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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


gestiegen; denn um den Brunnen herum bot der Boden, erweicht vom Wasser und durchgetreten von den Füßen des zur Tränke herandrängenden Viehes, keinen festen Stützpunkt.

„Wirst halten, du ungeschlachter Ding?“ rief sie dem Rührkübel zu und stieß ihn im aufsteigenden Unmuth auf den Brunnenrand nieder; aber das Geschirr blieb ungefügig und ungelenk wie zuvor. Immer röther stieg darüber der Unwillen im Angesicht der schönen Sennerin auf, immer heftiger rieb sie hin und her; und als der Kübel, ihr unter den Händen ausweichend, sich drehte, war die mühsam bewahrte Geduld zu Ende. Als wäre das Butterfaß ein lebendiges Geschöpf, erhielt es einen Schlag oder Stoß, der es in den Brunnentrog fallen machen sollte. „Da lieg’ von mir aus, wenn du nix kannst, als die Leut’ ärgern!“ rief Stasi dazu, aber die Sache lief nicht ab, wie sie vermuthet hatte; der Rührkübel verstand unrecht und fiel durch eine boshafte Schwenkung über den Trog hinüber in den Schlamm und das schmutzige Wasser der Umgebung, das hochaufspritzend ihr die Tropfen auf Gesicht und Arme schleuderte. „So wollt’ ich doch gleich, daß du in tausend Trümmer auseinandergingst!“ rief sie in rücksichtslos ausbrechendem Zorne und sprang hinzu, um das unglückliche Geschirr noch tiefer in den Schmutz zu treten. „Ist’s denn nit g’rad’, als wenn Alles verhext wär’, was ich anrühr’ – als wenn Alles mir zum Fleiß geschähe, nur damit ich mich ärgern muß?“

Thränen traten ihr in die Augen, sie nahm sich kaum Zeit, sich von dem Unfall zu säubern, und rannte der Hütte zu, stand aber betroffen stille, als sie, an der Ecke angelangt, weit und breit Niemand gewahrte, den sie, wie sie sonst gewohnt war, ihren Unmuth entgelten lassen konnte. Die unabsehbare Berglandschaft lag feierlich schweigend vor ihr da, und die Sonne ging in erhabener Ruhe hinunter und schien ihr wie ein überirdisches Auge mit einem Blicke des Vorwurfs in’s zornentstellte Angesicht. Der Laut des Unwillens, der ihr noch eben auf den Lippen geschwebt, erstarb auf denselben, eine Regung der Scham quoll in ihr empor, und wieder drangen ihr Thränen in die Augen; aber es waren diesmal Tropfen anderer Art, heiß und brennend, wie sie dieselben nie gefühlt. So rasch sie erst herangekommen, so bedächtig setzte sie sich nun auf der Bank vor dem Hause nieder und starrte mit verschwimmenden Blicken in den Sonnenuntergang hinein.

Die wenigen Wochen auf der Alm waren nicht spurlos an dem Mädchen vorübergegangen. Wohl hatte der ebenso rasch gefaßte als vollführte Entschluß einen Theil seiner Wirkung nicht verfehlt; sie war den ihr verhaßten Menschen aus dem Gesichte gekommen, sie durfte nicht mehr fürchten, mit scheelen, spöttischen Blicken angesehen zu werden, oder hinter ihrem Rücken das abscheuliche Wort flüstern zu hören, das ihr zuwider war bis in den Tod, und das ihr durch das Ohr einen tödtlichen Stich gab bis in’s Herz hinunter; aber ihre Absicht war doch nur halb erreicht. Sie hatte gehofft, sobald Niemand und Nichts mehr sie daran mahnte, würde auch sie den ganzen Vorfall vom Ostertage vergessen – darin hatte sie sich geirrt; unerbittlich hielt ihr eigenes Gedächtniß wie ein verhaßter allzutreuer Spiegel ihr die ganze Begebenheit vor; das eigene Herz hatte die räthselhafte Rolle des Mahners übernommen. Hochmüthig und verzogen, wie sie war, hatte sie früher der Menschen wenig geachtet, und wenn sie bei öffentlichen Gelegenheiten die Aufmerksamkeit der Bursche auf sich gezogen hatte, war ihr das ganz natürlich und selbstverständlich vorgekommen. Wenn sie dabei aus manchem dunklen oder hellen Auge einem Blicke begegnet war, der mit einer schüchternen Frage oder freundlichen Bitte auf ihr haftete, so hatte sie darüber lachend die Achseln gezuckt, sie war unempfindlich geblieben, und schon in der nächsten Stunde war der Eindruck vergessen; wie kam es nun, daß sie das dunkle Augenpaar nicht aus dem Sinn bringen konnte, das in der Jachenau unter dem schäbigen, alten Hute hervor auf ihr gehaftet hatte, aus dem ihr eine wilde, auflodernde Gluth entgegengeleuchtet, eine Gluth zornigen Hasses und doch auch eines tiefen Schmerzes, der sich weniger um das eigene Leid abhärmt, als um den Gegenstand, der ihm dasselbe verursacht? Sie konnte Martl’s Bild nicht los werden, weil es sie in Gestalt eines Vorwurfs verfolgte und immer zu fragen schien: Was hab’ ich Dir denn eigentlich gethan, daß Du mich vor allen Leuten verspottet hast? Ich habe Dich gehalten, damit Du nicht gefallen bist und Dir nicht vielleicht Fuß oder Arm gebrochen hast; ich habe mit Dir tanzen wollen, wie ein Bursch ein Mädel zum Tanze aufzieht – und deswegen tust Du mir Schande und Spott an? –

