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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


bekannt. Sowie Wilke denselben erblickt, ruft er ihm entgegen:

„Noch nischt. In einer halben Stunde kommen Sie wieder. Da wird die Post da sein.“

„I da verlohnt sich’s doch nicht mehr, daß man zu Hause geht, denn wenn ich ohne Postsachen komme, da schnauzt mich mein Lieutenant doch an. Es ist doch ein übel Ding, so wie er in den Krieg zu müssen und eine sechsunddreißigstündige junge Frau zu Hause zu lassen. Täglich nur ein Brief, dann ist’s schon nicht recht, dann sind die Stiefeln nicht blank, dann ist das Pferd nicht gut geputzt, dann hab’ ich ein sehr dummes Gesicht – nächstens aber werd’ ich mich hinsetzen und an die gnädige Frau schreiben und sie bitten: ‚Ach schreiben Sie ihm doch so viel Papier voll, daß er gar nichts weiter zu thun hat, als immer nur zu lesen, damit er wenigstens nur mich zufrieden läßt.‘ Also in einer halben Stunde? Bon.

Er will gehen, kehrt aber um und wendet sich an Wilke:

„Meine Pfeife ist ausgegangen. Haben Sie nicht ein Bischen Feuer? Sie verzeihen, Herr Secretair.“

Wilke giebt ihm Feuer, er will gehen; die Thür in der Hand haltend kehrt er nochmals um und bittet um ein paar Couverts. Wilke giebt ihm auch Couverts, bemerkt aber in etwas unwirschem Tone, daß die Post zwar Postkarten, aber keine Couverts ausgebe.

„Aber zu den Couverts gehören auch noch ein paar Briefbogen,“ bemerkt der Bursche. „Das können Sie auch noch für’s Vaterland thun. Die ganze Briefmappe von meinem Herrn steht mir zu Gebote, aber seine Briefbogen sind alle mit dem Namenszug und mit der Krone, und wenn ich auf einem solchen Bogen an meine Auguste schreibe, dann ist der Teufel los, dann denkt sie, ich stehe mit einer hohen französischen Chateaubesitzerin in einem so vertrauten, unerlaubten Verhältnisse, daß ich schon auf ihrem Papiere schreibe. Man muß an Alles denken. Ein paar Briefbogen, Herr Secretair, ja?“

Der Secretair giebt ihm auch noch die Briefbogen, und fragt mit unverkennbarer Ironie, ob er nicht noch einen Zehnthalerschein wünsche.

„Wahrhaftig, das hätte ich fast vergessen, den können Sie mir auch noch wechseln, das ist sehr gut, daß Sie mich selbst darauf gebracht haben.“

Wohl oder übel muß der Beamte auch diesem Ansinnen nachkommen; er selbst hat die Sache angeregt; er zählt aus einer kleinen, eisenbeschlagenen Cassette zehn blanke Thaler auf, der Bursche streicht diese ein, sagt schönen Dank und will gehen.

„Aber bitte um den Zehnthalerschein!“ ruft ihm der Secretair nach.

„Ach so – den wollen Sie auch haben. Fast hätt’ ich’s vergessen!“ und zögernd holt er die Banknote aus der Tasche, legt sie auf den Tisch. „In einer halben Stunde also! Was man derweile nur macht!“

Da fällt sein Blick auf Brodhuhn, der noch immer am Kamin sitzt und die Zeitung liest. Auf diesen geht er zu, zieht ihm sachte die Zeitung aus der Hand und sagt:

„Die können Sie mir so lange borgen. Ich bringe sie, wenn ich die Post hole, wieder. Nordhäuser? Das war immer mein Fall. Jeder Deutsche hat ein geistiges Bedürfniß nach etwas Bismarck. Das ist das Schlimme. Mein Lieutenant hält nur französische Zeitungen, und diese Sprache verachte ich – ich bin ein deutscher Jüngling.“

Fort ist er. Der Secretair lacht, die beiden Schaffner sind über diese „Ausverschämtheit“ wüthend, Brodhuhn sagt:

„Das geht doch noch über die Colonnenbriefe! Ich laß mir die Zeitung extra von Hause kommen und der liest sie. Gerad’ mitten in einem Artikel, wo beschrieben ist, wie die Pariser die beiden Elephanten gegessen haben. Das war Sie sehr scheene zu lesen, Herr Sekertär.“

Auch als Dolmetscher muß der Secretair dienen. Ein Officierbursche tritt mit einem Franzosen, seinem Quartiergeber, in’s Local und klagt seine Noth. Der Bursche soll dem Mann die Wäsche seines Herrn geben, um sie zur Wäscherin, zu einer femme de lavement, zu bringen, und nun wolle der Blaukittel nicht capiren, er frage immer, ob Officier malade wäre. Er, der Bursche, spreche doch sehr deutlich, laver heiße waschen, also lavement Wäsche, und femme de lavement, Wäscherin. Schließlich muß ihm der Secretair begreiflich machen, daß die französischen Wäscherinnen nur auf das Wort blanchisseuse hörten und daß das andere Wort eine ganz andere Bedeutung habe.

