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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Wer schaut dem Marmorblock wohl an,
Was für ein Gott d’raus werden kann?

Welch schöner Dienst, der Gottheit fröhnen
Im ewig lichten Reich des Schönen!

Aber man muß ihr dienen im Geist, denn:

Der Geist belebt und nicht der Text.
Der Eine malt, der Andre klext.

Man muß ihr dienen um ihrer selbst willen, darum:

Tracht’ nicht nach Ruhm und Menschengunst,
Kurz ist das Leben, lang die Kunst.

Man soll ihr dienen mit Beharrlichkeit, denn:

Festes Aug’ und sichre Hand
Preisen allwärts Leut’ und Land.

Die Maler sollen stets eingedenk sein der Lehre:

Sitzt sie nicht am rechten Fleck,
Ist die schönste Farbe – Dr…!

Die Künstler sollen sein:

In Lust und Leid getreu allzeit.

Wenn sie zum Becher greifen, sollen sie aber vorher sprechen:

Hör’, Maler Bacchus, meine Bitt’:
Mal’ mir zu roth die Nase nit!

Im Leid aber sollen sie sich getrösten, denn:

Den Künstlern winkt einst reicher Lohn,
Sanct Lucas ist ihr Schutzpatron.

Sie dürfen jedoch bitten:

Sanct Lucas, schau’ schon diesseits drein!
Man wird nicht satt vom Ruhm allein.

Sie sollen sich endlich, so oft sie entweder den Tannenbaum schmücken zu ihrem Weihnachtsfeste, oder den Waldmeister pflücken zum Frühlingsfeste, bewähren als:

Ohn’ Falsch und Fehl, von ganzer Seel’, allweil fidel!

Die Wände sind geschmückt mit heiteren, auf „Wein, Weib, Gesang“ und Spiel bezüglichen Bildern von Spangenberg, Heyden, Lulvès, Gentsch und anderen Meistern. Zwei derselben haben wir in unserm Holzschnitte skizzirt: links „Karten spielende Grenadiere“ (von O. Wisniewski), eine Mahnung an die Vergänglichkeit des Glücks, rechts, über der schlummernden Künstlerwerkstatt, eine bei schwelgerischem Mahle entschlummerte Gruppe (von Brausewetter), bei welcher sich unbemerkt, um von den Speiseresten zu naschen, bereits ein furchtbarer – Kater eingeschlichen hat.

An den Hauptsaal schließt sich auf der einen Seite das Spielzimmer, auf den andern der Sitzungssaal, zu dem wir einige Stufen hinabsteigen. Hier werden unter den Augen der in lebensgroßen Figuren dargestellten Meister der früheren Zeiten die parlamentarischen Kämpfe der Künstler ausgefochten, sowohl untereinander als gemeinsam, wider den bösen Geist des „grünen Tisches“; hier wurden die Proteste geschweißt gegen den Mann, der eine neue Kleiderordnung für Venus und Kallisto octroyrt hatte. Die Herren Holbein, Albrecht Dürer, Peter Vischer, Erwin von Steinbach und Rubens sollen damals ein gar verwundert Gesicht gemacht haben zu der mittelalterlichen Cultusverordnung; die Herren Schlüter, Schmidt, Chodowiecki und Sennefelder sollen ein herzhaft Gelächter aufgeschlagen, der alte Schadow aber, aus dem Rahmen hervortretend, den Bekennern der nackten Wahrheit ein lautes Bravo zugerufen haben.

In einer Ecke des Sitzungssaales steht – welch seltsames Möbel in einem Parlaments! – eine Kanzel, mit Figuren im Holbein’schen Stile, mit Aureolen, Drachen und allerlei gothischen Schnörkeln ebenso zierlich als wunderlich bemalt. Wie kommt sie hierher? Ist sie etwa auch, gleich dem Kaiserstuhle von Goslar, aus einem Schlößlein oder Kirchlein einer weiland kaiserlichen Residenz nach Berlin überführt worden? Die Jahreszahl unter dem Ritter Jürge belehrt uns, daß sie erst in neuester Zeit erbaut worden, und dennoch hat sie einen hohen historischen Werth: sie erinnert daran, daß das Jahr 1871 das erste und einzige gewesen seit dem Bestehen des Vereins, da – der ernsten Zeiten wegen – kein Carnevalsfest gefeiert werden, kein lustiger Frater die Narrenkanzel besteigen durfte, um den Schellenbrüdern zu predigen. Sie erinnert aber auch an das herrlichste Fest, das der Verein am 22. Februar des vergangenen Jahres begangen hat, und an den heitern Syllabus, der von dieser Kanzel verkündet worden ist. Damals – es war wenige Tage, nachdem die römischen Verfluchungen bekannt geworden – sprach der Pater Abraham a Sancta Clara der Künstlerschaft also zu der närrischen Gemeinde:

„Wer heut’ – so steht von kund’ger Hand geschrieben an der Kanzel
     Wand – Wer’s heut’ mit Narrheit nicht versucht, der sei – ver-
     flucht, verflucht, verflucht!

