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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Der Jäger trank, athmete dann tief auf und lehnte sich, so bequem es anging, auf der Holzbank zurecht. „Das macht nix,“ sagte er dann, „das geht für einen kleinen Aderlaß hin. Ich hab’ heut’ in der Früh’ einen Raubschützen versprengt, der einen Prachtbock auf dem Rücken getragen hat. Ich hab’ ihn angeschrieen, aber er ist fort und in’s Gewandt hineingesprungen, als wenn er selber ein Gemsbock wär’, ich alleweil hinter ihm drein! Wie er gespürt hat, daß ich nit auslass’ und daß das Springen nix hilft, hat er den Bock weggeworfen, aber zutiefst in eine Kluft hinein, wo er sich ganz zerfallen hat müssen und keinem Menschen was nützt! Drauf, wie der Blitz hat er sich umgedreht, und eh’ ich mich hab’ ducken können, hat mir seine Kugel schon den Hut vom Kopf geschlagen; die Haar’ haben aufgehalten, daß sie mich nur gestreift hat, sonst hätt’ ich mein Testament machen dürfen. Ich bin einen Augenblick damisch worden und an den Felsen hingetorkelt; und wie ich mich wieder aufgemacht hab’, war mir der Kerl schon weit aus dem Schuß und ist die Haklwand hinunter, und jetz’ ist er mir doch ausgekommen. Das Bluten muß mich matt g’macht haben, und es hat auch schon zu dämmern angefangen, sonst hätt’ ich ihn wohl beim Kragen erwischt.“

„Aha,“ sagte Martl halblaut vor sich hin, indem er dem Kohlenbrenner mit den Augen zuwinkte. „No, komm’ mir wieder einmal vor’s Gesicht, Du Lugenschippel, nachher reden wir ein anders Wort mit einander!“

„Wie ist das, Martl?“ unterbrach ihn der Jäger. „Wie redst Du? Hast Du ihn etwa gesehn?“

„Gesehn? Einen Wildschützen? Mit keinem Aug’,“ entgegnete der Holzknecht, einen Augenblick schwankend, ob er das, was er eben erlebt, erzählen oder verschweigen solle. Für das Letztere sprach die unwillkürliche Theilnahme für den Burschen, und das eigene Bewußtsein, daß auch er schon manches Mal es nicht vermocht hatte, der Jagdlust zu widerstehen, und eine unbestimmte Scheu, den zu verrathen, der, wenn auch unfreiwillig, in seiner Hütte als Gast geweilt hatte – für das Erstere sprach, daß der Fremde nicht blos ein einfacher Wilderer, sondern ein Raub- und Mordschütze war, der dem Gehülfen an’s Leben gegangen war, und überdies ein Ausländer, der, wenn er jagen wollte, doch drüben bleiben sollte in seinem Tirol; denn diesseits der blau-weißen Pfähle gab es Leute genug, die Lust und Geschick besaßen, um nachzuhelfen, wenn irgendwo der Gemsenstand gar zu sehr überhand zu nehmen drohte. Der Umstand, daß der Jäger seine Unschlüssigkeit nicht zu bemerken schien und zu reden fortfuhr, überhob ihn des weiteren Zweifels.

„Wenn mich die Kugel nit g’worfen hätte,“ sagte er, „hätte der Hallunk’ den Vorsprung nit bekommen, und die Kugel hätte mir auch nichts anhaben können, wenn Du mir das Amulet gegeben hättst, das ich Dir schon neulich abkaufen wollte.“

Martl beugte sich über das Kohlenfeuer. Es war nicht zu unterscheiden, ob die Röthe, die sein Angesicht überflog, von der Gluth desselben herstammte oder von innerer Erregung. „Ich hab’ es Euch schon gesagt,“ erwiderte er leichthin, „das ist kein Amulet!“

„Mach’ mir nichts weis!“ rief der Jäger, der nicht so leicht zu beruhigen war. „Warum thätst Du dann das Lederbeuterl so um den Hals tragen? Du willst es nur nit sagen, und ich weiß wohl warum – hab’ es oft schon sagen hören: Wenn man ein Amulet beredet, dann verliert es seine Kraft.“

„Ja, das hab’ ich auch schon gehört,“ rief der Kohlenbrenner drein. „Nit bereden darf man so etwas und nit aus der Hand geben. Mein Vater selig hat mir oft erzählt von einem seiner Cameraden, vom Franzl am Ort; der hat auch ein solches Amulet gehabt und ist auch ein Holzknecht gewesen wie Du und ist Jahr für Jahr im Wald gesessen, und ist ihm nie was zu Leid geschehn! Das hat gemacht, er hat einen angeöhr’leten Georgithaler auf der Brust getragen, ein solcher ist gut für Alles, für Hieb und Stich, für Feuer und Wasser – aber einmal da hat ein Freund von ihm eine Floßfahrt nach Wien gemacht und hat nit ausgelass’n mit Zureden, bis er ihm den Thaler geliehen hat. Der Freund ist auch glücklich wiedergekommen; wie aber der Franzl wieder zur Holzarbeit hinauf ist und hat den Thaler umgehabt, da haben’s einen großen Tannenbaum umgeschlagen, und eh’ sie ihn recht gefaßt haben mit der Schling’ zum Niederreißen, ist der Baum unversehens gebrochen, hat den Franzl im Niederstürzen mit den Aesten gepackt und über eine Wand hinuntergeschnellt, so hoch wie ein Kirchthurm, daß man ihn unten hätt’ mit einem Besen zusammenkehren können. Der Thaler aber ist verschwunden gewesen!“