Es vergehen fünf Minuten – es vergehen zehn Minuten, ohne daß die Glasthür des Postbureaus in Bewegung gesetzt wird, was allerdings zu den Seltenheiten gehört. Die Post ist, wie wir gesehen haben, für alle Wünsche, für alle Bedürfnisse, für alle Angelegenheiten da; zu Hause würde sich ein Beamter für diese Nebenbeschäftigungen höflichst bedanken. Hier im Felde jedoch bringen das die Verhältnisse mit sich.

„Brodhuhn!“ ruft der Secretair.

„Herr Sekertär!“

„Legen Sie diesen Brief hier zu denen, die zurückgeschickt werden. Tour Köln-Hamburg.“

Es ist ein Feldpostbrief, adressirt: „An den Gefreiten Christian Baumgardt bei der neunten Compagnie des fünfundachtzigsten Regiments, sechsunddreißigste Brigade, achtzehnte Division, neuntes Armeecorps.“ Unten am Rande des Couverts steht: „Absenderin: Wittwe Katharina Baumgardt in Altona.“ Wenn die Absenderin auch nicht auf dem Briefe verzeichnet stünde, so würde man doch an der Schrift, an den etwas weitgezogenen, von der zitternden Empfindung des Herzens geführten Zügen erkennen, daß es eine Mutterhand war, die dieses geschrieben hat. Die Adresse ist ganz richtig, jedenfalls hat ihr der Sohn vor dem Abschiede dieselbe vorgeschrieben, und ein Labsal war es für das treue Mutterherz, mit Feder und Dinte, die sie vielleicht lange nicht mehr in der Hand gehalten hatte, den vorliegenden Worten langsam nachzufahren. So sieht die Adresse des Briefes aus. Derselbe ist dicker, als ein gewöhnlicher Brief; das Papier des Couverts ist an einer Stelle zerrissen und einige Tabaksblätter fallen heraus. O treue, liebende Sorgfalt! Der Mutter ist vielleicht im Momente des Absendens noch eingefallen: Ei, du könntest diesem Briefe noch etwas beifügen – ein wenig Tabak; kann’s auch nur wenig sein, so sieht er doch die Liebe. Vielleicht könnte die Frau auch nicht mehr beipacken, selbst wenn es die Postbehörde gestattete, vielleicht hat sie ihren letzten Groschen hingegeben, um dem Sohne das Liebeszeichen senden zu können. Weihnachten ist zudem nahe, und da macht man den Kindern immer eine kleine Vorfreude. Wie wird ihm die Pfeife schmecken, wie wird er dabei immer an seine Mutter daheim denken und sich in seinem Herzen sagen: die Alte ist doch die Beste! Wer weiß, dieser Sohn ist vielleicht das einzige Kind, ihr einzig Gut und Blut, Alles, was einer Armen an Erdenglück geblieben ist, ihr Glück im Leben und ihr Trost im Sterben; wie sehnsüchtig wird sie eine Antwort von ihrem Kinde erwarten, wie freudig wird ihr Herz aufschlagen, wenn sie den Briefträger auf ihr Haus zukommen sieht, er kann ja nur einen Feldpostbrief bringen, einen Brief von ihrem Kinde. Der Briefträger hat auch einen Brief in der Hand, er giebt ihr denselben, aber es ist ihr eigener. Im ersten Augenblick wird sie den Zusammenhang nicht fassen können, sie wird das Nächste und Natürlichste glauben, daß bei dem Briefe irgend eine Unregelmäßigkeit war, in Folge derselben die Postanstalt ihn zurückgehen läßt, bis sie den Brief umkehrt. Auf der Rückseite stehen einige Worte mit kleiner, fremder Schrift, die sie mit bloßem Auge nicht lesen kann; sie muß ihre Brille zur Hülfe nehmen und liest: „Adressat ist am vierten December in der Schlacht vor Orleans gefallen. Feldwebel Ohm.“ –

Kehren wir jedoch aus dem Stübchen in Altona in das deutsche Postbureau nach Frankreich zurück. Zwei Geldbriefe werden aufgegeben; den ersten bringt ein Soldat von einem Regimente, das zufällig die Besatzung des Ortes bildet. Der Brief ist an eine Frau in einem Dorfe Litthauens adressirt. Der Soldat fragt, ob ein Brief wohl richtig nach Litthauen komme, auch wenn er nicht fünffach gesiegelt sei. Das sei gar nicht nöthig, giebt man ihm zur Antwort, vorausgesetzt, daß kein Geld darin sei.

„Es ist aber Geld darin,“ gesteht der Absender.

„So geben Sie doch die Summe an, die sich in dem Briefe befindet!“ räth der Beamte.

Darauf wird der Bringer des Briefes merkbar verlegen. „Hm, Sie meinen, Herr Postdirector, es muß darauf stehen, wie viel darin ist?“

„Es muß nicht, aber Sie sind mehr gesichert. Der Brief wird wohl auch so ankommen; aber wenn Sie wollen, will ich die Summe darauf schreiben!“

„Bitte, Sie können den Brief fünffach siegeln!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_199.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)