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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Giftschlangen an den Tag legen, äußerte sich, sobald man sich dem Käfig näherte, durch Pfauchen und Blasen, doch unterließen die Thiere es wenigstens, wie sie früher gethan, nach dem sich ihnen Nahenden zu beißen. Ihre Ueberführung in den für sie bestimmten Käfig des Schlangenganges war ein schweres Stück Arbeit. Mit eisernen Zangen konnten die riesigen Thiere nicht sicher genug gepackt werden. Netze anzuwenden, erschien zu gefährlich: es bliebe also nichts Anderes übrig, als sie von ihrem Kasten aus in den Käfig zu treiben. Dies aber erregte den höchstem Zorn der Schlangen und ihr entsetzliches Pfauchen wiederum nicht geringe Unbehaglichkeit im Herzen der beauftragten Wärter. Milde Maßregeln führten endlich zum Ziele: die Puffottern wurden so lange mit einem starken Drahte gekitzelt und mit einem Blasebalge so hartnäckig angeblasen, bis sie sich entschlossen, freiwillig den gewohnten Raum zu verlassen.

Ob sie jemals zu der Erkenntniß gekommen sind, daß sie sich durch Besitznahme des netten Käfigs wesentlich verbessert, lasse ich unentschieden, so viel aber scheint mir sicher zu sein, daß sie sich in dem ununterbrochen geheizten Raume bald behaglich und heimisch fühlten. Eine gewisse, allerdings sehr beschränkte Neugier machte sich bemerklich. Sie krochen auf dem Boden langsam hin und her, betasteten alle Ecken und Winkel mit der Zunge, entdeckten dabei das Wasserbecken, benutzten es sogleich, indem sie gierig tranken, setzten hierauf ihre Entdeckungsreise fort und nahmen endlich von einer sie bergenden Steingrotte Besitz. Im Verlaufe der ersten Nacht hatten sie sich mit allen Oertlichkeiten des Käfigs vertraut gemacht und damit eingerichtet.

Wenn man diesen Schlangen menschliche Tugenden zusprechen will, muß man sagen, daß sie deren zwei im ausgeprägtesten Grade besitzen: Genügsamkeit und Enthaltsamkeit. Beide sind freilich in der hervorragendsten ihrer Eigenschaften, der für so hochstehende Wirbelthiere fast beispiellosen Trägheit, begründet.

Fast alle Giftschlangen – so viel mir bekannt, nur die Brillen- und Seeschlangen nicht – sind vollkommene Nachtthiere. Dies beweist ihr Auge mit dem gespaltenen Stern, dies ebenso ihre Trägheit während der Tages- und ihre verhältnißmäßige Regsamkeit während der Nachtstunden, dies beweist jede schärfere Beobachtung der Thiere überhaupt. Einige Naturforscher haben das Nachtleben der Giftschlangen mehr geahnt als erkannt, ich bin meines Wissens der Erste gewesen, welcher, Dank meiner in Afrika gesammelten Beobachtungen, dieses Nachtleben als unzweifelhaft hingestellt hat. Die nächtlichen Besuche der Hornvipern am Lagerfeuer oder im Innern der Wohnungen belehrten mich über die Zeit der Thätigkeit gedachter Schlangen zur Genüge, und die in Afrika gesammelten Erfahrungen wurden später entsprechend vermehrt. Das nächtliche Treiben der Vipern und Lochottern (Klapperschlangen und Verwandten) erklärt auch die im Verhältniß zur Häufigkeit der Giftschlange seltenen Unglücksfälle; die Thiere liegen eben während des Tages meist gut verborgen im Schlafe und kommen mit Menschen und anderen größeren Säugethieren nur dann in Berührung, wenn diese sich zufällig ihrem Schlafplatze nähern.

Unter allen mir bekannten Giftschlangen nun ist die Puffotter wohl die trägste. Ohne Veranlassung, um nicht zu sagen ohne Noth, verläßt sie den mit Anbruch des Tages gewählten Schlafplatz nicht. Unsere Gefangenen liegen oft vom Morgen bis zum Abend regungslos in irgend einer Lage auf einer und derselben Stelle. Nachts dagegen kriechen sie langsam in ihrem Käfige hin und her und zwar mit einer gewissen Ausdauer, wie wir unter Anderem daran erkennen können, daß sie frisch aufgeschütteten Sand schon in der ersten Nacht an allen Stellen glatt gedrückt haben. Um die Schlangen in den Nebenkäfigen, welche sie durch die Glaswände der letzteren sehen können, bekümmern sie sich nicht im Geringsten, lassen es sich ebenso gefallen, wenn man ihnen eine andersartige Schlange in ihren Käfig setzt und diese unmittelbar vor ihnen sich bewegt oder über sie wegkriecht, ohne auch nur Miene zu machen, die ihnen aufgedrungene Gesellschaft zu befehden. In gleicher Weise sind sie abgestumpft worden gegen die vor dem Käfige sich befindenden Beschauer, ja sogar gegen manche ihnen doch entschieden lästige Vornahmen der Wärter, beispielsweise gegen gewaltsame Nöthigungen vermittelst eines langen Stockes, um sie zum Verlassen eines bestimmten Platzes oder das Vertauschen ihres Käfigs mit dem zur Absperrung dienenden Nebenraume zu bewegen. Noch mehr: sie haben mit der Schlange Afrikas, „die jedes Thier ohn’ Ursach’ biß,“ nichts gemeint denn sie beißen die ihnen zur Nahrung gereichten Kaninchen, Meerschweinchen und Ratten blos dann, wenn sie wirklich hungrig sind. Nur ein oder zwei Mal haben wir das Gegentheil beobachtet, dann aber auch stets gesehen, daß sie sich unmittelbar nach erfolgtem Tode des gebissenen Opfers auf die Beute stürzten und sie gierig verschlangen. Gerade die Enthaltsamkeit, welche sie ihrem Opfer gegenüber an den Tag legen, macht ihre Fütterung zu einem ungemein anlegenden Schauspiele.

