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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


neuen heftigen Krankheitsanfalle, erst fünfunddreißig Jahre alt, nichts hinterlassend als seine Feder und einen hellglänzenden Namen im Buche der Geschichte. Nicht einmal ein Schwert besaß „der letzte deutsche Ritter“ mehr und auch der Dichterkranz, den er so sehr liebte, war entblättert, verschwunden, verloren. Hutten’s literarischer Nachlaß, ein Bündel Briefe von und an Freunde, kam in die Wasserkirche zu Zürich.

Seine Leiche ruht sehr wahrscheinlich auf der Insel in der von der frommen Alemannenherzogin Reginlind vor neunhundert Jahren gegründeten Peters- und Paulskirche; eine genaue Kunde hierüber ist nicht auf die heutigen Tage überkommen, und wenngleich man jetzt noch zwischen den beiden Kirchen einen verwitterten Stein mit zerbrochenem Kreuze zeigt, der auf dem Grabe Hutten’s stehen soll, so deuten doch die eingegrabenen Namen darauf, daß er eher das Monument einer hervorragenden kirchlichen Persönlichkeit der Insel, als das Hutten’s sein mag.

Zwar hat zwanzig Jahre nach dem Tode Hutten’s ein fränkischer Edelmann einen Stein auf das Grab setzen lassen mit folgender, in lateinischer Sprache abgefaßter, schöner Inschrift:

„Ritter vom goldenen Rang und begabt als Redner und Dichter
     Ruht hier Hutten, zugleich mächtig mit Lied und mit Schwert.“

Aber auch dieser Stein ist längst verschwunden und kein neuer ersetzte seine Stelle. Im vorigen Jahrhundert dachte man neuerdings daran, dem großen Todten ein Denkmal zu setzen, aber – die Insel gehört dem Kloster Einsiedeln und jetzt so wenig als früher können die Söldner der katholischen Kirche ein solches ketzerisches Heiligthum auf ihrem Boden dulden. So ist nun die ganze Insel zum Wallfahrtsort und Heiligthum geworden für Alle, die in dem ritterlichen Sänger und hochherzigen Patrioten den freien, großen entschiedenen Geist der Reformation und des Humanismus erblicken; das Monument baute die Geschichte schöner, erhabener auf, als es die Hände hätten meißeln können, und wenn der Biograph Hutten’s, Fr. Strauß, mit folgenden eindringlichen Worten schließt:

„In zürnender Stellung halten wir Hutten’s Schatten fest; in ihr möge er denen erscheinen, welche die Schlüssel der Gewissen und der Geistesbildung deutscher Stämme, durch die Kämpfe wackerer Vorfahren kaum zurückerobert, kampflos auf’s Neue an Rom und eine römisch gesinnte Priesterherrschaft ausliefern; noch zürnender womöglich denen, welche im Schoße des Protestantismus selbst ein neues Papstthum pflanzen möchten; den Fürsten, die ihr Belieben zum Gesetz erheben; den Gelehrten, denen Verhältnisse und Rücksichten über die Wahrheit gehen. Er flamme in Haß in uns auf gegen alles Undeutsche, Unfreie, Unwahre; aber glühe auch als Begeisterung in unserem Herzen für Ehre und Größe des Vaterlandes; er sei der Genius unseres Volkes, so lange als diesem ein zürnender, strafender, mahnender Schutzgeist Noth thun wird“ – so ist das Jahr 1870 in seinen gewaltigen Bewegungen manchem dieser Worte gerecht geworden; der Same, der so lange ausgestreut war, ist mit einem Mal in volle Blüthe aufgegangen und Frucht geworden; im Riesenkampfe zweier Nationen hat die deutsche gelernt, daß die Einigkeit der siegende Factor, das Selbstbewußtsein das schwellende Moment des Fortschritts und die Bildung durch alle Schichten der stets belebende, unzerstörbare Nerv des blühenden, segenreichen Fortbestandes ist.

Es ist dies eine so lang ersehnte Errungenschaft der deutschen Nation, bei deren Anblick das zürnende Antlitz Hutten’s sich verklären würde, so sprühend auch das Auge funkeln würde beim Anhören der Concilskomödie in Rom, wo sich ein alter, gebrechlicher Mann, einst dem Fortschritt ein vielversprechender, glühender Jüngling, unfehlbar erklären läßt durch ein halbtausend Hirten der Christenheit.

Aber beinahe in demselben Moment, da das Anathem donnerte, die Glocken der Siebenhügelstadt der Unfehlbarkeit ihren Gruß zuriefen, in demselben Moment erzitterte der hohe Hirtenstuhl; an dem Tage von Sedan brach auch die ganze weltliche Herrschaft des Papstes zusammen und mit ihr ein großer Theil der geistlichen, vermodert, verwittert, unrettbar dem Fall hingegeben; das hohle, eitle, phrasenreiche, die Völker entsittlichende Schauspiel, dessen Urheber zu Rom im Vatican saß, ist zu Ende gespielt, das donnernde non possumus der Zeit ist erklungen und neues Leben blüht aus den Ruinen.

