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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

auf die Gefahr hin, es zu werden, gestehe ich offen, daß ich das Gefühl, welches ich bei dem Anblick dieses herrlichen Thieres empfunden, nicht anders als mit „Andacht“ bezeichnen kann, ungefähr dieselbe Andacht, mit welcher man eine schöne menschliche Gestalt betrachtet, und ich möchte glauben, daß ich damit nicht allein stehe. Wie alles Wortgeklingel unnütz ist, wo es sich darum handelt, eine plastische Schönheit zur überzeugenden Anschauung zu bringen, so unterlasse auch ich es, das Thier zu schildern, da ohnedies das Bild diesen Versuch einigermaßen macht. Einigermaßen, denn man muß verzweifeln, den Ausdruck solcher Kraft und Wildheit, solcher Verachtung alles Andern vollständig wiederzugeben. Hierbei möge es übrigens erlaubt sein, auf einen Zwiespalt hinzuweisen zwischen der künstlerisch anerzogenen Auffassung und dem natürlichen Gefühl, der doch eigentlich nicht bestehen sollte. Nicht leicht wird nämlich ein Künstler einen Löwen dieser Race freiwillig zur Darstellung auf einem Bilde wählen, wo es sich um eine auszusprechende Bewegung des Thieres handelt, denn die über und hinter die ganze Schulter gewachsene Mähne hindert ein bildliches Aussprechen einer Bewegung so außerordentlich, daß die Gefahr einer unschönen Darstellung, vor Allem einer unverständlichen, kaum zu bewältigen ist, mit andern Worten: vom streng künstlerischen Standpunkt ist diese Löwenrace nicht so schön, wie die nördlichere. Und doch, wie straft diese lebende Erscheinung diesen Satz Lügen! Gerade die ungeheure Fülle der Mähne trägt so sehr dazu bei, den Eindruck der gewaltigen Kraft zu vervollständigen, sie hindert uns so wenig, die Bewegung des Thieres zu verstehen, daß man schlechterdings nicht daran denkt, diesen herrlichen Schmuck sich verringert zu wünschen.

Unser Löwe ist ein Geschenk vom Geheimen Commerzienrath F. W. Krause in Berlin, der ihn im vorigen Herbst durch den Director Bodinus in Hamburg, jedenfalls vom Thierhändler Hagenbeck, kaufen ließ. Es ist dies ein erfreulicher Beweis, wie die schöne Neugestaltung des Gartens bereits auch nach der Seite, welche für solche Institute immer eine höchst erwünschte sein muß, die schönsten Früchte trägt. Wen Jemand einen Fuchs schenkt, den er sonst wahrscheinlich todtgeschlagen hätte, so hat kein Mensch auf der Erde das Recht, den Geber dafür zu bestrafen, aber gefährlich bleiben solche Gaben doch, und wenn vollends bei einem solchen Geschenk, wie das doch erwartet wird, der Name des edlen Mannes zu lesen ist, so wird die Gefahr, daß alle Männer von gleicher Seelengröße sich zu ähnlichen Geschenken veranlaßt sehen, um ihre Namen dann als eine Säule des Gartens lesen zu können, immer bedenklicher, denn das zuletzt unvermeidliche Zurückweisen solcher Seltenheiten ist ja natürlich eine tödtliche Beleidigung.

Wohl aber liest man bei unserm Löwen den Namen des Schenkgebers mit ungetheilter Anerkennung, und ich bin gewiß nicht der Einzige, der im Stillen demselben seinen Dank gewidmet hat für die Großherzigkeit, ein solches Geschenk und so zur rechten Zeit dem Garten zu widmen.

Noch muß zum Lobe dieses Löwen erwähnt werden, daß er auch gut brüllt, und das gehört in der That zu den Vollkommenheiten eines solchen Thieres. Für die wandernde Menagerie ist gerade diese Eigenschaft, wie ich schon früher erwähnte, als Lockmittel von großem praktischen Werth, aber auch in einem zoologischen Garten will man seinen Löwen brüllen hören, denn der Ruhm seiner Stimme wird Einem ja schon in den ersten Schuljahren eingetrichtert.

Es ist nur ein Herabsteigen in der Stimmung, wenn man nach der Betrachtung eines schönen Löwen noch von anderen Thieren sprechen will. Aber hinweisen möchte man wenigstens noch auf die bereits überraschende Fülle schöner und besonders auch seltener Thiere, welche sich schon jetzt, wo viele Bauten noch nicht angefangen, andere noch nicht vollendet sind, dem Beschauer darbieten. Aber es würde zu weit führen, den Garten, wie er jetzt ist, schildern zu wollen, denn zunächst war dies nicht der Zweck dieser Zeilen, und es ist auch kaum gerathen, da eben das Ganze noch im Werden ist und deshalb von einem vollständigen Eindruck noch nicht die Rede sein kann. Daß es aber schon jetzt sehr dankbar, sehr der Mühe werth ist, den Berliner zoologischen Garten zu besuchen, trotz des oft ameisenartigen Gewimmels der noch beschäftigten Arbeiter, das beweist der immer sich steigernde Besuch desselben, so daß auch in finanzieller Beziehung die besten Erwartungen gerechtfertigt sind und für die Actionäre kein zweites Rumänien zu fürchten ist.

