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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


in bescheidener demüthiger Unterhaltung, und lauschte auf die Lehren des Kaffee schlürfenden Scheikhs. Ich aber eilte auf’s Tiefste erschüttert nach Hause, und konnte das Grauen, das mich gepackt, nicht früher los werden, bis ich, im innern Drange, diese Schilderung auf’s Papier geworfen. Zwei Stunden darauf saß ich, inmitten der elegantesten europäischen Gesellschaft, im strahlenden Opernhaus, und bewunderte im Ballet „Brahma“ die Kunstfertigkeit der Chuchi, in der Oper „Rigoletto“ die Genialität Naudin’s. Kaum einer von den Anwesenden hatte eine Ahnung von den Mysterien der heulenden Derwische. Als ich durch die stille Straße der am Tage so belebten Muskieh lange nach Mitternacht heimkehrte, lagen rechts und links arme halbnackte Menschen im tiefen Schlafe, die schmutzig-staubige Erde als Ruhestätte, einen Stein als Pfühl für ihr müdes Haupt benützend. Es sind dies die alltäglichen grellen Contraste in der afrikanischen Khalifenstadt.




Ein Held der Feder.
Von E. Werner.
(Schluß.)


Jane achtete wenig auf diese Ausbrüche der üblen Laune ihres Begleiters, und was sie davon vernahm, wurde mit ungewöhnlicher Nachsicht aufgenommen, sie wußte sehr gut, daß der alleinige Grund in dem dumpf herübertönenden Geschützdonner lag, der drüben in B. die heimkehrenden Sieger grüßte, aber als Atkins von Neuem über den beschwerlichen Weg und die entsetzliche Hitze zu stöhnen begann, sagte sie mit einem Anfluge von Ungeduld:

„Sie hätten in der Stadt bleiben sollen! Mich schließt meine Trauer von der Theilnahme an den Festlichkeiten aus, und ich mochte dem Oheim und der Tante nicht den Zwang auferlegen, meinetwegen zu Hause zu bleiben, deshalb unternahm ich den Spaziergang. Sie bindet keine solche Rücksicht, und ich bedurfte auch heute keiner Begleitung.“

Atkins verzog das Gesicht. „Ich fühle mich durchaus nicht so unwiderstehlich zu der Stadt hingezogen, wo mir heute jeder kleine Straßenbube die ‚neue Weltmacht‘ zu kosten giebt und jeder Student verlangt, daß ich dem ‚germanischen Geiste‘ meine unterthänigste Verbeugung mache. Sie mögen sich allein bewundern! sie haben es ja nun wirklich durchgesetzt, ihren geliebten Rhein als Strom Deutschlands zu sehen, und die Grenzen ein gutes Theil weiter hinausgeschoben. Der germanische Idealismus fängt wirklich an praktisch zu werden, ich aber habe das neue deutsche Reich während der letzten Wochen bereits in allen Clubs und Gesellschaften so gründlich genossen, daß es mich dringend verlangt, endlich einmal etwas anderes zu hören. Ich wollte,“ er erinnerte sich noch zum Glück der in S. erhaltenen scharfen Zurechtweisung und wandelte rechtzeitig seinen frommen Wunsch in einen Seufzer um, „ich wollte, ich wäre erst wieder in Amerika, obgleich das möglicherweise vom Regen in die Traufe geht, denn mit den dortigen Deutschen wird nun vollends kein Auskommen mehr sein!“

Es lag ein halbes Lächeln auf Jane’s Lippen bei diesem Ausbruch von Bitterkeit, als sie ruhig entgegnete:

„Sie werden sich wohl endlich daran gewöhnen müssen, die ‚neue Weltmacht‘ anzuerkennen, Mr. Atkins, so herzlich schwer es Ihnen auch wird. Es läßt sich nun einmal nicht ändern, und Sie werden sich schließlich auch bequemen, unserem germanischen Geiste in Ihrem eigenen Lande die Honneurs zu machen.“

Unserem? Ihr Land?“ wiederholte Atkins gedehnt. „Ja so! Ich vergesse immer, daß Sie jetzt ganz und gar unter die Deutschen gegangen sind und für Ihre Landsleute schwärmen. – Nun, da wären wir ja endlich oben! Ich begreife nicht, Miß Jane, wie Sie hier Aussicht genießen wollen, die Sonne blendet ja so entsetzlich, daß man nichts sieht als Strahlen, der Fluß blitzt, daß man Augenschmerzen davon bekommt, und dies alte Gemäuer sieht mir ganz so aus, als werde es sich das besondere Vergnügen machen, einzustürzen, um uns Beide zu erschlagen. Sehen Sie sich vor!“

Jane gab keine Antwort, sie setzte sich nieder und überließ es ihrem Begleiter, mit der Sonne, dem Fluß und der Ruine nach Gefallen zu hadern; als Mr. Atkins in seiner Umgebung nichts mehr fand, worüber er sich ärgern konnte, kam er an ihre Seite.

