Alpenrosen so dicht, als wollten sie wetteifern, die grauen Wände, damit sie nicht zurückblieben in der allgemeinen Freude, mit ihrem reichsten Schmuck zu bekleiden. – Auf einem Fleckchen der anmuthigsten Art war es, wo Martl abermals seine Werkhütte aufgeschlagen hatte; der kleine Rasenplatz davor sah aus, als wäre ein Korb goldener Schmalzblumen, glühender Bergnelken oder blauer, stengelloser Genzianen in das reiche Grün ausgeschüttet worden, zu einer Seite streckte ein mächtiger Ahorn die dichte Blätterkrone über den Raum, auf der andern und im Rücken desselben stieg der Berg beinahe senkrecht empor, während nach vorne hin sich die Aussicht in’s Flachland unabsehbar öffnete; es war an der Grenze der Baumregion, die sich wie ein Gürtel um das Gebirge schlingt und die Reize der beginnenden Almwelt mit denen des zurückbleibenden Waldes vereinigt.

Hart am Fuße der Bergwand unter Bröckelgestein und überhangende Büschel von Riedgras hatte sich die Hütte eingefügt, die, wenn auch von einfachster Bauart, doch eine sichere Zuflucht gewährte und in ihrer vollendeten Einfachheit sogar einen gastlich-wohnlichen Eindruck machte. Von einigen schräg gelegten Brettern bedeckt, die ein weit vorspringendes Vordach bildeten, war sie in zwei Theile geschieden, von denen der kleinere aus einer abgeschlossenen Kammer bestand, während der größere sich ansah, wie eine auf Balken gleich Säulen ruhende offene Vorhalle. Alle diese Hütten sind von der nämlichen Bauart; in der Kammer befindet sich die Lagerstelle des Hausbewohners, ein grobes Bettgerüst mit wohlgefülltem Heupolster und starker Wollendecke, an den Wänden herum und auf einem Brettergesims sind die Kleider und Werkzeuge zur Holzarbeit und sonstiges Geräth aufbewahrt und aufgehangen, der offene größere Theil enthält den Herd, und giebt sich zugleich durch die an der Wand angebrachten Bänke als der zum Empfang von Gästen bestimmte Prunksaal des Besitzers zu erkennen. Um die Hütte herum war der Platz, sowohl Rasen als Weg, mit sichtlicher Sauberkeit reingehalten; nichts ließ die schwere Arbeit erkennen, deren Mittelpunkt sie war, sogar der Anblick des Werkplatzes war durch Gesträuch und durch die letzten Baumreihen des Waldes dem Auge verborgen. Dieser lag wenige Schritte von der Hütte entfernt, hinter einem Stück steilen Hohlwegs und ließ desto deutlicher erkennen, daß die Männer, welche dort oben in der Bretterhütte hausten, außer derselben nicht viel von Ruhe wußten und erfuhren. Ein großer, mit dichtem Schlagwalde bestandener Bergabhang war zur Fällung und neuen Abforstung bestimmt und zeigte, was der Fleiß und die Kraft von einem Paar tüchtiger Arme zu schaffen vermag. Die Stämme lagen gefällt umher, theils entastet und abgeschält, theils in Blöcke zersägt, während seitwärts Rinde und Zweigholz in Stößen aufgeschichtet lag, um gesondert verfahren zu werden, sobald der Winter es möglich machte, mit Schlitten dahin zu gelangen und die Lasten in kleinen Abtheilungen zu Thal zu bringen. Mächtige Reihen von aufgerichtetem Scheiterholz harrten der gleichen Erlösung, indeß seitwärts ein Theil des Holzes, in einen Meiler gehäuft, verdampfte, um dann als Kohle in die weite Welt zu wandern. Nebenan war aus ungeheuren Balken eine riesige Rutschbahn gebaut, welche, bis an den Fuß des Berges reichend, in schnurgeradem und steilem Abfall über Wald, Weg und Weide hinunterführte; die größten, zum Bauholz oder zu Flössen und zum Schiffsbau bestimmten Stämme wurden darauf gelegt und rollten, wenn sie losgelassen wurden, unaufhaltsam, Alles, was ihnen in den Weg kam, zermalmend, unter Donnergepolter in die Tiefe.

(Fortsetzung folgt.)



Aus hoher Region.

Von Guido Hammer.

Ich hatte mich auf einer meiner letzten Wanderungen durch die Tiroler Berge müde geklettert und lag nun auf einer Halde hingestreckt am Fuße einer riesigen Bergwand, die mich vor den heißen Strahlen der Sonne schützte und ihren breiten dunkeln Schatten weit über das Thal warf, das sich da unten dehnte. Ich genoß voll Entzücken all’ die Herrlichkeiten der Gebirgswelt, die ja der Sterbliche, der sein Flachland und seine Ebene nie verläßt, nicht einmal ahnt. Drunten in blauer verschwimmender Tiefe Wälder, Fluren und blinkende Seen, denen die an schroffen Felsenwänden niederstürzenden, silberschäumenden Gießbäche zueilten; weiter aufwärts aber sanfte Hänge grünender, blühender Matten und Almen, während den hochgerückten Horizont ringsum die edelphantastisch geformten Linien schneegekrönter zackiger Firsten und hintereinander sich thürmender Gebirgskämme wie ein Meer von starrgewordenen und gewaltigen Wellen umschlossen.

Kein Laut regte sich; die Einsamkeit der Gebirgswelt in ihrer ganzen Großartigkeit umgab mich. Nur einmal ward das schelmisch lärmende Geschrei der tiefsammetschwarzen, rothfüßigen Alpendohlen laut; sie umflatterten mich, wie zürnend, daß ich in ihr Gebiet gedrungen; aber bald schoß die muntere Vögelschaar, so schnell wie sie gekommen, thaleinwärts, und wieder war es grabesstill auf der wolkenreichen Höhe.

Da fesselte ein merkwürdiges Schauspiel meinen Blick. Mächtig geschwungenen Fittigs schoß drüben, jenseits einer breitgerissenen Kluft, ein stolzer Adler nach naher, hellbeschienener Wand. Und wie meine Blicke unwillkürlich dem Gewaltigen und dessen Gespons, das fast gleichzeitig sichtbar ward, nachfolgten, gewahrte das rasch mit dem Fernglas bewaffnete Auge unter steilem Felsvorsprung auf latschenumklammertem Steingeschiebe drei harmlos äßende Gemsen. Diesen aber galt der kecke Raubzug der beiden verbündeten Beherrscher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_144.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2019)