L.


Waldsachen-Fabrication.

Südwestlich von dem Badeflecken Warmbrunn und seinen berühmten Schwefelquellen, doch fast zusammenhängend damit, liegt, wahrhaft entzückend umgeben, hart am Fuße des hochromantischen, sagenumklungenen Kynast das ausgedehnte Dorf Hermsdorf, seit Jahren die besuchteste aller der Sommerfrischstätten der schlesisch-böhmischen Berge und der Verwaltungssitz der manches souveräne Fürstenthum an Umfang und Einkünften übertreffenden reichsgräflich Schaffgotsch’schen Standesherrschaft. Dieses von mehr als zweitausend Menschen bewohnte Dorf so ziemlich in seiner ganzen Länge durchschreitend, immer an netten, zwischen Gärten und Bäumen versteckten Häusern dahin, von denen selten eines seiner Sommergäste entbehrt, gelangen wir bald in eine sich dem Hochgebirge entgegenziehende malerische Schlucht. Links braust über massige Felsblöcke ein helles Bergwasser herab, um sich tiefer unten, bei Warmbrunn, mit dem wilden Zacken zu vereinigen; darüber baut sich an schroffer Höhe prächtiger Schwarzwald empor; im Grunde und auf den von saftigen Matten bedeckten, ungemein lieblichen und schöngeformten Vorhügeln drängt sich Haus an Haus, Glasschleifereien, Holzstampfen, Brettmühlen, saubere Gasthöfe mit lauschigen Lauben und Sommergalerien, und vor uns blaut der erhabene Zug des Riesenkammes, an dessen Hange wir deutlich die lichten Stellen unterscheiden, welche die sogenannten – jetzt, im Spätsommer, freilich ihres kühlen Inhalts entleerten – Schneegruben bezeichnen.

Kaum merken wir, daß wir fortwährend aufwärts wandern, kaum, daß wir bereits an den ersten grauen Holzhäusern eines andern Dorfes vorüberwandern, denn die Linie der Gebäude ist nur einmal, und blos auf wenige Minuten, unterbrochen worden. Dies neue Dorf – Agnetendorf heißt es – noch gebirgshafter als das erstgenannte, ist allen Sudetentouristen wohl bekannt; von ihm aus geht es links über die große Schneegrube und Grubenbaude auf den hohen Kamm und zur Schneekoppe hinauf oder rechts zu den erst seit vorigem Jahre prakticabel und „wirthlich“ gemachten, das heißt mit Restauration und Logirhause ausgestatteten, vielgepriesenen Aussichtspunkte, der Bismarckhöhe, deren Berg- und Thalpanorama dem altrenommirten Kynaste die Palme abzuringen beginnt. Wir schlagen den bequem hergestellten Pfad zu dieser jüngsten Glorie des Warmbrunn-Hermsdorfer Thales ein, indeß blos auf ein paar Secunden, denn unser Ziel ist erreicht.

Auf einem zu parkähnlichen Gartenanlagen umgewandelten Bergvorsprunge am linken Ufer des munteren Gewässers, dessen Lauf wir quellwärts gefolgt sind, erblicken wir dicht an der Straße ein elegantes Gebäude in veredeltem Schweizerstile, wie es für die alpenähnliche Scenerie ringsum nicht harmonischer hätte ersonnen werden können. Gebührend angemeldet empfing uns der Herr des schmucken Anwesens schon an den Gitterpforte seines kleinen Eldorado. Es ist ein Mann in mittleren Jahren, Ton und Redeform seines Grußes bekunden untrüglich den Schlesier, der nicht mit Unrecht die Gemüthlichkeit als besondere Charaktereigenthümlichkeit für sich in Anspruch nimmt.

„Wie sind Sie zu beneiden!“ rief ich unwillkürlich aus, als ich einen Blick in die herrliche, rechts vom Hochgebirge begrenzte Waldlandschaft warf, von der das zierliche Haus umrahmt wird.

„Das haben mir schon Viele gesagt, die mich und mein Etablissement besucht,“ erwiderte unser freundlicher Wirth, Herr Gustav Herzig, der Gründer und Chef einer Holz- und Waldwaarenfabrik, welche ihre mannigfaltigen Erzeugnisse, Tausende von Artikeln der verschiedensten Art, bis nach Australien und Ostindien, nach Rußland und Spanien versendet, „und ein guter Theil der Hermsdorfer Sommerfrischler beschaut sich den bunten Kram, den ich hier oben am Fuße der Schneekoppe tischlern und drechseln, schneiden, meißeln, kleben und malen lasse – aber Keiner von ihnen Allen macht sich wohl einen Begriff, mit welchen Nöthen und Schwierigkeiten ich zu kämpfen gehabt habe, bis ich mir das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_616.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)