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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Auch nicht mit ihrem Manne?“

„Nenne den Menschen nicht so,“ fuhr Georg auf; „wie der Kerl so neben ihr saß mit dem blassen Gesichte, dem schwarzen Barte und den heftig funkelnden dunklen Augen, deren Blicke scharf wie Dolchspitzen sind, kam er mir vor wie ein Vampyr, der sich ein Opfer gefangen hat, dem er das Herzblut aussaugt, oder wie Satan, der eine verlorene Engelseele mit sich herumschleppt.“

Ich zuckte die Achseln.

„Dummes Zeug; wurde heute Abend nicht ‚Robert der Teufel‘ im Stadttheater gegeben? Nun siehst Du, Du hast Bertram und Alice in den Beiden gesehen.“

„Nein, nein, mach’ keine schlechten Witze, er macht ganz den Eindruck, wie ich ihn Dir schilderte. Was der Mensch im Café chinois wollte? Er schien Niemand dort zu kennen.“

„Wo das Aas ist, da sammeln sich die Adler, oder auch die Raben. Er wird dort bald genug Bekannte finden.“

„Thue mir den Gefallen und gehe morgen Abend mit mir in’s Café,“ bat Georg, „die Fremden werden gewiß dort sein.“

Spät Abends am anderen Tage kam ich in das Café chinois. Georg war schon da, und an dem runden Spieltische im Hintergrunde sah ich auch den Fremden und neben ihm in einen weißen Ueberwurf gehüllt, still, stumm und unbeweglich ein Frauenbild von einer wunderbar schwermüthigen Schönheit. Die Formen ihrer Gestalt ließen sich wegen des Ueberwurfs nur undeutlich erkennen. Doch konnte man sehen, daß sie von mittlerer Größe war. Der Kopf erinnerte an eine Antike. Er war von dichten Flechten wie von glänzenden, schwarzen Schlangen umwunden. Die dunklen Augen mit den langen Wimpern blickten traurig und klagend in’s Weite. Der Mund war festgeschlossen, das marmorblasse Gesicht mit der sanften Stirn regungslos wie das einer Statue. Ihr Begleiter spielte, wie mir schien, nicht mit glücklichem Erfolg. Der Bankhalter war ein alter, in Leipzig wohlbekannter pensionirter Schauspieler, der nebenbei, wie man sich erzählte, ein Gelddarlehnsgeschäft trieb, ein geriebener Fuchs, der hinter seiner goldenen Brille mit mephistophelischem Blicke die Spieler musterte. Ich sah, wie der Fremde wiederholt verlor, wie er seine Brieftasche herausnahm und eine Anzahl österreichischer Banknoten auf den Tisch legte, die aber bald verschwunden waren. Seine Zähne, die weiß und scharf wie die eines Wolfes waren, nagten an seiner Unterlippe, und wenn der Bankhalter gewann und den Einsatz einstrich, was häufig vorkam, flog ein Blick wie ein scharfes Messer hinüber zu dem glücklichen Spieler.

Indessen hatte sich Georg dem Platze der Signora genähert. Seine Augen ruhten leidenschaftlich auf dem schönen jungen Wesen. Er beugte sich vor, ich sah, wie er einige Worte, die ich aber nicht verstehen konnte, an sie richtete. Sie schwieg und verharrte in ihrer unbeweglichen Stellung, nicht einmal den Kopf wandte sie seitwärts. Georg wurde lebhafter, dringender. Diese stumme Kälte schreckte ihn nicht ab, sie entflammte ihn nur noch mehr. Doch auch auf seine neuen Versuche, eine Unterhaltung anzuknüpfen, antwortete ihm dasselbe hartnäckige Schweigen. Aber ich bemerkte, wie ihre Augen und Züge einen Ausdruck der Furcht und Angst annahmen und wie ein scheuer flüchtiger Blick den Mann an ihrer Seite streifte. Der Fremde war aber so mit dem Spiel beschäftigt, daß er für das schöne junge Weib an seiner Seite nicht einen Gedanken zu haben schien – und doch war es mir wieder, als lausche er auf jedes Wort, das Georg der Dame zuraunte. Plötzlich brach der Fremde auf, so rasch und ungestüm, daß es seinen Mitspielern auffiel. Er reichte seiner Frau – sie mußte es wohl sein – den Arm und verließ, ohne uns weiter zu beachten, das Café. Georg wollte ihm folgen. Ich hielt ihn zurück.

„Es ist nicht möglich, daß sie seine Frau ist,“ sagte er, „eine Taube kann sich nicht mit einem Geier paaren. Ich weiß nicht, in welchem Verhältniß sie zu ihm steht, aber sein Weib ist sie nicht.“

Ich gab Georg den Rath, sich vor dem Fremden in Acht zu nehmen.

„Ach was,“ rief er, „ich fürchte mich nicht und wenn er ein zehnfacher Othello ist, ich hasse ihn, obwohl er mir nichts zu Leide gethan, ich könnte mich mit ihm über’s Taschentuch schießen.“

Ich zuckte die Achseln und nahm mir vor, Georg zu überwachen.

