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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Und Walther? Um Gotteswillen, wo ist Walther?“

Atkins zog die Augenbrauen in die Höhe. Walther! Also so weit waren die Beiden doch bereits miteinander, und Henry sollte dennoch im Irrthum sein!

„Mr. Fernow ist im Gebirge,“ sagte er ernst. „In einer Dienstangelegenheit, wie er behauptet, und allein. Henry weiß das. Wenn er ihm folgte – Jane, ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, was dann zu fürchten steht.“

Jane stand einen Moment lang wie eine Bildsäule, dann aber riß sie sich gewaltsam aus der Erstarrung empor, ihre ganze Entschlossenheit kehrte zurück.

„Ich kenne Henry! Er darf nicht fort, ehe ich ihn gesprochen, wir müssen ihn zurück haben um jeden Preis. Ich glaube,“ sie legte die Hand an die Stirn, bemüht, trotz der betäubenden Angst, ihre Gedanken zu sammeln, „ich glaube, es führt nur ein einziger Paß von hier in’s Gebirge. Sagte man uns nicht so heute Morgen in P.?“

„Nur einer, und den halten die Deutschen besetzt, aber den Weg wird Henry schwerlich versuchen, er weiß, daß die Posten ihn unter allen Umständen zurückweisen würden.“

„So kann er nur im Parke sein, er ist sicher dort! ich werde ihn aufsuchen.“

Atkins bemühte sich unruhig, sie zurückzuhalten. „Um Gotteswillen,“ rief er, „bedenken Sie, wir sind im fremden Lande, mitten im Toben des Krieges, es ist Nacht, Sie können doch unmöglich allein –“

Jane hörte nicht auf ihn, sie hatte bereits ihren Reisemantel vom Tische gerissen und um die Schultern geworfen.

„Bleiben Sie hier, Mr. Atkins! Es könnte auffallen, wenn wir alle Drei das Schloß verlassen, man könnte uns zurückweisen. Sie vermögen doch nichts über Henry, Ihnen folgt er schwerlich hierher, ich muß ihn selbst sprechen.“

Sie war aus der Thür und die Treppe hinunter, noch ehe Atkins seine Einwendungen zu Ende brachte. Er ballte unwillkürlich die Hand.

„Das ist ja eine wahre Höllennacht! Dieser blauäugige Deutsche bringt uns noch alle Drei in Lebensgefahr! Aber Jane hat Recht, ich darf nicht auch noch hinaus, und überdies – es ist besser, sie machen das allein unter sich aus. Im Park muß sie ihn finden! Er kann nirgend anders sein!“ –

Der weitläufige, waldartige Park des Schlosses S. lag im hellsten Mondlicht und im tiefsten Schweigen, das nur von Zeit zu Zeit unterbrochen ward durch den schweren Schritt der Patrouille, die ihn auf Anordnung des Hauptmanns heute Nacht durchstreifte. Sie hatte ihre Runde durch die Hauptalleen beendigt, ohne auf irgend etwas Verdächtiges zu stoßen, und theilte sich jetzt, am Ende der Anlagen angelangt, dem erhaltenen Befehle gemäß, um einzeln den Rückweg anzutreten und auf diese Weise auch die entlegenen Gänge und Bosquets zu sondiren; Friedrich fiel der zur Linken befindliche Theil des Parkes zu, die anderen Beiden nahmen den zur Rechten und die Mitte auf sich, an der Terrasse wollten sie wieder zusammentreffen.

Langsam, sein Gewehr im Arm, schritt Friedrich auf dem ihm zugewiesenen Terrain vorwärts; er brauchte sich nicht gerade zu beeilen, es kam nicht auf die Zeit an, und besonders leise aufzutreten, was ihm jedesmal zur besondern Pein gereichte, brauchte er auch nicht; es hatte sich, wie schon erwähnt, bei der Runde nichts Verdächtiges ergeben. Der Bursche war einem Auftrage, dessen Ausführung besondere Intelligenz erforderte, nicht gewachsen; aber den einfachen Befehl, Augen und Ohren offen zu halten, die Umgebung möglichst genau zu beobachten und sich bei der geringsten Entdeckung, dem geringsten Unfall, sofort mit der Meldung davon in’s Schloß zurückzuziehen, den verstand er und erfüllte ihn pünktlich und gewissenhaft. Dieser Befehl hatte nebenbei noch das Gute, ihn von dem nutzlosen und trostlosen Grübeln über den Abschied seines Herrn abzuziehen, der Dienst erheischte die gespannteste Aufmerksamkeit und ließ ihm nicht Zeit zu trüben Ahnungen oder dergleichen.

Er hatte bereits einen Theil seines Terrains hinter sich und befand sich jetzt gerade an der Flora, deren weiße, vom Monde hell beschienene Statue sich inmitten einer weiten Rasenfläche erhob. Es war ihm noch besonders eingeschärft, an der dabei befindlichen Muschelgrotte nicht vorüberzugehen, ohne einen Blick hineinzuwerfen; er schritt also nach jener Richtung hin und hatte soeben die Statue erreicht, als er auf einmal stehen blieb und das Gewehr schußfertig hob. Aber er setzte es wieder ab, noch ehe der Anruf aus seinem Munde kam; das lange helle Gewand unter dem Mantel hatte ihn in der am Rande des Gebüsches auftauchenden Gestalt eine Frau errathen lassen, und als sie jetzt in’s Mondlicht hinaustrat und auf ihn zukam, erkannte er Miß Forest.

