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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Gesicht und über’s Gewand angesehn, wie ich gesinnt bin. Hast Du ’glaubt, der Kurzenbauer ist ein Hackstock, daß er sich an solche dumme alte Bräuch’ hängt? Ich hab’ nie anders gered’t und red’ noch so: Gerad’ weil Du kein Jachenauer bist, mußt’ mein Schwiegersohn wer’n! Wie wir heimkommen, ist der erste Weg zum Landrichter und der zweite zum Pfarrer – Gebt ’s einander d’ Händ’! Die Schützen alle san Zeugen.“

Das glückliche Paar ließ sich den Befehl nicht zwei Mal sagen; es reichte sich die Hände und wäre sich wohl in die Arme gesunken, wäre es nicht zum ersten Male und vor der unbekannten Menschenmenge gewesen, die von der Neugier herbeigerufen war. Alles rief Beifall; die Schützen aber schwenkten die Hüte und jauchzten dazu, als ob es bis an die fernen Berge hallen und die Botschaft bis in die Jachenau tragen sollte. Nun, da das Eis gebrochen war, ging der Strom der Freude bald immer freier und in immer rauschenderen Wellen dahin; der Alte war selig, einen Kreis von Zuhörern um sich zu sehen, die ihn lobten, und er wurde nicht müde, zu erzählen, wie der König ihm gleich durch und durch gesehen, wie er sich ihm selber zum Gevatter angetragen und ihm auf die Schulter geklopft habe, als wäre er Seinesgleichen. Die Schwester saß unbeachtet in der lauten Freude: sie hatte ihr Lebenlang Thränen und Leid niedergekämpft; sie that es auch jetzt – aber es ward ihr leicht; denn ihr Blick ruhte auf dem Liebesglücke, das dem jungen Paare aufgegangen war, wie über Nacht der Frühling kommt.

Stasi und Martl selbst wußten sich in das ungeahnte, ungehoffte und unerwartete Glück kaum zu finden; Hand in Hand saßen sie nebeneinander, Aug’ in Auge und im eifrigsten Gespräche; sie hatten sich so viel zu sagen, daß weit eher die Zeit zum Erzählen fehlen konnte, als der Stoff dazu. Für sie war das ganze Fest und die Menge der Gäste nicht da; denn sie feierten das Brautfest ihrer Herzen und machten den Volksspruch wahr, daß ein Paar Verliebter immer wie unter einem Glassturz sitze und, weil es von der übrigen Welt abgeschlossen sei, von ihr auch nicht gesehen zu sein glaube.

„Und wie ist es jetzt? Wirst Wort halten?“ fragte Stasi leise. „Wirst mir das goldene Büchsel geben?“

„Jeden Augenblick,“ entgegnete Martl ebenso. „Aber warum liegt Dir denn jetzt noch gar so viel d’ran? Was willst thun damit?“

„Errathst es nit? Statt Deiner will ich’s anhängen und will’s tragen zum Andenken – und wenn mich die Z’widerwurz’n wieder grüßen laßt, will ich d’ran hinlangen; aber es wird nimmer g’schehen.“

„Ja, das weiß ich g’wiß. Wie Du mir damals in der Krepp’n (Hohlweg) begegn’t bist, hast mich, eh’ Dir der Zorn ’kommen ist, gar so freundlich und so eigen angeschaut, das ist Deine Seel’ gewes’n, die mich gegrüßt hat – alles And’re, das war nur ein Nebel, wie er auf’n Berg’n liegt, der verfliegt, wenn die Sonn’ ’raufkommt.“

„Und Du?“ fragte Stasi wieder, indem sie sich näher zu ihm hinneigte. „Wirst auch alleweil lieb und gut bleib’n mit mir? Wirst es nit machen, wie’s in dem Schnaderhüpfl heißt, das Du auf’m Schieß’n in Länggries gesungen hast? Du weißt es schon:

Ueber’n Baum, unter’n Baum
’S Eichkatzl springt;
Sucht sich an and’re Nuß,
Bald’s die oa nit aufbringt.“

„Na, jetzt geht’s aus einem andern Ton,“ rief Martl, indem er seinen Hut schwenkte. „Jetzt heißt’s so:

Ueber’n Baum, unter’n Baum
’S Eichkatzl springt;
Laßt nit von sein’ Nuß’n,
Bis daß sie’s aufbringt.

