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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


ich daher nur einen Trunk Wasser; man wies mich überall ab mit dem Bedeuten, die Brunnen seien zerstört und verschüttet durch die Schlacht. Endlich trete ich noch einmal in ein Haus ein und fordere Wasser; der Pisang hat nichts, weiß auch nichts aufzutreiben. ‚Wir schmachten hier schon seit vierundzwanzig Stunden,‘ sagt einer der acht Verwundeten, die im Zimmer sind, ‚könnten wir nur so recht zugreifen. Der Kerl geht Tag und Nacht nicht von der Stelle dort; ich wette, unter ihm ist ein Brunnen.‘ Ich bemerkte unter dem Stuhle des Pisangs eine kleine Fallthür, eine Klappe; er mußte sich erheben, mußte die Klappe aufheben, und siehe da, der schönste Quell zeigte sich! Daß der Pisang meine Klinge zu fühlen bekam, versteht sich von selbst.

Ich suchte lange im Dorfe umher, bis ich in einem der Häuser einen schwerverwundeten Officier antraf; er war mit seiner Pflege ganz zufrieden, nur Wasser fehlte ihm, doch die Leute könnten keins schaffen, da die Brunnen zerstört seien. Ich theilte dem Officier mein Erlebniß mit, ließ ihm Wasser bringen und nahm mir dann in Ermangelung des Maire, der geflohen war, den Pfarrer vor, um ihm mitzutheilen, daß ich übermorgen das Dorf wieder passiren würde und daß im Falle der leisesten Klage von Seiten der Verwundeten kein Haus verschont werden würde. Hoffentlich haben die armen Verwundeten jetzt Wasser.

Da ich unser Bivouac nicht mehr allzu weit vermuthete und noch Zeit genug hatte, so beschloß ich, nach einem etwas links rückwärtsliegenden Dorfe hinüberzureiten, um wo möglich für die Verwundeten Wein zu schaffen. Um die Pferde nicht unnütz anzustrengen, ritt ich allein dahin. Ich fand ein wüstes Nest; die Einwohner kehrten zum Theil zurück und empfingen mich in eigenthümlicher Weise; sie schienen zu wissen, daß in nächster Nähe keine Prussiens waren; rosig gelaunt waren sie ob des Zustandes ihrer Wohnungen auch eben nicht; kurz die Situation war für mich bedenklich. Ich fragte daher sogleich, ob wohl sechshundert Pferde hier übernachten könnten. Das half. Wurden auch die Gesichter durch die angekündigten sechshundert Pferde, die übrigens nicht hätten untergebracht werden können, nicht freundlicher, schwand auch aus den Mienen nicht der finstere Trotz, so schwand doch das Unheimliche und Beängstigende. Ungehindert verließ ich das Dorf und erreichte bald wieder Jouonville, von wo ich jetzt komme.“

Vorstehendes Beruhigungsmittel französischer Dorfbewohnergemüther ist übrigens nicht nur von unserm Quartiermacher, sondern auch von verschiedenen einzelnen Reitern angewandt worden. So hatte sich einst während der Wintermonate ein Paroleschreiber in nächtlicher Stunde verirrt und zum Ueberfluß auch noch den Namen des Ortes (irre ich nicht, Villeromain), wo der Parolebefehl ausgegeben werden sollte, vergessen. Wohlgemuth stört er die Einwohnerschaft eines Dorfes, auf das er gerade stößt, aus dem Schlafe auf, fragt nach dem Namen des Dorfes, stellt sich dann sehr erfreut, sein Ziel gefunden zu haben, und dictirt achthundert Pferde. Man geräth ganz außer sich vor Schrecken; es ist unmöglich, so viel Pferde zu beherbergen, und fressen werden sie auch noch wollen und allein werden sie auch nicht kommen; es liegen doch in der Nähe noch so viele Dörfer. Der gestrenge Paroleschreiber bleibt unerbittlich.

Plötzlich hört er den Namen des Ortes nennen, den er sucht.

„Wohlan! Dort liegt unser Stab, vielleicht kann ich dort noch ein paar Hundert Pferde unterbringen; gebt mir einen wegkundigen Führer mit.“

Mit tausend Freuden thut man das, und der Paroleschreiber kommt nach Villeromain, ohne gefranctireurt zu sein.




„Notiren Sie den Vorfall,“ sagte der Quartiermacher einige Tage darauf zu mir. „Gestern Nacht in Ticourt habe ich bei einer anständig gesinnten Familie im Quartier gelegen, bei einer Wittwe Corbedaine.“

Madame Corbedaine ist die Schwägerin des Maire, der mich selbst ihr vorstellte und mit eigenthümlichem Lächeln dabei seiner reichlich zwanzigjährigen Nichte sagte: „pas marié“, in welchen Irrthum er wohl durch mein jugendliches Aussehen gerathen war; denn dieser Feldzug verjüngte Jeden, der kugelfest blieb, um fünf bis zehn Jahre. Mademoiselle zeigte mir ein freundliches Zimmer und fragte, was ich zu diniren wünschte und wann? Ich bestimmte nur das „Wann“, das „Was“ ihrem Tacte anheimstellend.

Ich sah mich nicht getäuscht. Bei meiner Rückkehr fand ich ein reichliches und gutes Mahl vor, nur der Wein fehlte. Du man gerade damit immer am freigebigsten ist, so setze ich in solchen Fällen stets voraus, daß wirklich kein Wein zu beschaffen ist, und lasse mich durch das Fehlen dieses Erheiterers nicht entheitern.

