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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


trat in das Salonzimmer, das er durchschreiten mußte, um auf den Hausflur zu gelangen; seine Züge hatten ganz wieder den sanften schwermüthigen Ausdruck, der ihnen sonst eigen war; plötzlich aber zuckte er auf und wich zurück – er erblickte Miß Forest.

Sie hatte ihren Platz am Fenster nicht verlassen, aber sie war etwas vorgetreten, so daß er sie sehen mußte, und ihr Blick begegnete dem seinigen. Jane’s Augen vermochten es nicht, weich oder träumerisch zu blicken, und selbst das Feuer darin glich immer nur einem Nordlichtscheine auf dem Eisfelde; aber dennoch lag eine seltsame Gewalt in diesen dunklen Tiefen, die Macht eines stolzen unbeugsamen Willens, der nicht zu locken, aber zu zwingen verstand, und sie war sich dieser Macht im vollsten Maße bewußt. So selten sie auch angewendet ward, brauchte sie sie einmal, dann blieb ihr auch der Sieg, und kein Sieg über das Gewöhnliche. Den starken Charakter des Vaters hatte sie mit diesem Blicke gebeugt, die immer bereiten Sarkasmen Atkins’ verstummen gemacht, die kalte, gleich energische Natur Henry’s zu ihren Füßen gezwungen. Und jetzt galt es auch etwas zu erzwingen, den Schritt, mit dem ein Anderer trotz alledem ihren Weg kreuzen sollte und mußte, das Abschiedswort, das sie nun einmal von seinen Lippen hören wollte – darum strahlten diese Augen jetzt in ihrem vollen mächtigen Glanze, und tief unten, hinter all dem Eise, da flammte etwas, was wärmer war als bloßer Nordlichtschein.

Auch Fernow schien dieser räthselhaften Macht zu erliegen; wie festgebannt hing sein Blick an ihrem Antlitz; er sah es, sie wartete, wartete auf ein Lebewohl. Nur einen Schritt kostete es ihn, nur ein einziges Wort, es galt ja den Abschied, vielleicht auf Nimmerwiedersehen! In Jane’s Zügen blitzte es triumpirend auf – da verdüsterte sich auf einmal das Gesicht des Professors, jede Muskel spannte sich an zum energischen Widerstande. Langsam, als weiche er Schritt für Schritt aus dem Bereiche einer dämonischen Gewalt, so riß er das Auge los von ihrem Antlitz; seine Lippen zuckten, als sie sich aufeinanderpreßten, um das Abschiedswort zu verschließen; seine Brust hob sich krampfhaft im qualvollsten inneren Kampfe, aber der beleidigte Stolz des Mannes hielt Stand vor der Versuchung. Er wandte sich zum Gehen, eine Verbeugung, so kalt, so fremd, wie die letzte auf dem Ruinenberge, und die Thür fiel hinter ihm zu – er hatte Wort gehalten!

Jane stand da wie eine Bildsäule; das war zu viel! Sie hatte sich herabgelassen zu warten, hatte die ganze Zeit gewartet und stand nun da, entschlossen, die Hand zur Versöhnung zu bieten, bereit, ein letztes Abschiedswort zu geben und zu empfangen, und diese unglaubliche Selbstüberwindung ward so aufgenommen! Was wollte denn dieser Mann? Verlangte er etwa gar, sie solle ihm Abbitte leisten?

Abbitte! Bei dem bloßen Worte schon empörte sich das ganze Wesen der jungen Dame in Zorn und Entrüstung; das war etwas, was sie nicht kannte. Miß Forest, die Alles so klar prüfte, so ruhig überlegte, sie kam nie in den Fall, eine Aufwallung bereuen oder einen Irrthum wieder gut machen zu müssen, weil sie sich niemals hinreißen ließ; und selbst in ihren Kinderjahren war die Abbitte etwas, das ihr unmöglich schien. Sie trug jede Strafe, aber sie trotzte finster dabei, trotzte eher wochenlang, ehe das Wort „Verzeihung“ von ihren Lippen kam, und Forest fühlte in dem Kinde viel zu sehr seine eigene Natur, um bei ihm etwas zu erzwingen, was er selbst als eine Erniedrigung empfand. Der Gedanke blitzte nur auf, um sofort mit Abscheu zurückgewiesen zu werden – er wollte kein Lebewohl, nun denn, so mochte er ohne dasselbe gehen, in’s Feld, in den Tod, wie er selbst meinte.

Und was hatte ihn dazu getrieben? Sie wußte es jetzt, die bittere Genugthuung, mit der er das Lossprechen vom „Federhelden“ begrüßte, hatte es ihr verrathen. Das Wort hatte gewühlt und gewühlt in dem Manne, wochenlang; es war der Stachel, der allein ihn trieb, als er etwas unternahm, dem seine Kraft nicht gewachsen war, und wenn er nun unterlag, wenn er zu Grunde ging an dieser Aufgabe, wer trug die Schuld?