Halb mit, halb ohne ihren Willen hatte sie von der Base bald erfahren, wer der Bursche, mit dem sie in der Jachenau zusammengetroffen, gewesen. Sie hatte schon oft vom Lenggrießer Martl gehört, daß er der Stolz des Ortes und der Schmuck der jungen Bursche sei, ein Meister mit der Büchse wie auf der Cither und im Gesang; sie hatte deshalb manchmal gewünscht, ihm zu begegnen und ihn kennen zu lernen, und nun, da sie mit ihm zusammengetroffen, da sie sich selbst überzeugte, daß er ein tüchtiger Bursche war und trotz seines verrissenen Kittels ein hübscher Bursche dazu, nun hatte sie sich gerade gegen diesen Burschen grob und dumm betragen, wie noch gegen Niemand. Allerdings hatte er sich durch das böse Wort wieder dafür gerächt; aber sie selbst war es ja gewesen, die ihn dazu veranlaßt und ihm Grund gegeben hatte, sie für das zu halten, was er sie genannt hatte. Nicht über ihn war sie daher eigentlich böse, wie sie sich selbst einzureden versuchte, sondern über die Leute und Nachbarn, die das spöttische Wort so bereitwillig aufgenommen, so boshaft festgehalten und so geschäftig verbreitet hatten; ihm war es zu verzeihen, wenn er nach der einmaligen Begegnung sie beurtheilte. Er kannte sie ja nicht; aber die Anderen, ihre Hausgenossen, die Bewohner des benachbarten Ortes, die mußten wissen, daß sie die gute Stunde selber war, und daß, wenn sie manchmal hitzig und mürrisch wurde, sie gewiß immer vollauf Ursache dazu hatte. Sie war sich bewußt, gewiß eine geduldige und nachgiebige Person zu sein; aber wenn man es überall darauf anlegte, sie zu ärgern, da mußte der Faden reißen, und wenn er aus einem Heuseil gedreht wäre.

So widereinanderstreitend und mit sich selber ringend, wogten ihre Gedanken und Gefühle durch Herz und Kopf, um so ungestörter, als die Einsamkeit ihre volle Muße gab, denselben nachzuhängen. Es kam wohl vor, daß sie Viertelstunden lang auf der kleinen Bank vor der Almhütte saß und gerade vor sich hin sah, als hätte sie über die wichtigsten Dinge nachzudenken oder die größte Aufgabe zu lösen. Manchmal eilte sie hastig aus der Stube nach dem Stalle, oder vom Stalle in’s Freie; mitten im Gehen aber hielt sie inne, besann sich und mußte wieder umkehren, unterwegs war ihr aus dem Sinn gekommen, was sie so eilig gewollt.

Auch an diesem Abend hatte sie sich mit den alten Bildern und Träumen abgekämpft und abgemüdet, und wie allemal hatte das Scharmützel in ihrem Innern damit geendet, daß ihr trotziges Wesen sich in eine schmerzliche Wehmuth auflöste, in das bittere Gefühl eines namenlosen Unglücks, über das sie sich selbst keine Rechenschaft geben konnte. Der Abend war schon tief heruntergebrannt, der Lichtball der Sonne, eben von einer dichten Dunstschicht am Horizont umhüllt, hing wie eine dunkle, rothe Kugel auf derselben und war anzusehn wie eine düster verglimmende Kohle. Stasi gewahrte es nicht. Sie saß unbeweglich auf der Bank und spürte nicht, wie die Luft immer kühler und schärfer gegen die Bergwand strich, in deren Schutz die Hütte eingebaut war, und daß auf der Almweide neben ihr schon ein schmaler Nebelstreifen den Weg kennzeichnete, auf welchem ein kleines Felsenbächlein durch das Grün herangerauscht kam, so wie daß durch Nebel und Gras eine Frauengestalt rüstigen Schrittes gegen die Hütte heran wanderte, in einiger Entfernung aber verwundert stehen blieb.

„Ja was soll denn das vorstellen?“ rief die Frau, während Stasi beim ersten Laute aufsprang wie Jemand, der, unvermuthet geweckt, sich den Schlaf aus den Augen reibt. „Da wollt’ ich doch gleich, daß alle Vögel Hennen wären! Das ist eine schöne Wirthschaft auf der Brettenalm, das muß ich schon sagen! Es ist sinkende Nacht und noch kein Feuer auf’m Herd, kein Kessel gehitzt, die Hütte steht offen und die Stallthür auch, das seh’ ich schon von Weitem, und die Sennerin sitzt vor der Thür wie ein Einsiedl vor der Klausen, nur die Kutt’n geht ihr ab.“

„Was?“ rief Stasi, sie unterbrechend, entgegen. „Die Mahm kommt ’rauf bis auf die Brettenalm? Schau, das ist mir im Geist vorgegangen, deswegen hab’ ich mich so hergesetzt und hab’ gewartet, damit Du gleich Deine Freud’ hast, wenn Du kommst und gleich was zum Greinen findst.“

„So?“ sagte die Bäuerin näher tretend. „Ist das mein Grüß’ Gott? Ich hab’ gedacht, die Luft da heroben sollt’ Dir gut

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_174.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)