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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


abschlug. Dafür gaben diese beiden Mouchards ihn wegen eines Verbrechens an, welches er niemals begangen, an das er nicht im Entferntesten gedacht hatte. Macarthy wurde völlig unschuldig erschossen. Eine Dame seiner Bekanntschaft scheute nicht den Weg nach Paris, um seine Begnadigung von Napoleon zu erbitten.

„Das ist unmöglich“ – soll Napoleon gesagt haben – „reich und ein Verräther; das wäre ein Todtschlag, wenn man ihn für unschuldig hielte!“

Auch die sehr vereinzelten Fälle, wo dieser im Geheimen schleichenden Meuchlerbande ihre Anschläge mißlangen, können dem sittlichen Gefühl kaum noch eine Genugthuung gewähren; es sind krystallklare Tropfen, die nur für den Augenblick farbig blitzen, aber auch sogleich in den verschlammten Sumpf hinabfallen, um ebenfalls in Fäulniß überzugehen. Demungeachtet mögen hier noch in aller Kürze einige Beispiele folgen.

Etwa vierzehn Tage vor Napoleon’s Krönung ließ sich ein russischer Graf Petrowlow in Paris sehen, welcher alsbald von einem zur geheimen Polizei gehörigen Abbé aufgefunden wurde. Der Graf sprach vortrefflich französisch und schien genaue Bekanntschaft mit den europäischen Cabineten zu haben. Der Abbé suchte daher nicht nur seine Bekanntschaft, sondern machte auch den nachmaligen Erzkanzler Cambacérès aufmerksam auf ihn. Es galt, die Meinung des russischen Kaisers über die neue Würde Napoleon’s zu erfahren. Mit großer Feinheit suchte der Abbé den Grafen auszuholen. Ebenso fein wußte der Graf den Abbé zu kirren, indem er zwar zurückhaltend war, jedoch dabei merken ließ, daß die Zurückhaltung nicht stets fortdauern werde. Jetzt wurde Napoleon selbst von der wichtigen Bekanntschaft unterrichtet und Cambacérès von Napoleon ermächtigt, Alles aufzubieten, um den Grafen zu gewinnen. Der Graf wurde durch den Abbé zu Tische bei Cambacérès eingeladen. Als der Abbé zum Grafen Petrowlow in’s Hôtel kam, fand er den Grafen mit Reiseanstalten beschäftigt und lockte nun, höchlichst überrascht, mit feinen und dringenden Fragen das discrete Geständniß heraus, daß der Graf bei dem unerwartet theuern Leben in Paris zu kurz mit seinem Gelde gekommen sei und nur noch so viel besitze, daß er gerade nach Deutschland zu Bekannten gelangen könne, um sich bei diesen wieder mit Geld zu versehen. Mit vieler Mühe und in der feinsten Weise von der Welt drang nun Cambacérès dem Grafen vierundzwanzigtausend Franken auf, wies jegliche schriftliche Empfangsbescheinigung zurück und erhielt nun auch nach vielen feinen Andeutungen und Wendungen und unter Erweisung aller möglichen Liebenswürdigkeiten und Gefälligkeiten die Zusicherung eines Schriftstückes über den gewünschten Gegenstand. Nach mehreren Tagen überreichte der Graf die Schrift versiegelt und mit der Erklärung, daß sie direct für Napoleon bestimmt sei.

Man kann sich Napoleon’s Stimmung denken, als er die Schrift erbrach, deren bloßer Schluß schon charakteristisch genug ist.

„Endlich“ – so heißt es am Ende der Schrift – „will man wissen, in welchem Rufe Bonaparte in Rußland steht und was man überhaupt von ihm denkt. Eine Thatsache wird diese Frage genügend beantworten.

Als man in St. Petersburg den unglücklichen Tod des Herrn Herzogs von Enghien erfuhr, erhob sich nur ein Schrei gegen seinen Mörder. Das Blut des Schlachtopfers bleichte auf einmal die Lorbeeren des Siegers von Marengo. An die Stelle der öffentlichen Achtung trat eine allgemeine Verwünschung und bei der berühmten Todtenfeier zu St. Petersburg zum Gedächtniß des unglücklichen Fürsten theilten Aller Herzen die Gesinnungen der folgenden Aufschrift, welche auf dem Cenotaphium stand: ‚Inclito principi Ludovico Antonio Henrico Borbonio Condaeo, duci d’Enghien, non minus propria et avita virtute quam sorte funesta claro, quem devoravit bellua Corsica, Europae terror et totius humani generis lues.‘

Man kann sich denken, mit welcher Wuth Napoleon die Schrift zu Boden schleuderte. Bei keiner Gelegenheit soll er ärger geflucht haben. Der sofortige Befehl zur Verhaftung des Grafen war selbstverständlich. Dieser hatte sich jedoch natürlich mit den vierundzwanzigtausend Franken davon gemacht und einen Vorsprung von dreißig Stunden gewonnen, so daß er glücklich entkam, wie es heißt nach der Türkei. Umsonst waren alle äußersten Anstrengungen der geheimen Polizei. Zum Ueberfluß erfuhr sie nur noch, daß der angebliche russische Graf Petrowlow Niemand anders gewesen war, als – ein Jude aus der Umgebung der „guten Stadt“ Lübeck!