Am andern Abend waren wir wieder im Café chinois, und wie wir es vermuthet, auf dem nämlichen Platze, neben sich die Signora, saß unser Nachbar vom Corridor in der Rauchwaarenhalle. Heute versuchte Georg es ernstlich, die Signora zum Reden zu bringen. Er erinnerte sie an die Nacht ihrer Ankunft, an ihr Unwohlsein, an das studentische Recept, das er ihr verordnet, er frug wie es ihr bekommen sei, er entschuldigte sich, daß er nicht des andern Tages seine Patientin besucht und sich nach ihrem Befinden erkundigt habe, er frug, warum man sie nicht sehe, warum immer die Thür verschlossen sei – – aber Alles war vergebens. Sie blieb so stumm, als spreche er zu einer Marmorstatue, und nur der Ausdruck ihres Gesichts verrieth die innere Unruhe und Angst, die sie bei den Worten meines Freundes empfand.

Da wandte sich plötzlich der Fremde, der bis dahin ganz in das Spiel vertieft zu sein schien, nach Georg um und mit einem Blicke, den ich nicht beschreiben kann, der mir aber unvergeßlich ist, so giftig, drohend und grausam war er, sagte er zu Georg:

„Bemühen Sie sich nicht, mein Herr die Signora ist stumm und zuweilen ist das eine Krankheit, die ansteckt, hüten Sie sich, daß Sie nicht auch stumm werden.“

Ich fürchtete einen leidenschaftlichen Ausbruch meines Freundes und trat einen Schritt näher. Aber Georg blieb ruhig und antwortete nur mit einem verächtlichen Lächeln, das aber noch beleidigender war, als ein zorniges Aufwallen:

„Verstehen Sie vielleicht die Kunst, die Leute stumm zu machen?“

Der Fremde fuhr zusammen, er wurde noch bleicher, als er ohnehin schon war; der Signora stockte der Athem, ihre Augen hafteten auf dem Boden. Aber die Erregung des Fremden dauerte nur einen Moment. Mit einem nachlässigen Achselzucken wandte er sich wieder dem Spiele zu. Doch nicht lange. Er warf die Karten weg, schützte gegen seine Mitspieler ein plötzliches Unwohlsein vor und verließ mit der stummen Signora, wie wir die Dame von nun an unter uns nannten, das Café.

Georg war in heftiger Erregung. Er blieb dabei, daß die Signora nicht die Frau des Mannes sein könne, daß hier ein Geheimniß obwalte, welches die Unglückliche an den Fremden fessele. Mißmuthig und verdrießlich verließen wir das Café.

Am Spätnachmittag des andern Tages saßen wir zusammen arbeitend auf unserm Zimmer, als der Briefträger hereintrat und ein an meinen Freund adressirtes Briefchen brachte. Das kleine schmale Couvert, die zierliche Aufschrift verriethen sofort, daß er von einer Dame kam. Hastig erbrach er das Billet und las:

„Bei Allem, was ihnen heilig und theuer ist, bitte ich Sie nicht wieder zu versuchen, mich anzusprechen. Er ist voller Groll gegen Sie, er hat geschworen Sie umzubringen, wenn Sie noch einmal sich mir nahen sollten. Machen Sie eine Unglückliche nicht noch unglücklicher.“

Leider haben derartige Bitten und Mahnungen immer den entgegengesetzten Erfolg. Georg erklärte mir, das nächste Mal, komme auch was da wolle, die Signora zum Reden zu bringen. Daß sie nicht die Frau des Fremden sei, glaube er nun um so gewisser. „Er“ nannte sie ihn – sie hatte nicht geschrieben „mein Mann“ oder „mein Gatte“. Unerträglich langsam verstrich ihm die Zeit bis zu der Stunde, zu der er gewöhnlich den Fremden mit seiner Begleiterin im Café chinois traf. Aber wir warteten heute vergebens. Sie kamen nicht. Dagegen begegneten wir am andern Tage zu unserer Ueberraschung dem Fremden im Brühl mit dem kleinen eisgrauen Juden Katzenellenbogen, und zwar in eifrigem vertraulichen Gespräch. Wie mochte er zu dem gekommen sein? Georg frug unsern Wirth. Der zuckte als vorsichtiger Geschäftsmann mit den Schultern.

„Bedaure sehr,“ Herr Doctor, Ihnen nicht dienen zu können. Weiß gar nicht, in welchen Connexionen er zu Katzenellenbogen steht. Er hat sich als Ignaz Matuscheck, Privatmann mit Gemahlin aus Wien, in mein Fremdenbuch geschrieben, übrigens bezahlt er alle drei Tage seine Rechnung.“

Wir waren so klug wie zuvor. Im Café chinois sahen wir die Fremden nicht wieder, dagegen begegneten wir öfters Herrn Ignaz Matuscheck im Gespräch mit dem alten Katzenellenbogen, einmal sah ich ihn sogar aus des Juden Stube herauskommen.

So vergingen vielleicht acht Tage. Georg, der nicht die Hoffnung aufgegeben hatte, doch wieder einmal im Café seine stumme Unbekannte, die ihn tiefer, als ich es vermuthet, interessirte, zu treffen, ging allabendlich dahin, zuweilen begleitet von Tiras, der ein Feinschmecker war und leidenschaftlich gern die kleinen französischen Pastetchen aß, die im Café chinois trefflich bereitet wurden

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