„Ich bedauere nur,“ sagte er, und der Ausdruck seines Gesichtes verrieth, wie boshaft er sich darüber freute, „ich bedauere unendlich, daß B. heute seinen Haupthelden entbehren muß. Mr. Fernow ist wirklich nicht beim Regimente; die Kränze, mit denen sich Mr. und Mrs. Stephan so unendliche Mühe gegeben haben, müssen verwelken, der großartige Empfang, den die Herren Studirenden geplant, wird sammt ihrem Enthusiasmus zu Wasser, und die gelehrten Begrüßungsreden der Herren Collegen werden etwas antiquarisch werden. Ich bin überzeugt, der Professor kommt eines Abends ganz heimlich zur Hinterthür herein, und sitzt eines Morgens ganz ruhig wieder an seinem Schreibtisch, mit der Feder in der Hand, als wäre gar nichts geschehen. Das sieht ihm ganz ähnlich, ich glaube, er ist der einzige Deutsche, mit dem jetzt noch auszukommen ist!“

Atkins mißbrauchte die ungewöhnliche Sanftmuth Jane’s in der ausgedehntesten Weise, er wagte es sogar, einen Namen auszusprechen, der während des ganzen Winters nicht zwischen ihnen genannt worden war, und er hatte seine Gründe dazu. Man fing jetzt an, ihn wie Mr. Stephan zu behandeln, ihm den ganzen Verlauf dieser Familienangelegenheit zu entziehen, und ihm erst von der vollendeten Thatsache Kenntniß zu geben. Das ärgerte ihn unendlich, er wollte wissen, was zwischen Henry und Jane vorgefallen war, wollte wissen, wie die Sache überhaupt stand, und da er keine directe Frage thun mochte, so versuchte er dies Manoeuvre.

Es schlug indessen fehl. Jane erröthete zwar, als Fernow erwähnt ward, aber sie blieb ruhig und ihre Lippen öffneten sich nicht. Es gehörte denn doch mehr als eine bloße Namensnennung dazu, sie aus ihrer Selbstbeherrschung zu treiben. Atkins sah, daß er klarer auf sein Ziel losgehen müsse.

„Unsere Reisedispositionen werden wohl einige Aenderung erfahren!“ begann er wieder in seinem scharfen forschenden Tone. „Henry’s plötzliche Abreise hat den ganzen Plan gekreuzt. Ich bin zwar,“ hier brach seine ganze Empfindlichkeit durch, „ich bin allerdings nicht davon unterrichtet worden, weshalb er gestern Abend so stürmisch in meine Wohnung stürzte, seine Reiseeffecten forderte und sofort nach dem Bahnhofe abfuhr, – in einer Stimmung, daß ich es für besser hielt, ihm so wenig als möglich nahe zu kommen, aber im Interesse meiner eigenen Rückkehr möchte ich Sie jetzt doch fragen, Jane, was Sie darüber beschlossen haben.“

Jane’s Blick sank zu Boden. „Ich erfuhr erst durch Sie Henry’s Abreise. Hat er keine Zeile für mich zurückgelassen?“

„Nein! Auch keinen Gruß, er äußerte nur, daß er mit dem ersten Schiff, das er in Hamburg bereit fände, nach Amerika zurückkehren werde.“

Jane gab keine Antwort, ein schwerer Athemzug entrang sich ihrer Brust, er hatte mehr vom Schmerz an sich als von Erleichterung.

„Was haben Sie mit Henry angefangen, Jane?“ fragte Atkins leise zu ihr niedergebeugt. „Er sah furchtbar aus, als er von Ihnen kam!“

Sie blickte leise auf, aber ihre Stimme klang gepreßt und unsicher. „Sie behaupteten stets, er hege eine Leidenschaft für mich! Ich hatte es nie geglaubt, ich hielt den Dollar für die einzige Macht, der er sich beugte.“

„Sie wird es wohl auch in Zukunft sein!“ sagte Atkins trocken. „Ein Mann wie Henry unterliegt nur einmal solcher Schwäche. Er hätte bei den Amerikanerinnen bleiben sollen, da hätte der Erbe und dereinstige Chef des Hauses Alison und Compagnie sicher keinen Korb erhalten. Es thut nicht gut, dies Vermischen mit deutschem Blut, das sehen Sie wohl jetzt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_474.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)