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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Spießen und Schilden, mit allen Helmen, in welchen man den mitumziehenden Hühnern ein provisorisches Lager bereitet hatte, führten den Dichter mit seiner Frau und seinen vier Kindern nach Abbotsford hinüber, während neben der seltsamen Karawane eine Schaar von Bauerjungen mit Lachsspeeren, mit Fischnetzen und Angelruthen einhertrottete und Ponies und Hundemeuten geleitete und sogar das Rindvieh mit hochländischen Bannern und Waffen aufgeputzt war. Mit einer solchen Masse von Curiositäten und Alterthümlichkeiten hatte die rastlose Sammellust den Dichter bereits umgeben!

Walter Scott war ein eifriger Freund jedweden nationalen Sports und namentlich der Kunst der Fischerei in ihren mannigfaltigen Gestalten ergeben. Einst wollte er zu einer Angelpartie ausziehen und suchte in einem längere Zeit nicht geöffneten Pulte nach einer passenden Schnur. Diese fand er nicht, wohl aber etwas weit Wichtigeres, was ihm seit Jahren aus den Augen und völlig aus dem Gedächtnisse gekommen war, – das schon 1805 begonnene Manuscript einer Erzählung, die er hatte liegen lassen, weil er sie der Fortsetzung nicht für werth hielt. Als sei sie das Werk eines Fremden, so vertiefte er sich sofort in die Handschrift und fand sich jetzt von der Lectüre derselben so angezogen, daß „er Lust bekam, das Ding zu vollenden“. Ohne Verzug setzte er sich an die Arbeit, und „in weniger als drei Wochen waren die beiden letzten Bände des Romanes geschrieben“. Im Juli 1814 erschien derselbe und hatte einen solchen Erfolg, daß sogar die Aufnahme, welche die „Jungfrau vom See“ gefunden, dadurch in den Schatten gestellt wurde.

Die Erzählung war – die Leser haben es schon errathen – der berühmte Roman „Waverley“, das erste einer langen Reihe von Meisterwerken, welche Walter Scott’s Weltruhm begründeten und seinem Namen die Unsterblichkeit sichern. Alle diese Erzählungen sind anonym veröffentlicht worden, und der Dichter legte einen solchen Werth darauf, sein Incognito zu bewahren, daß die Manuscripte sämmtlicher dieser Romane – die „Romane vom Verfasser des Waverley“, wie sie auf dem Titel genannt wurden – von der eigenen Hand des Verlegers copirt werden mußten, damit auch das Druckereipersonal über die Autorschaft in Ungewißheit blieb. Nur eine kleine Zahl der nächsten Freunde Scott’s war in das Geheimniß gezogen worden, und von ihnen hat keiner je den Schleier desselben gelüftet. Wer freilich zu dem Poeten in genaueren Beziehungen stand, der konnte keinen Augenblick im Unklaren sein, daß sich hinter dem „großen Unbekannten“ – so hieß man jetzt den Dichter der Waverley-Romane, wie man früher dem Verfasser der famosen „Juniusbriefe“ diesen Namen gegeben hatte – kein Anderer verbarg als Walter Scott. Sind doch alle seine Romane voller Anekdoten, Einfälle und Einzelheiten, die man, und meist ganz in der nämlichen Fassung, von den eigenen Lippen des unvergleichlichen Erzählers vernommen oder diesem wohl gar erst selber hinterbracht hatte. Erst lange danach, bei einem im Februar 1827 in Edinburgh veranstalteten Festessen, bekannte sich Walter Scott zur Autorschaft der berühmten Werke und erklärte zugleich, um den in dieser Hinsicht umlaufenden Gerüchten zu begegnen, daß er allein ihr Verfasser sei. „Vielleicht war es eine bloße Laune, was mich zu meinem Incognito bewog,“ sprach er bei dieser Gelegenheit. „Jetzt habe ich nur zu bemerken, daß alles Gute und Schlechte, was in diesen Schriften ist, ausschließlich mir allein zur Last fällt. – – Jene ausdrücklich als Citate aus anderen Werken bezeichneten Stellen ausgenommen, steht in diesen Erzählungen kein Wort, das nicht meiner Erfindung oder meinen Studien entstammte.“

Natürlich lief dies literarhistorisch so bedeutsame Geständniß alsbald durch die gesammte Presse des In- und Auslandes und brachte den Namen „Walter Scott“ von Neuem in Aller Mund. Der „große Unbekannte“ stand jetzt erkannt vor den Augen der ganzen civilisirten Welt, welche seine Feder so lange schon entzückt hatte.

