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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


über gewisse Verhältnisse und Beziehungen, die vielfach unrichtig aufgefaßt werden, möchte ich mich auslassen.

Herr v. Mühler, ein Sohn des früheren Justizministers Mühler, ist vor allen Dingen nicht Theologe, sondern Jurist und war vor seiner Ernennung zum Cultusminister Justitiarius im Oberkirchenrathe. Sein Interesse für kirchliche Dinge bethätigte er auch außer seinem Amte mehrfach, unter Anderem durch die Mitbegründung des „Evangelischen Vereins“, eines Instituts, das noch heute eine ausgebreitete Wirksamkeit übt. Als er im Jahre 1862 in seine jetzige Stellung berufen wurde, geschah dies keineswegs, weil in ihm der Vertreter einer extremen kirchlichen Richtung herangezogen werden sollte, sondern weil man in ihm einen Mann von so gemäßigten Ansichten zu finden glaubte, daß er eine wenigstens äußerliche Versöhnung der im Kampfe liegenden kirchlichen Parteien herbeizuführen geeignet sein würde. Einen Bekenner der ultraorthodoxen Anschauungen würde der König unter keinen Umständen gewählt haben; und ebensowenig würde von Herrn v. Bethmann-Hollweg, Mühler’s Vorgänger, der diesen dem Könige empfohlen hatte, ein solcher Vorschlag ausgegangen sein. Mühler steht auch in der That nicht mit einem Knak, Steffan und Genossen auf gleicher Linie und kann sich der Gunst der „Evangelischen Kirchenzeitung“ und des „Volksblattes für Stadt und Land“ nicht rühmen. Wenn diese Organe der reinsten Orthodoxie ihn trotzdem glimpflich behandeln, so ist doch nicht außer Acht zu lassen, daß sie den größten Theil seiner Maßnahmen und Erlasse bekämpfen und ihre der Person gezeigte Milde wohl nur eine Aeußerung der Klugheit ist. Gerade dieser überall hervortretende Gegensatz dient zur Befestigung der Stellung Mühler’s, weil sie an entscheidender Stelle den Glauben an seine Mäßigung erhält. Auch weiß er geschickt nachzugeben und einzulenken, wenn er an eben dieser Stelle die Mißbilligung eines eingeschlagenen Weges bemerkt. Dies fand zum Beispiel vor zwei oder dritthalb Jahren statt, als der König ihm seine Unzufriedenheit mit dem Verfahren in den Synodal-Angelegenheiten zu erkennen gab; es trat sofort eine Wandlung zu Gunsten einer freieren Richtung ein.

Es verstößt nicht allein gegen die Grundsätze des constitutionellen Staatsrechts und führt zu Inconsequenzen, die in verwirrender Weise auf die Verwaltungsmaschinen einwirken müssen, sondern es ist auch kein Beweis männlich festen Charakters und gereifter Ueberzeugung, wenn der politisch verantwortliche Beamte sich an sein Amt in dem Maße festklammert, daß er lieber langvertheidigte Anschauungen preisgiebt, als diesem entsagt. In solchem Fall aber hat Herr v. Mühler sich schon öfters befunden. Ein Beispiel – die Behandlung der Synodal-Einrichtung in der evangelischen Kirche – ist schon angeführt. Aus dem offenen Gegner der Synodal-Verfassung wurde zunächst ein widerwilliger Förderer und dann ein durchgreifender Parteigänger derselben, und nicht etwa allmählich, in Folge eines Wechsels des Urtheils, sondern urplötzlich und zusammenfallend mit kundgewordenen allerhöchsten Meinungs- oder Willensäußerungen. Gegenwärtig vollzieht sich vor den erstaunten Augen Deutschlands eine gleiche, vielleicht noch schroffere Wandlung – in der Auffassung und Leitung der katholischen Angelegenheiten.

Es ist wohl als bekannt vorauszusetzen, daß unter Herrn von Mühler’s Aegide der katholische Klerus sich bis vor Kurzem der zartesten Rücksichten erfreute, die Bischöfe beinahe nicht wie Unterthanen des Staats, sondern wie gleichberechtigte Mächte behandelt wurden, daß die größte Sorgfalt, jede Einmischung in das Regiment der katholischen Kirche zu vermeiden, vorherrschte und diese daher eine bei Weitem größere Selbstständigkeit und Freiheit als die evangelische Landeskirche genoß. Dazu kam, daß der Chef der katholischen Abtheilung im Ministerium, Geheimrath Krätzig, mit dem Minister innig befreundet war und in seinem vollkommenen Vertrauen stand. Mit einem Schlage hat sich dies geändert. Fürst Bismarck erklärt sich bereit, die Altkatholiken gegen die Infallibilisten zu schützen, und sofort schwenkt Herr von Mühler in wahrhaft naiver Weise herum, macht gegen das Episcopat Front, löst die ganze katholische Abtheilung in seinem Ministerium auf und stellt seinen Freund Krätzig zur Disposition. Merkmale einer inneren Umkehr sind bei dem Herrn Minister nirgends wahrnehmbar, und man giebt sich auch nicht die Mühe, solche zu suchen; für Herrn v. Mühler’s Bekannte erklärt der Wille des Reichskanzlers die eingetretene Wendung genügend. Die Abneigung, den einflußreichen Posten aufzugeben, ist schließlich das Motiv, welches die Stellung des preußischen Cultusministers bestimmt, und das öffentliche Mißtrauen, welches seine Operationen begleitet, ist deshalb der berechtigte Ausdruck des Zweifels an seiner Aufrichtigkeit.

