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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 39.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Das Haideprinzeßchen.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Charlotte hing sich an den Arm ihres Bruders und sah ihm zärtlich in das heißgeröthete Gesicht. Sie zog ihn über die Schwelle in den Garten, wo auch bereits Fräulein Fliedner und Ilse eingetreten waren und rasch nach dem zertrümmerten Gewächshaus zuschritten. Mich hatte man total vergessen. Ich ging hinter den Geschwistern her, die den Weg nach der Brücke einschlugen.

„Nicht wahr, da stand ich nun wieder einmal da, wie ein gemaßregelter Schulbube?“ stieß Dagobert zwischen den Zähnen hervor – seine Stimme klang halberstickt, als schnürten ihm Groll und Grimm die Kehle zu. – „Mich empört nichts mehr, als diese scheinheilige Ruhe bei Allem! … Er kauft das Thier aus zweierlei Gründen nicht – einmal, weil es ihn durch seine Unart um ein paar Bouquetgroschen und einige Samendüten gebracht hat, und dann will sein Spießbürgerhochmuth mit dem aristokratischen Verkäufer nichts zu thun haben; lieber läßt er sich von dem ersten besten Juden betrügen. … Aber davon verlautet beileibe kein Wort! Er schweigt, thut, als bemerke er den Schaden gar nicht, und rächt sich einfach durch unmotivirtes Zurückweisen. … Und dieses plötzliche Herausbeißen cavalierer Manieren und Kenntnisse! Lächerlich! Er, der nie auf einem anderen Rücken als dem seines einbeinigen Comptoirstuhles gesessen hat, er giebt sich plötzlich das Ansehen eines Sachverständigen, mustert mit Kennermiene ein Pferd –“

„Du, damit sei nicht so vorschnell!“ unterbrach ihn Charlotte. „Ich habe im Gegentheil den Onkel sehr im Verdacht, daß er einst, vorzüglich in Paris, das cavaliere Leben und Treiben mitgemacht hat, nicht aus Passion – Passionen hat er nicht, die eine für die Arbeit ausgenommen – aber vielleicht um der Mode willen, was weiß ich!“ Sie zuckte die Achseln und sah zurück nach dem Rosenspalier, das eben unter Herrn Claudius’ Anleitung wieder aufgerichtet wurde.

„Gegen diesen eisernen Schild der Kälte und Berechnung vermögen wir Beide nichts!“ fuhr sie hinüberdeutend fort. „Da heißt es, die Zähne zusammenbeißen, die Hand auf das heiße, unruhige Herz pressen und abwarten, bis ein erlösender Stern über uns aufgeht.“

Sie hatte mich beim Umdrehen bemerkt und reichte mir unbefangen die Hand hin, um mich zu führen. Dagobert dagegen fuhr vor meiner kleinen Person erschrocken zurück; es war ihm sichtlich fatal, einen Zeugen hinter sich gehabt zu haben. … Hätte er nur gewußt, wie es in diesem Augenblick in mir aussah! Meine Finger umklammerten die Banknoten in der Tasche – ich hätte sie am liebsten dem Manne da drüben an der Rosenhecke hingeworfen, wie in der Haide seine Thaler; diesem Eisblock, der bei äußerer milder Freundlichkeit und scheinbarer Güte die zwei jungen, herrlichen Wesen tyrannisirte und sie seine Macht fühlen ließ. … Hatten sie denn gar Niemand weiter auf der Welt, als diesen alten, hartherzigen Onkel? … Ich war ihre enthusiastische Verbündete, ohne daß sie es ahnten.

Dagobert verabschiedete sich an der Brücke von uns; er ging in die Stadt. Wie gut und edel mußte er sein! Bei allem innern Groll ging er doch erst noch hinüber zu dem Onkel und verabschiedete sich von ihm, als sei nichts vorgefallen.

Charlotte schritt langsam neben mir her und sagte, sie wolle sich ein Buch in der Bibliothek holen.

„Kommen Sie her, Kleine,“ sagte sie ihren Arm um meine Schultern legend; – sie zog mich im Weiterschreiten eng an sich heran, so daß ich die starken, heftig pochenden Schläge ihres Herzens fühlen konnte. „Ich mag Sie gern. Sie haben Charakter und ein muthiges Herz in Ihrem Liliputkörperchen. … Es gehört schon Muth dazu, in Onkel Erich’s Augen zu sehen und etwas von ihm zu verlangen.“

„Haben Sie denn keinen Vater oder wenigstens eine Großmutter?“ fragte ich, mich an sie anschmiegend, und sah schüchtern empor in ihr schönes Gesicht, das noch das Gepräge der Aufregung trug. Mir fiel in diesem Moment ein, daß ich selbst bei meiner geisteskranken Großmutter ein glückliches Kind hatte sein dürfen.

Sie sah lächelnd auf mich nieder. „Nein, Prinzeßchen, auch keine Großmutter, die mir neuntausend Thaler hinterlassen könnte – o Gott, wie wollte ich da den Staub von meinen Füßen schütteln! … Wir sind sehr früh Waisen geworden. Mein Vater ist Anno 44 am Isly in Marocco gefallen – er war französischer Officier. Als er Frankreich verlassen hat, lag ich noch in den Windeln – ich weiß nicht einmal, wie er ausgesehen –“

„Vielleicht wie Herr Claudius – er war doch wohl sein Bruder?“

Sie blieb stehen, zog ihren Arm zurück und schlug auflachend die Hände zusammen.

„O, Kind Gottes, Sie sind doch köstlich naiv! … Ein Claudius in französischen Diensten! … Ein Sohn aus dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_641.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2018)