Nach Beendigung meiner Mahlzeit holte Madame einen wohlschmeckenden Pflaumenschnaps, der mich zu der Frage veranlaßte, ob man denn in Frankreich gar kein Pflaumenmus kenne.

„O gewiß! Wir haben selbst welches; lieben Sie es?“ entgegnete Mademoiselle.

„Eine Königreich für eine Musstulle!“

„Wenn Sie die Güte haben wollen, mir zu folgen, so können Sie sich einen der Töpfe auswählen.“

In der reichlich gefüllten Speisekammer erblickte ich eine ziemliche Anzahl von größeren und kleineren Töpfen, auf die Celestine hinwies. Nachdem ich einen von mittlerer Größe auserwählt hatte, zeigte mir Demoiselle noch andere nützliche und brauchbare Gegenstände, die ich jedoch dankend zurückwies. Ich sprach meine Verwunderung aus, daß sie es wage, mir so ohne Weiteres alle diese Kostbarkeiten, den Vorrat auf ein Jahr, zu zeigen.

„Von Ihnen, mein Herr, glaube ich nichts befürchten zu müssen, nicht jedem Soldaten würde ich dies Vertrauen schenken.“ (Ich habe vergessen, zu erwähnen, daß ich längst mein Verheirathetsein eingestanden hatte; ich muß diesen Umstand hervorheben, um kein falsches Licht auf das Vertrauen des jungen Mädchens fallen zu lassen. Ein junges Mädchen von zwanzig Jahren ist nämlich in Frankreich schon eine alte Jungfer und könnte also geneigt sein, einem unverheiratheten Manne, dessen bürgerliche Lebensstellung sie während der Unterhaltung erfahren, egoistischer Weise ein besonderes Vertrauen zu schenken.) „Uebrigens so leicht lasse ich mich durch nichts in Schrecken setzen. Im Anfange des Krieges hatten wir in unserem Hause einmal vierzig Cavalleristen, alle Gärten des Dorfes waren mit Pferden gefüllt. Meine Mutter war gerade bettlägerig, die verheirathete Schwester noch nicht hier, ich also mit meiner andern Schwester ganz allein. Wir fürchteten uns gar nicht, wir gaben, was wir hatten, Wein sechszig Liter. Einer der Reiter hatte etwas zu viel getrunken, er wollte mehr haben. Ich hielt es für besser, ihm keinen Wein mehr zu geben, sondern den geringen Rest zum Frühstück aufzusparen; ich sagte daher, ich könne ihm jetzt keinen Wein mehr geben. Da ging der Mann mit gezogenem Säbel auf mich los, ich sprang zur Seite, entriß ihm die Waffe und eilte dann zum Sergeanten, der den Mann beruhigte, von seiner Bestrafung aber auf meine Fürbitte abstand.“

Wir politisirten natürlich am Abend noch lange, wir blieben, obwohl unsere Ansichten stark von einander abwichen, sehr ruhig. Man war in diesem Hause eben nicht fanatisch; auch trug zu der Ruhe und guten Gesinnung wohl der Umstand bei, daß zwei Söhne der Frau Soldaten waren, einer stand in Paris, der andere in Metz. Seit dem Kriege war man ohne Nachrichten von den Söhnen.

Gestern Morgen verließ ich eine Stunde früher mein Bett, als nöthig war, um eine Stunde länger mit der gemüthlichen Familie plaudern zu können. Der Abschied wurde mir fast schwer.



Kleiner Briefkasten.

J. G. in Wasselnheim. Glauben Sie ja, daß jede Stimme, jeder Wunsch, aus Elsaß-Lothringen von uns jetzt mehr beachtet wird, als das Gleiche aus den alten Reichstheilen; man möchte ja so gern alles Mögliche beitragen, um dem lieben Land und Volk den schweren Uebergang aus den alten zu den neuen Verhältnissen erleichtern zu helfen. Ob es aber so rasch gelingt, den Deutschen auch neue Bedürfnisse zu Gunsten eines gefährdeten elsässischen Industriezweigs beizubringen, ist freilich eine Frage. Ein Versuch ist aber zu wagen. Und so empfehlen wir denn unseren alten Landsleuten den Gebrauch der wirklich vortrefflichen Holzschuhe, deren Fabrikation in verschiedenen Gegenden des Elsaß, besonders in und um Wasselnheim den großen Theil der arbeitenden Classen beschäftigt, Allen, die in unseren langen Wintern an Fußkälte zu leiden, oder viel im Freien zu arbeiten haben. Vielleicht macht man aus Patriotismus eine Probe, die später den Füßen und der Gesundheit zu Gute kommt.

R. in B. Dazu kann Ihnen und vielleicht manchen Anderen Gelegenheit geboten werden. Zu einem Jagdausflug in die wildreichsten Gegenden Ostafrika’s, zu welchem Herr Dr. Alfr. Brehm in Berlin den Plan entworfen, werden noch ein oder mehrere Theilnehmer gesucht. Abreise von Kairo Mitte October 1871, Rückkehr Ende Februar 1872. Die Redaction der Gartenlaube ist gern erbötig, Näheres darüber mitzutheilen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_592.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)