Will man – und meinerseits bin ich gern dazu bereit – Herrn von Mühler auf das Günstigste beurtheilen, so muß man ihn für einen schwankenden, unselbstständigen Charakter von nicht ganz klaren Anschauungen und ohne den Muth, seinen Ueberzeugungen ein Opfer zu bringen, erklären. Seine Geschäftsführung spricht für die Richtigkeit dieses Urtheils.

Für jede Verwaltung ist es ein großer Uebelstand, wenn sie nicht in einheitlichem Sinne geführt wird; jedes Regiment muß aus einem Gusse sein, wenn es etwas taugen soll. Zumal wenn die Wogen der Zeit hoch gehen, darf nur ein fester Wille das Steuer lenken; kommt der Wille Vieler zur Geltung, so wird das Fahrzeug gefährdet. In dem preußischen Cultusministerium aber fehlt der klare einheitliche Wille; Herr von Mühler besitzt nicht die erste nothwendigste Eigenschaft eines Staatsmannes, seine Gehülfen zu Werkzeugen seiner Absichten zu machen; es werden vielmehr alle denkbaren Schattirungen der Ansichten über Grenzen und Ziele von Kirchenregiment und Schulverwaltung durch seine Räthe vertreten und ungescheut offen ausgesprochen. Neben Stiehl, dem Verfasser der Regulative, sitzt von Wussow, ein eifriger Gegner der Bevormundung der Schule durch die Kirche. Ein Zusammenwirken so auseinander gehender Kräfte kann zu keinem heilsamen, ja überhaupt zu keinem Ziele führen. Wie aber soll einem solchen Uebelstande abgeholfen werden, wenn der Herr und Meister selbst nicht weiß, was er will; wenn er hier einem Allerhöchsten Winke, dort dem Drängen des Oberkirchenraths, bald dem Zureden seiner Räthe, bald den Strafpredigten der „Evangelischen Kirchenzeitung“ nachgiebt; wenn er in Berlin und Pommern den Nationalismus verfolgt und in Hessen die Altgläubigen absetzt; wenn er Kreis- und Provinzial- und Generalsynoden organisirt und dem einzelnen Geistlichen sein Maß von Glauben zudictirt!

Die „Gartenlaube“ ist keine Kirchenzeitung, und ich enthalte mich daher schicklicherweise jeder Würdigung theologischer Systeme und kirchlicher Glaubenssätze; aber das darf ich behaupten, daß Herrn von Mühler’s System gar kein System ist, sondern nur in haltlosem Schwanken zwischen den auf ihn eindringenden Mächten besteht. Jeder treue Freund seiner Ueberzeugungen, nicht allein der Jünger eines sich historisch fortbildenden Christenthums, sondern auch der an den alten Symbolen Hangende, muß das baldige Ende dieser unseligen Verhältnisse herbeiwünschen; der Anfang dieses Endes könnte nur der Rücktritt des jetzigen Cultusministers sein.

Ehe ich mit diesem abschließe, muß ich noch für eine gekränkte Unschuld eine Lanze brechen, nämlich für die vielberufene Adelheid, nehme aber dabei die Nachsicht in Anspruch, die einem alten Verehrer nicht versagt werden darf. Es war ein reizendes, gescheidtes und aufgewecktes Mädchen, Fräulein Adelheid von Goßler, und das Haus ihres Vaters am Leipziger Platze (jetzt das Palais des Prinzen Adalbert) ein mächtiger Anziehungspunkt für junge Männer. Wie hätte das Herz eines Studenten, an sich so leicht entzündbar, zwei so lieblichen Gestalten gegenüber, wie die beiden Töchter des Hauses waren, nicht in Feuer gerathen sollen! Aber tempi passati! Es sind nun vierunddreißig Jahre; die Jugend ist hin, und auch die Erinnerung ist verblaßt!

„Ach, wie der Jugend Ruf verhallt,
Und wie der Blick sich trübt!“ –

Es ist durchaus unrichtig, was in den Witzblättern und in Bierkneipen von dem Einflusse der Frau von Mühler auf die amtliche Thätigkeit ihres Mannes geschwatzt wird. Sie ist eine viel zu verständige Dame, als daß sie sich um Dinge bekümmern sollte, die einer braven Hausfrau und Mutter eines ganzen Häufchens Kinder gerade so fern liegen, wie irgendwelche Alfanzereien. Weiß der Himmel, wer dies thörichte Gerede aufgebracht hat; jedenfalls kein Wissender.[1]

Ich wundere mich öfters, wie Geschichten, die auch nicht eine Spur von Wahrheit an sich haben, plötzlich auftauchen, sofort die Runde durch weite Kreise machen und, ohne auf Widerspruch zu stoßen, so allgemeinen Glauben finden, daß sie bald als unumstößliche Facta dastehen. Was diesen Geschichten die weitverbreitete

  1. Und die musikalische Affaire mit Joachim?
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_704.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)