Wir haben erfahrungsmäßig festgestellt, daß ein halbwüchsiges Kaninchen wöchentlich zur Ernährung einer vollkommen ausgewachsenen, sechs Fuß langen und fast mannsschenkeldicken Puffotter ausreicht. Nicht selten vergehen zwei bis drei Wochen, ohne daß eine unserer Schlangen frißt; zuweilen nimmt sie zwei Kaninchen nacheinander. Früher fand die Fütterung nach Schluß des Aquariums statt, auf allgemein angesprochenen Wunsch lasse ich jetzt jeden Mittwoch Nachmittags vor den Augen der Besucher Nahrung reichen. Das zum Opfer bestimmte Kaninchen wird in einem Netzsacke, sogenanntem Kätscher, von oben herab in den Käfig gebracht und hier freigelassen. Ein oder zwei Mal ist es bis jetzt vorgekommen, daß die Schlange nach ihrer Beute biß, noch bevor sie den Boden des Käfigs erreicht hatte; in der Regel benimmt sie sich anders. Ihre Trägheit scheint auch jetzt noch nicht sogleich überwunden werden zu können.

Das Kaninchen hat von der ihm drohenden Gefahr keine Ahnung. Besäße es „Instinct“, ein nicht zum Bewußtsein kommendes Vorgefühl von seinem Schicksale, wie es nach Versicherung gewisser Naturerklärer ja doch besitzen soll: es würde sich anders benehmen. Die „höhere Kraft“, die „Einwirkung von außen“ müßte sich jetzt bemerklich machen, müßte dem unschuldigen Nager es eingeben, daß von jetzt an sein Leben ungleich mehr bedroht ist, als angesichts des vierfüßigen Raubthieres, vor welchem es flüchtet. Wahrhaftig, jetzt wäre Gelegenheit für den Instinct, sich zu äußern. Er soll ja doch dem Thiere anstatt des Verstandes, der Vernunft des Menschen verliehen worden sein um ihm die rechten Wege für sein Leben zu zeigen, es vor Gefahren zu behüten. Jetzt droht Gefahr, die äußerste, furchtbarste. Es handelt sich um ein fußweites Vorschnellen des Kopfes der Schlange, um ein linientiefes Einhauen der Gifthaken: und der Lebensfaden ist durchschnitten. Das Opfer hat von all’ dem keine Ahnung, sein „Instinct“ läßt es unverantwortlicher Weise vollständig im Stiche.

Es nähert sich neugierig der Schlange. Niemals hat es eine solche gesehen; die Neugier ist erklärlich, ist zu entschuldigen. Es beschnuppert seinen Feind. Noch weiß es nicht, daß es mit einem solchen zu thun hat. Die Schlange erhebt den dreieckigen Kopf, beugt den Hals zurück, nimmt eine schauerlich schöne Angriffsstellung an: das Kaninchen ahnt nichts. Es wird höchste Zeit für die „höhere Kraft“, vermittelnd einzuschreiten. Nichts von alledem. Das Kaninchen schnuppert nochmals, erschnuppert nichts, wird dreister, nähert sich dem Schlangenkopfe. Die Schlange züngelt tastend. Ihre Zunge und die Schnurrhaare berühren sich. Das Kaninchen, ein Bild der Arglosigkeit, steht noch immer ahnungslos vor dem entsetzlichen Räuber. Die Schlange wird mehr und mehr erregt. Sie athmet in tiefen Zügen, so daß sich der Leib bebt und senkt, weitet und verengert; sie pfaucht zwar nicht eigentlich, aber sie schnauft, hörbar genug für das Kaninchen, gleichsam als wollte sie es warnen. Aber auch diese Drohung ist vergeblich; der Nager achtet ihrer nicht.

Die Schlange läßt das Haupt wieder sinken, um eine andere Stellung einzunehmen. Ihre Rippen stemmen sich gegen den Boden, diese, Hunderte von Fußpaaren, arbeiten sie gleitet langsam über den Boden weg. Das Kaninchen wird stutzig, springt zur Seite, richtet die Augen scharf auf den ihm unbekannten Gegenstand, spitzt die Ohren und stellt sie nach vorn, schnuppert, dreht die Schnurrhaare nach allen Richtungen und – beruhigt sich wieder. Sein unerfahrenes Hirn ist nicht im Stande, die ersprießliche Gedankenreihe zu bilden. Wiederum liegt die Schlange regungslos, wiederum nähert sich das neugierige Opfer, wiederum erhebt jene angriffsfertig das Haupt, züngelt, droht, wiederum verläuft die Begegnung wie früher. Jetzt findet der Nager das Wasserbecken und trinkt; hierauf macht er es sich behaglich, streckt sich auf dem warmem Sande, frißt wohl auch ein wenig von einer ihm zugeworfenen Rübe. Es scheint ihm in dem Käfig zu gefallen: er wird übermüthig, springt auf und nieder, über die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_402.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)