„Ich glaub’ nit an solche Sachen,“ lachte Martl. „Die alten Weiber, wann s’ beisammen sitzen und nichts Gescheiter’s zu thun haben, hecken solche Geschichten aus. Von mir aus kann’s aber auch wahr sein, ich versteh’ mich nit d’rauf; das aber weiß ich ganz g’wiß, daß das, was ich da umhängen hab’, kein solches Amulet ist. Das ist nur für Eins gut: für die gachen (jähen) fliegenden Hitzen, die mich manchmal übergeh’n.“

„Das sind Ausreden,“ rief der Jäger wieder. „Und wenn es das nicht ist, kann ich mir doch einbilden, was Du damit im Sinn hast. Das Ding in dem Beutel sieht aus wie Blei, fast wie eine vom Schuß plattgedrückte Kugel. Die soll Dir einen sichern Schuß machen – hast gewiß auch schon gehört von dem großen Schießen und richtest Dich darauf ein, ein Bestes davon zu tragen!“

„Von einem Schießen?“ sagte Martl aufhorchend. „Ich hab’ nix davon gehört; seit dem Auswärts bin ich wieder da heroben in der Waldarbeit, ich leb’ wie ein Einsiedel, und erfahr’ nichts von der Welt, wenn nit diemalen wer in’ Heimgarten zu mir kommt. Wo ist denn das Schießen? Wenn’s nit gar zu weit weg ist und zu einer gerechten Zeit, nachher könnt’s schon sein, daß ich schauen thät’, ob meine Büchs’ das Treffen noch nit verlernt hat.“

„Der Herr Forstg’hilf meint gewiß das große Schießen,“ sagte der Kohlenbrenner, „das in der Stadt München drinnen ’geben wird. Hab’ auch schon davon reden hör’n, ist ja ein großmächtiges Ausschreiben herausgekommen aus der Stadt. Die Bürger geben das Schießen dem König zu seiner silbernen Hochzeit, und beim Octoberfest, da wird’s gehalten, und das Octoberfest soll so schön werden heuer, wie’s noch gar niemals nicht gewesen ist; jedes Gericht im ganzen Land schickt seine Leut’ hin und seine besten Schützen, und in Länggries ist schon die Red’ davon gewesen, alle Bueb’n wollen sich zusammenthun und ein’ Hauptmann wählen, und dann miteinander als Bergschützen hineinzieh’n in die Stadt.“

„Was Du nit Alles weißt, Kohlenbrenner!“ rief Martl in freudiger Erregung. „Beim Octoberfest also? Juhe, dann ist’s schon gewiß, daß der Floßermartl nit dabei fehlt! Wenn ich jeden Tag um eine Stund’ länger arbeit’, werd’ ich bis Michaeli gerad’ fertig; dann hab’ ich auch Zeit zum Octoberfest und zum Bergschützenaufzug. Juhe! Das soll wieder amal eine Gaudi’ geben!“ rief er in einer Anwandlung seiner früheren gewöhnlichen Lustigkeit, griff in die Cither und sang, indem er eine übermüthig lustige Weise dazu spielte:

„A G’sangl, das klingt,
Und a Glocken, die hallt;
Aber das Schönst’ ist halt doch,
Wenn der Stutz’n recht knallt.“

In den in das Lied sich anreihenden Jodler fiel der Kohlenbrenner mit einer tiefen, nicht eben sehr rein klingenden Stimme ein; der Jäger konnte es nicht, er hatte eine rauhe Kehle, als ob er nach dem Bauernsprüchwort einen Kapuziner sammt der Kutte verschluckt hätte. Es währte nicht lange, so wurde der Gesang noch vollstimmiger; denn erst aus der Entfernung, dann immer näher kommend, tönte eine frische Weiberstimme kräftig darein. Einen Augenblick später kam eine Bauerndirne den Felsensteig herab mit einer hohen Kraxe auf dem Rücken, eine dralle und festgebaute Gestalt, welcher die ansehnliche Last, die sie trug, nicht eben viel Beschwerde zu machen schien.

„Grüß’ Gott bei’nander!“ sagte sie, indem sie sich an den Zaun lehnte und ihre Bürde darauf ruhen ließ. „Weil’s gar so alert hergeht, muß ich schon auch ein bissel einkehr’n und ausschnaufen!“

„Das wollen wir hoffen,“ sagte der Kohlenbrenner, während Martl, um als Hausherr die Ehre des Hauses zu wahren, seinem neuen Gaste das Glas mit dem Kranawittwasser anbot. „Wo gehst noch hin so spat, Madl? Ich mein’, ich soll Dich schier kennen.“

„Freilich, wie wirst mich nit kennen, Kohlenbrenner-Veitl?“ sagte die Dirne lachend. „Bist ja alleweil um die nämlichen Weg’ herumgewesen, wo ich daheim bin, – weißt wohl, wo’s beim Leichbauern ’naufgeht zum Friedl in der Point.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_159.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)