Wer heut’ den Kopf griesgrämlich senkt, wer Mücken seih’t und Grillen
     fängt und sich nicht fügt der lust’gen Zucht, der sei – verfl…!

Wer hungrig sitzt beim leckren Mahl, und, wenn er leidet Durstes Qual,
     nicht seinen Durst zu löschen sucht, der sei – verfl…!

Wer nicht des Liebchens Lippen küßt, wenn es nach Küssen trägt Gelüst,
     und wer sein Liebchen täuscht verrucht, der sei – verfl…!

Wer für des Nächsten Gram und Schmerz nicht hat ein volles, warmes
     Herz, wer nur des Nächsten Fehler bucht, der sei – verfl…!

Wer nur an ird’schen Vortheil denkt, nach Gold nur giert, am Gold nur
     hängt und frömmelnd doch zum Himmel lugt, der sei – verfl…!

Wer heut’ hier sagt: ich spiel’ nicht mit! und wer, so lang’ er nicht im
     Tritt, nicht doch in Tritt zu kommen sucht, der sei – verfl…!

Doch wer hier von des Tages Last sich eine Herberg’ sucht zur Rast
     in treuer, deutscher Freunde Zahl, der sei gegrüßt viel tausendmal!“




Die Industrie im Waldbache.


Aus dem fernen Indien kam mir neulich ein Bericht über die verschiedenen Grade von Körper- und Geisteskraft der Bewohner zu. Leute an großen Flüssen und am Meeresgestade erwiesen sich arbeitsamer und einsichtsvoller als die, welche ohne Nahrung aus dem Wasser größtentheils von Reis und sonstiger Pflanzenkost lebten. Der betreffende englische Beamte fordert deshalb, man solle letzteren durch besondere Maßregeln, namentlich verbesserte Wege und Stege, Fisch- und Fleischnahrung zugänglicher machen.

Wir können freilich den Beweis näher haben, daß schlechtgenährte Völker weder geistig noch körperlich viel taugen und ohne Freiheit von drückenden Nahrungs- und Abgabesorgen auch die politische, gesellschaftliche und persönliche Freiheit nicht gedeihen kann.

Ich habe deshalb seit Jahren für Erweiterung und Bereicherung materieller Lebensbefriedigungsmittel als einer wesentlichen Grundlage aller Cultur Anregungen und Nachweise gegeben und namentlich in der Bewirthschaftung des Wassers eine unerschöpfliche, in Deutschland aber am meisten vernachlässigte Quelle dieser besseren Ernährung zugleich auch für den Geist nachgewiesen. „Neue Werke und Winke für die Bewirthschaftung des Wassers“, unlängst erschienen, machen uns mit den Anfängen und ersten Erfolgen dieses flüssigen Ackerbaues in Deutschland bekannt, namentlich mit den Plänen und Vorarbeiten des deutschen Fischereivereins, der sich unter dem Vorsitze des Kronprinzen von Preußen gebildet hat und unter seinen mehr als dreihundert Mitgliedern viele Gewährsmänner der Fischerei und als Vorsteher seiner fünf Commissionen den Oberregierungsrath Greif, die Professoren Virchow und Peters und den Dr. v. Bunsen aufweisen kann. Der Krieg hat zwar viele ihrer Pläne, wenn nicht vereitelt, so doch aufgeschoben. Wir hoffen deshalb um so freudiger, daß ein gründlicher, dauernder Friede uns in der Aufnahme vernachlässigter Culturarbeiten begünstige.

Das Wasser ist vielfach fruchtbarer als der beste Acker. Wir haben es bis jetzt beispiellos vernachlässigt und müssen uns besonders schämen, wenn wir in den „neuen Werken und Winken“ von vielen hundert blühenden, sich mit Hunderten von Procenten lohnenden Anstalten für künstliche Forellenzucht in Amerika und nur von schwachen Anfängen in Deutschland lesen.

Die Bachforelle, von Brehm unter die Thiere deutscher Wälder mit aufgenommen, ist, wie unser Wald, ein echt deutscher Vorzug. Auf unseren Tischen kommt sie nur ausnahmsweise als theurer und winziger Leckerbissen vor. Unzählige muntere Berg- und Waldflüßchen, die unter künstlicher Pflege die reichlichsten Ernten dieser schmackhaftesten aller Fische liefern würden, harren noch vergebens der Cultur, wie sie in Amerika in Hunderten von künstlichen Zuchtanstalten Blüthe und Früchte trägt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_354.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)