Friedrich’s früherer Argwohn begann sich wieder mächtig zu regen; er hielt noch immer hartnäckig an der Idee fest, daß die Fremden eigentlich Spione seien, und die „amerikanische Miß“ galt ihm dabei als die gefährlichste von allen Dreien. Daß sie eine Dame war, kam dabei wenig in Betracht; sie nahm es an Klugheit mit jedem Manne auf, und diese einsame und seltsame Begegnung gab dem Verdachte Friedrich’s nur neue Nahrung.

„Was machen Sie denn hier im Parke, Miß?“ fragte er mißtrauisch. „Sie sollten sich in Acht nehmen! Wäre Ihr Kleid nicht gewesen und hätten Sie mir vielleicht nicht die richtige Antwort geben können, ich hätte auf Sie geschossen.“

Jane beachtete die Drohung nicht, sie kam noch näher und blieb dicht vor ihm stehen. „Sie sind es, Friedrich? Gott sei Dank, daß ich wenigstens Sie finde!“

Friedrich zeigte sich wenig geneigt, in dies „Gott sei Dank!“ einzustimmen; er hätte sie in seinem Diensteifer wahrscheinlich sehr rauh angelassen, aber die Erinnerung an die Worte seines Herrn band ihm die Zunge und machte jeden herben Ton unmöglich.

„Gehen Sie zurück, Miß!“ sagte er nur. „Sie dürfen nicht hier bleiben, und ich darf es nicht leiden, daß Sie so herumstreifen.“

Jane schien sich an das Verbot so wenig zu kehren wie vorhin[WS 1] an die Drohung. „Sie haben den Park durchsucht?“ fragte sie hastig. „Sind Sie Mr. Alison nicht begegnet?“

Friedrich’s Argwohn wuchs. Mr. Alison! Nun sollte der auch hier sein! Trieb sich denn die ganze amerikanische Sippschaft hier draußen umher? Dem lag sicher etwas Besonderes zu Grunde.

„Mr. Alison ist nicht hier!“ sagte er mit großer Entschiedenheit. „Wir haben die Runde durch den Park gemacht, und wenn er da wäre, so müßten wir ihn gesehen haben. Er wird wohl anderswo sein.“

Ein jähes Entsetzen malte sich in Jane’s Zügen. „Allmächtiger Gott, ich kam zu spät! Er muß bereits einen Weg gefunden haben!“ murmelte sie verzweiflungsvoll; aber es war jetzt keine Zeit, sich der Verzweiflung hinzugeben, und die Begegnung mit Friedrich rief bereits einen neuen Hoffnungsstrahl in ihr wach.

„Wissen Sie, wohin Ihr Herr gegangen ist?“ fragte sie entschlossen.

„Nein, das weiß ich nicht!“ versetzte Friedrich störrisch, „aber ich sage Ihnen jetzt im vollen Ernste, Miß –“

„Er ist im Gebirge!“ unterbrach ihn Jane, ohne auf seine weitere Rede zu achten. „Ich muß gleichfalls dorthin, ich muß ihm folgen.“

Friedrich starrte sie im vollen Entsetzen an. „Gott steh’ mir bei, Miß, aber ich glaube, Sie haben den Verstand verloren! In’s Gebirge wollen Sie? Unter die Franctireurs wohl gar? Geben Sie sich nur zufrieden, dahin kommen Sie gewiß nicht, dafür sind unsere Posten da.“

„Ich weiß es!“ sagte Jane fest, „und doch muß ich hin. Man wird mich zurückweisen, aber Sie, Friedrich, kennen jedenfalls die Losung, Sie müssen mir durch die Posten helfen.“

Friedrich hätte im Uebermaß des Entsetzens beinahe sein Gewehr fallen lassen, dann aber richtete er sich stramm empor und blickte mit dem Ausdruck eines unendlichen Mitleides und Selbstgefühls auf die junge Dame nieder.

„Nun, Miß, man sieht es, daß Sie aus dem wilden und gottlosen Amerika kommen!“ sagte er mit großem Nachdruck. „Einem deutschen Christenmenschen fiele eine solche Sünde gar nicht bei! Ich soll Ihnen durch die Posten helfen? durch unsere Posten? soll Ihnen am Ende gar die Losung sagen? Sie haben wohl gar keinen Begriff davon, was ein Krieg und was ein Soldat eigentlich ist?“

Jane trat ihm noch einen Schritt näher, ihre Stimme sank jetzt herab bis zum Flüstern.

„Es gilt das Leben Ihres Herrn! Hören Sie, Friedrich, Ihres Herrn! Es droht ihm eine Gefahr, die nicht vom Feinde

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: verhin
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_391.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)