Und die härteste Nuß
Hat den süßesten Kern,
Und diem (manchmal) kann auch a Röserl
Aus a Z’widerwurz’ wer’n.“




Blätter und Blüthen.

Des Kaisers Einzug. (Mit Illustration.) Da es nicht Aufgabe unseres Blattes sein kann, von jedem großen Festtage, an welchem der deutsche Kaiser seinen glanzvollen Einzug in Berlin hielt, nachträglich noch eine Schilderung zu geben, wie sie von allen Blättern des In- und Auslandes schon in der eingehendsten Weise gebracht worden ist, so beschränken wir uns darauf, aus dem uns zugleich mit der Illustration des Professor Döpler zugehenden Artikel eines wohlunterrichteten Mitarbeiters nachfolgende wohl auch heute noch interessante Stellen mitzutheilen:

„Nachdem ich schon an zwei Stunden lang mich durch das Wogen und Treiben in den menschenvollen, flaggen- und fahnengeschmückten Straßen und Plätzen gedrängt hatte, fand ich es an der Zeit, unserem eigentlichen Reporterposten, dem am aristokratischen Westende der Stadt, nahe dem sogenannten Geheimrathsviertel gelegenen Potsdamer Bahnhofe, zuzutrachten. Gegen fünf Uhr sollte der den Kaiser heimführende Extrazug dort einlaufen. Zwar schlug es eben erst Zwei, als wir Beiden, Zeichner und Berichterstatter, auf dem Leipziger Platze standen und die hübsche Schiffsflaggengruppe betrachteten, mit welcher der Admiral der deutschen Flotte, Prinz Adalbert von Preußen, sein Palais seemännisch ausgeziert hatte, allein schon wälzt sich vor, neben und hinter uns eine endlose Völkerwanderung der erwähnten Station zu, so daß wir, eingekeilt wie wir sind, selbst zu dem schneckenartigsten Fortkommen nur mit Mühe und und unter energischem Gebrauche unserer Ellenbogen Raum und Luft gewinnen. Der Zutritt zum Bahnhof war zwar im Grunde nur gegen Eintrittskarten möglich; glückliche Geistesgegenwart aber ließ uns auf den Einfall kommen, Fahrbillets nach Potsdam zu lösen, und deren Besitz erwirkte uns wirklich die Erlaubniß, den Perron des Bahnhofs zu betreten.

Dieser selbst ist bekanntlich bis zum Augenblicke blos eine provisorische, barackenähnliche Schöpfung, so lange der großartige Bau, der ihm definitiv bestimmt ist, noch seiner Vollendung entgegensieht, und diesem provisorischen Zustande des Bahnhofs war es denn auch zweifelsohne hauptsächlich zuzuschreiben, daß sein festlicher Aufputz und Ausschmuck etwas dürftig ausfiel. An den Holzpfeilern der dem Schienenstrange zugewandten Einsteighallen hafteten zwar zahlreiche Wappenschilder, flatterten Mengen von Fahnen und Fähnchen, hingen Bänder und Schleifen und Laubgewinde, Alles aber von Papier, Pappe und Kattun, mit Einem Worte, so wenig kaiserlich und kaiserstädtisch wie immer möglich. Von künstlerischer Erfindung und Anordnung der Decoration – oder auch nur von Fülle und Reichthum der Ornamente zeigte sich keine Spur, wie sich überhaupt bei den verschiedenen Berliner Märzfeierlichkeiten in den äußerlichen Festdecorationen ein bedauerlicher Mangel an Geschmack und schöpferischen Gedanken, besonders aber an einheitlicher Organisation bemerklich machte. Bei allen diesen Festivitäten waren Nüchternheit, Monotonie und Ideenarmuth, ein Operiren jedes Einzelnen auf seine eigene Faust und nach seinem eigenen Belieben und Verständniß der vorherrschende Charakter. Nirgends ließ sich ein Zuratheziehen und planmäßiges Zusammenwirken competenter Kräfte, nur selten ein origineller Einfall, ein glücklicher künstlerischer Wurf wahrnehmen: Inspiration und Schwung fehlten fast durchgängig an der Festzier für den Tag, wie in den Beleuchtungsarrangements für die Nacht, bei welchen letzteren man dem Gase die Hauptrolle überlassen hatte und Krone, Adler und Stern in ermüdender Wiederholung zur Schau stellte. Wenn demungeachtet die Illuminationen einen imposanten Eindruck hervorbrachen, so that dies lediglich die Quantität, nicht die Qualität des Gebotenen, die große Stadt mit ihren großen, geraden, breiten Straßen und weiten Plätzen, auf denen die unabsehbaren Lichterlinien zur vollsten Geltung kamen, und vor Allem die ungeheure Menschenfluth, welche, nach Hunderttausenden zu bemessen, in dem Glanzmeer zuschauend auf und nieder wogte.