Jane begann heftig im Zimmer auf und nieder zu gehen; sie wollte den Gedanken von sich weisen, und doch kam er immer und immer wieder zurück. Sie hörte nur sein mit so düsterer Ergebung gesprochenes „Ich habe Niemanden, ich stehe ganz allein in der Welt!“ Sie preßte die Hand gegen die Brust, als habe jenes Weh dort ein Echo gefunden; hätte sie ihm jetzt gegenüber gestanden, vielleicht – da bäumte sich der alte Trotz wieder in seiner ganzen Wildheit empor, und sie preßte die Hände ineinander und stampfte außer sich mit dem Fuße. „Nein! Und nein! Und abermals nein!“

Der Nachmittag verging reißend schnell mit der Besorgung all’ des Nöthigen für die beiden Abreisenden, endlich war alles geordnet, gepackt, zugeschlossen, und mit der beginnenden Abenddämmerung stand Friedrich reisefertig vor dem Doctor und seiner Frau, um Abschied zu nehmen. Der arme Bursche sah sehr niedergeschlagen aus, um seinen breiten Mund zuckte es schmerzlich, mühsam schluckte er die aufquellenden Thränen hinunter und weder das schwere Geldpäckchen, das der Doctor ihm zusteckte, noch das Versprechen der Doctorin, auch im Felde nach Möglichkeit für ihn zu sorgen, vermochte ihn aufzuheitern.

„Schäme Dich, Friedrich!“ schalt Stephan. „Ist das eine Art in den Krieg zu gehen? Mit solcher Jammermiene, mit nassen Augen? Ich hätte Dir mehr Courage zugetraut.“

Friedrich sperrte die nassen Augen verwundert auf, es dauerte eine ganze Weile, ehe er den Vorwurf überhaupt begriff, dann aber machte auch die Niedergeschlagenheit sogleich der tiefsten Gekränktheit Platz.

„Meinen Sie etwa, Herr Doctor, daß ich mich fürchte?“ rief er entrüstet. „Mir ist es ja eine wahre Wonne, das Gewehr auf den Rücken zu nehmen und dreinzuschlagen, daß nur alles so kracht! Aber mein armer Herr Professor! dem kostet die Geschichte das Leben, noch ehe er vor den Feind kommt!“

„Nun, das ist doch noch nicht ausgemacht!“ meinte der Doctor, während Frau Stephan, in vollster Uebereinstimmung mit Friedrich, ihr Taschentuch an die Augen drückte. „Vielleicht hält er es besser aus, als wir alle denken. Ich sage es Dir noch einmal, er ist gar nicht so krank, als Du Dir einbildest, und wenigstens reißt ihn das Kriegsleben von dem Studiren los, was unter allen Umständen ein Glück ist.“

„Er geht drauf!“ beharrte Friedrich mit traurigem Kopfschütteln. „Er geht ganz gewiß drauf! Beim ersten Marsch liegt er im Lazareth, und wenn ich nicht bei ihm sein und ihn pflegen kann, so stirbt er auch. Und daran,“ hier brach die von Mr. Atkins so gefürchtete Bärennatur Friedrich’s in unbändiger Wildheit durch, „darin sind auch nur die verdammten Franzosen schuld! Mindestens ein Dutzend schlage ich todt dafür!“

„Nun, nun, warte nur wenigstens damit, bis Du in Frankreich bist!“ rief der Doctor, vor der wüthenden Pantomime retirirend, „übrigens wollen wir erst abwarten, ob Du den Manen Deines Herrn ein solches Todtenopfer zu halten brauchst. So viel ich weiß, hat er doch das ganze Freiwilligenjahr durchgemacht und ist am Leben geblieben.“

„Das war vor zehn Jahren!“ sagte Friedrich, noch immer hoffnungslos. „Damals war er noch weit gesünder und kräftiger, und beim Manöver hat er auch im Lazareth gelegen. – Nun, es hilft einmal nichts! Adieu, Herr Doctor, adieu, Frau Doctorin!“ er streckte den Beiden treuherzig seine große Hand entgegen und die hellen Thränen liefen ihm trotz alles Wehrens und Sträubens über die Backen. „Sie haben mir viel Gutes gethan in den drei Jahren; wenn ich zurückkomme, will ich’s redlich wieder gut machen, wenn nicht – vergelt’s Gott!“

Damit drückte und schüttelte er mit seiner Riesenfaust die dargereichten Hände, nahm noch eine Ermahnung und ein paar gute Rathschläge in Empfang, schwenkte die Mütze und polterte die Treppe hinab, seinem Herrn nach, der bereits von dem Ehepaare Abschied genommen hatte und noch auf einen Augenblick in den Garten gegangen war.

Der Professor stand am äußersten Ende desselben, auf die Gitterthür gestützt, und blickte träumend und unverwandt auf eine jetzt trockene Stelle des Heckenganges, der ihn von dem vorüberrauschenden Strome schied. Die Sonne war bereits untergegangen und das letzte Abendroth verglommen, am Himmel glänzten matt die ersten Sterne, zwischen den Bäumen und Gebüschen lagerten schon dämmernde Schatten, kühl strich der Nachthauch darüber hin. Von drüben her tönte das leise Murmeln und Rauschen der Wellen, die alte, liebe, vertraute Stimme flüsterte ihm den Abschiedsgruß, ob von der Heimath, ob vom ganzen Leben? gleichviel – es war der letzte, den er zu erwarten hatte.

Da rauschte es auf einmal auch von der anderen Seite, aber lauter, heftiger, wie ein seidenes Frauengewand, das den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_311.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)