„Waverley“ ist vielleicht die populärste aller Scott’schen Schöpfungen, womit indeß nicht gesagt sein soll, daß die dieser ersten mit einer fast fabelhaften Schnelligkeit folgenden vielen anderen historischen Erzählungen hinter ihr zurückbleiben. Im Gegentheil ist das stoffliche und dramatische Interesse in mehreren der übrigen Romane Walter Scott’s ein größeres, und manche sind mindestens der Theilnahme des deutschen Lesers noch näher gerückt als der während der letzten schottischen Erhebung spielende „Waverley“, wenn auch die darin entworfene Zeichnung des gälischen Hochlandlebens als Charakter- und Sittenbild in der Literatur keiner Nation übertroffen, vielleicht auch in keiner nur erreicht ist. Was wir schon im Allgemeinen als Kennzeichen der Scott’schen Poesie hervorhoben, die gleichmäßige Vollendung aller ihrer Erzeugnisse ohne eine stufenmäßige Entwickelung vom Anfängerthume zur Meisterschaft, das gilt ganz besonders von den Romanen Walter Scotts: „Waverley“ ist nach Composition und Ausführung, in Erfindung wie in Gestaltung, in der Darstellung der Charaktere wie in der Naturmalerei, in Form wie Diction so vollendet wie „Kenilworth“ oder „Quentin Durward“ etc. Mit Einem Worte: jede dieser Erzählungen, welche theils hochtragischer, theils heiterer und launiger Natur sind, theils reiner Fiction entstammen, theils sich an historischen Hintergrund lehnen, trägt den Stempel der Vollendung an sich, und wir glauben nicht zu viel zu behaupten, wenn wir Walter Scott, wo nicht als den ersten aller Romandichter, so doch als den König der Erzähler bezeichnen, der sich Cervantes zur Seite stellen kann und im Fache des historischen Romans seinen Meister noch nicht gefunden hat. Mangelt ihm auch das höchste Pathos, das nur einem tief leidenschaftlichen Gemüthe entspringt, so entzückt er uns dafür durch den unerschöpflich sprudelnden Born seiner Erfindung und eine Kunst der Darstellung ohne Gleichen. Finden wir an ihm etwas zu mäkeln, so ist es seine oft allzu große epische Breite, die zumal in der Exposition einiger seiner Romane die Geduld des nach schneller Entwickelung drängenden Lesers einigermaßen auf die Probe stellt. Auch die Detailmalerei möchte man bei nebensächlichen Dingen und Personen, Localitäten, Geräthschaften, Trachten etc. wohl etwas weniger minutiös wünschen, obgleich diese Einzelschilderungen überall die vollendete Meisterhand verrathen und durch ihre Anschaulichkeit wesentlich dazu beitragen, daß wir die Scott’schen Erzählungen nicht zu lesen, sondern ihren Inhalt, ihre Bilder und Scenen zu sehen und zu erleben glauben. –

Es würde um Vieles die Grenzen dieser Skizze überschreiten, sollte der Leser Scott’s Schriftstellerlaufbahn von Roman zu Roman begleiten. Auch die einzelnen Namen derselben sollen nicht aufgezählt werden; ihr Katalog ist ein allzu umfangreicher und würde hier zur bloßen Nomenclatur herabsinken müssen. Nur bemerken wollen wir noch, daß der Dichter sich auch nicht ein einziges Mal selbst wiederholt hat. Bei einer so bändereichen Literatur muß dies sicher als ein eigenthümlicher Vorzug anerkannt werden, den sich nicht alle Novellisten beimessen dürfen, am allerwenigsten unsere Novellistinnen, in deren Erzählungen wir so häufig denselben Helden und Heldinnen, nur mit andern Titeln und Kleidern, wieder zu begegnen pflegen. Scott’s Phantasie war buchstäblich ein unerschöpfliches Füllhorn, und nur seine zwei oder drei letzten Romane bekunden, daß langwieriges Körper- und Seelenleiden, verbunden mit einer durch viele Jahre fortgesetzten übermenschlichen Thätigkeit, endlich die Schöpferkraft des Dichters gelähmt hatte.

„Waverley“ war in drei Wochen vollendet worden. Am Weihnachtstage desselben Jahres 1814 schreibt Scott, der inzwischen eine neue epische Dichtung, „der Lord der Inseln“, verfaßt und täglich durchschnittlich achtzig bis hundert Verse auf’s Papier geworfen hatte, an seinen Edinburgher Verleger und Drucker: „Jetzt fahre ich nach Abbotsford, um meine Maschine wieder aufzufrischen,“ d. h. er setzte sich von Neuem an’s Pult, und noch war kein voller Monat in’s Land gegangen, so lagen die beiden ersten Bände eines neuen Romans, „Guy Mannering“ oder „der Astrolog“, nicht blos im Manuscript, sondern im Druck fertig da! Und abermals war die englische Literatur um ein classisches Werk reicher. Dergestalt arbeitete und – erholte sich Walter Scott! Wer vermöchte auch hierin es ihm gleich zu thun? Um dem an dergleichen Ziffern auch heute noch nicht gewöhnten Leser eine Vorstellung zu geben, welche hohen Honorare die englischen Verleger ihren Autoren schon vor länger als einem halben Jahrhundert zahlten, erwähnen wir, daß „Guy Mannering“ mit einem Ehrensolde von mehr als vierzehntausend Thalern belohnt wurde. Ein Gewinn von vierzehntausend Thalern innerhalb sechs Wochen – denn am 24. Februar ward der Roman versandt – bietet uns von Neuem einen Maßstab dar, das Einkommen abzuschätzen, welches Walter Scott aus seiner Feder zog. Wie sein Schwiegersohn Lockhart in seiner ausführlichen Lebensbeschreibung Walter Scott’s, einem neunbändigen Werke, berichtet,

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