Stundenlang neben einem Schienenstrange hin und her zu patrouilliren, alle fünf Minuten von einem der Locomotive entströmenden Dampfstrahle angezischt und von den schrillen Signalpfiffen umgellt, bot nichts Plaisirliches, umsoweniger, wenn man gleich Einem, der kein gutes Gewissen hat, nicht recht frank und frei sich umzublicken wagt und sich immer hinter einer bestimmten Demarcationslinie verschanzen zu müssen glaubt. Indessen mancherlei interessante und ergötzliche Beobachtungen und Episoden helfen uns über die vor uns liegende Zeitwüste hinweg. Da erschien zuerst ein Unicum von Menschengestalt. Mit seiner schwarzweißrothen Binde um den Arm und der ditto Schleife am Hute sah dieser Einzige seiner Art wie ein aus der verklungenen Liederfestperiode in die reale Gegenwart verschlagener deutscher Sangesbruder aus, der sich in den fremdartigen Umgebungen nicht recht geheuer fühlt. Der seltsame Einsiedler war ein Probeexemplar der projectirten Bürgerconstabler, vermuthlich das einzige bis jetzt ordonnanzmäßig in’s Feld gerückte Individuum, dem es in seiner Sonderstellung noch sehr unbehaglich und furchtsamlich zu Muthe zu sein schien und der sich in offenbarer Verlegenheit immer nur die abgeschiedensten Winkel des Bahnhofs zum Schauplatze seiner Thätigteit erkor. Nun, das Publicum, vielleicht schon in Vorahnung, daß ihm am nächsten Morgen auf rothen Anschlagzetteln der polizeipräsidentliche Dank für sein „würdiges und tactvolles Verhalten“ am Kaisereinzugstage gespendet werden würde, war brav und harmlos und krümmte dem blöden Sicherheitsfreiwilligen kein Härchen seines hochblonden Bartes.

Währenddem war es in den vorderen Regionen, da, wo das erwartete Reichsoberhaupt zuerst wieder den Fuß auf den angestammten Berliner Sandboden setzen sollte, von Secunde zu Secunde officieller und farbenprächtiger geworden. Vor den breiten Generalsscharlachstreifen und den dicken goldenen und silbernen Achselschnüren, vor den Kreuz- und Sternenfirmamenten über kriegerischen und nicht kriegerischen Herzen, vor den Dreimastern und den altväterisch hohen goldbelasteten Kragen der Minister und Präsidenten, vor den bauschenden Seidenroben und den Kolossalbouquets ihrer Damen konnte man, wenigstens aus unserer respectvollen Entfernung, das Empfangszelt mit seinen neudeutschen Tricoloren und Draperien, seinen Gedenkschildern „Sedan“ und „Paris“, seiner „Borussia“ und „Germania“ und seinem Blumen- und Blätterschmucke kaum noch erkennen.

Bunter und wechselvoller noch gestaltet sich das Bild draußen vor der Station. Drüben in den hohen Häusern der Flotwellstraße haben sich von oben bis unten alle Fenster in Schaulogen verwandelt, die bis in den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_275.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2017)