Im Jahre 1812 wurde in der bereits oben erwähnten Stube des Polizeiministers eine entsprechende komische Scene gespielt. Ein junger Mensch, ein leichtsinniges Subject, der seine Sache auf Nichts gestellt hatte, wurde wegen Verdachtes geheimer Werberei verhaftet. Er hatte Complicen; man konnte ihn aber in drei Verhören nicht zum Geständniß bringen. Savary selbst beschäftigte sich angelegentlichst mit ihm und suchte ihn auf alle mögliche Art und Weise auszuforschen: – alles vergebens! Endlich gab Savary den heimlichen Befehl, den Versuch mit einer tüchtigen Mahlzeit zu machen und vor Allem den guten Wein dabei nicht zu sparen. Der Examinande wurde deshalb in die bekannte Stube geführt und der beste Spürhund der geheimen Polizei zu seinem Gaste gewählt. Dem lebenslustigen jungen Menschen war die feine Mahlzeit schon ganz recht; der Wein floß in Strömen. Das Schicksal aber wollte, daß der Inspector selbst das ward, was er bei seinem Tischgenossen bewirken wollte: er wurde betrunken, während unser Held sich tapfer hielt. Der Inspector schlief sogar bei Tische ein.

Der heimliche Werber benutzt die günstige Situation. Als tüchtiger Raucher nimmt er eine gute Portion Tabak, kaut ihn durch und preßt den Saft in des Inspectors Glas, füllt Wein dazu, weckt den Schläfer und animirt ihn zum Weitertrinken. Der Inspector trinkt und – versinkt in noch tieferen Schlaf, aus dem ihn selbst das Rütteln des Werbers nicht zu erwecken vermag. So konnte der verwegene Mensch ihm Rock, Weste, Halstuch, Hut, Schuhe und Strümpfe abnehmen und sich selbst damit bekleiden, den Degen umschnallen, ihm die Uhr und siebenundvierzig Franken abnehmen, mit dem in der Tasche gefundenen Schlüssel die Thür öffnen und sich davon machen.

Diese gründliche Bloßstellung der geheimen Polizei wurde stets ängstlich unterdrückt und erst nach Jahren zuerst in München von einem Freunde des glücklich entflohenen Werbers an das Tageslicht gebracht.

Endlich mag noch einer Unternehmung erwähnt werden, bei welcher die Primadonna der „cytherischen Cohorte“ selbst die Hauptrolle spielte. Die Geschichte ist wirklich ein Roman, läßt sich aber doch sehr kurz erzählen, wobei die Namen nur angedeutet werden, da wahrscheinlich noch Angehörige der betreffenden Personen in Deutschland am Leben sind.

Im Jahre 1809 traf ein Holländer Anstalt, in Leipzig eine gründliche Schrift gegen Napoleon drucken zu lassen, in welcher die europäischen Mächte geradeswegs zu einem Bündniß gegen Napoleon aufgefordert wurden. So geheim die Vorkehrungen gehalten wurden, so hatten doch die geheimen Spione der französischen Polizei in Leipzig bald Verdacht geschöpft und dem Holländer eine Schlinge gelegt. Alles an dem Unglücklichen wurde untersucht, selbst das Futter seiner Kleidung zerschnitten, sein Hausgeräth zertrümmert, Betten und Matratzen aufgeschnitten und sogar eine schöne Gypsstatue der Venus zertrümmert: es wurde nichts gefunden. Umsonst versicherte der Holländer, durchaus nichts geschrieben zu haben: er wurde nach Paris geführt und – niemals ist er wieder zum Vorschein gekommen, oder ist auch nur ein Wort über den Unglücklichen bekannt geworden.

Rastlos spürten inzwischen die Spione in Leipzig weiter umher und brachten endlich heraus, daß der Holländer, sobald er sich beobachtet gefunden, das Manuscript seiner Schrift einem Freunde Sch. anvertraut hatte, der in Prag lebte und auf einige Tage zum Besuch nach Leipzig gekommen war. Um jeden Preis wollte Napoleon das Manuscript haben. Bald wußte er, daß Herr Sch. ein reicher Privatmann, vierzig Jahre alt, seit zwei Jahren Wittwer, Vater einer vierjährigen Tochter, ein Bewunderer des schönen Geschlechts war und bei Prag auf einer schönen Villa lebte. Der Entschluß war gefaßt und die schönste und glänzendste Dame der cytherischen Cohorte ward für Herrn Sch. in Prag ausgewählt. Die erwählte D…s hatte ihre Eltern jung verloren und hätte von ihrem geerbten Vermögen anständig leben können. Zügelloser Hang zum Luxus und zum Spiel ruinirten sie aber. Die D…s war eine vollkommene Schönheit und voll glänzender Talente. So wurde sie die Geliebte eines deutschen Cavaliers, den sie zu Grunde gerichtet hätte, wenn er sich nicht energisch von ihr losgesagt und ihr zuletzt fünfzehntausend Franken durch das Haus Recamier ausgezahlt

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