So hat das verflossene Jahr unserm großen Hutten ein Denkmal aufgerichtet, das weithin glänzen möge, immer frischer, immer lebendiger in späte Jahrhunderte hinein, und so findet das Wort, das der kühne Sänger einst ausgerufen, heute eine tiefere Wahrheit, eine größere Berechtigung:

„O Jahrhundert! Die Geister erwachen, die Wissenschaften blühen! Es ist eine Lust zu leben!“




Das Erstlingswerk eines Componisten.


Mehr als sieben Wochen war es her, daß die Opernsänger, der Chor und die Capelle des Stadttheaters zu Magdeburg im Jahre 1836 mit dem Einstudiren einer neuen Oper, dem Erstlingswerke des an genannter Bühne angestellten Musikdirectors, geplagt wurden, und noch immer hatte der junge Componist zu klagen, daß die Solisten nicht fest, der Chor saumselig, die Capelle nicht exact seien, und die erste Aufführung des Werkes deshalb abermals um einige Tage hinausgeschoben werden müsse.

Dem geldbedürftigen damaligen Leiter der Magdeburger Thespisdroschke, Herrn Director Bethmann, kam dieser von seinem Musikdirector dringend geforderte abermalige Aufschub äußerst ungelegen. Der Gagetag, dieser Schreckenstag aller Theaterdirectoren, stand vor der Thür und die Furcht, seinen Künstlern schon wieder einmal nicht gerecht werden zu können, lag dem alten Herrn wie Blei in allen Gliedern. Director Bethmann erwartete Alles von diesem Erstlingswerke seines talentvollen Musikdirectors; diese Oper sollte den dem Versinken nahen Magdeburger Thespiskarren wieder flott machen! Diese Hoffnung hatte ihre Berechtigung: die Stadt war bereits seit vielen Wochen von den großartigen Vorbereitungen unterrichtet, die die Aufführung der neuen Oper an Decorationen und Costümen in Anspruch nahm, die vielen Freunde und Bekannten des jungen Componisten hatten außerdem nicht versäumt, über dieses Erstlingswerk die vortheilhaftesten Empfehlungen circuliren zu lassen, in Folge dessen das Publicum sich beeilte, sich im Voraus guter Sitzplätze zu versichern; ein Ereigniß, welches schon damals zu den höchst seltenen in Magdeburg gehörte.

Wäre das Bethmann’sche Opernpersonal ein weniger tüchtiges gewesen, so würde das wiederholte Hinausschieben einer ersten Vorstellung leicht zu motiviren gewesen sein, so aber hatte diese Bühne vor dreißig Jahren über Gesangskräfte zu verfügen, wie man deren gegenwärtig kaum noch an den größten Hoftheatern vorfinden dürfte. Als Tenoristen waren Freimüller und Schreiber, als Bassisten Krug und Unzelmann jun., als erste Sängerin Frau Pollert, als Gesangssoubrette Fräulein Limbach engagirt. Um also diesen vortrefflichen Künstlern gerecht zu werden, ist es nöthig zu erwähnen, daß an der verzögerten Aufführung seiner Oper der junge Componist und Musikdirector lediglich selbst die Schuld trug. Er hatte nämlich den Sängern in seinem Erstlingswerke Töne zugemuthet, die sie nicht in der Kehle hatten, ebenso hatten die Musiker Noten in ihren Stimmen, die sie unmöglich herausbringen konnten. Da mußte nun transponirt, verändert, gestrichen werden, wodurch die Proben außerordentlich erschwert und aufgehalten wurden.

Die Chor- und Soloproben wurden damals in den nach dem „Breiten Weg“ zu gelegenen Parterrelocalitäten des Theatergebäudes abgehalten, und so war es denn natürlich, daß das vorübergehende Straßenpublicum wenigstens Einzelnheiten der Oper im Voraus kennen lernte. Dem Verfasser gegenwärtiger Skizze sind die Bemerkungen im Gedächtniß geblieben, zu denen sich diese den Tönen Lauschenden hinreißen ließen. „Wie in der Judenschule!“ „Von Melodie keine Spur!“ – das waren die Ausrufe, die man da tagtäglich hören konnte.

Director Bethmann stand vor der Thür des Theatergebäudes, mit den grauen drohenden Wolken am westlichen Himmel liebäugelnd und von der gütigen Vorsehung einen tüchtigen Regen für den Nachmittag erflehend, als das einzige Mittel, die unkunstsinnigen Magdeburger zum Theaterbesuch zu nöthigen. Eine dreistündige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_386.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)