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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Daher also, was Du in der Indianernacht gethan hast, und daß Du mir das Leben rettetest?“

„Ja, daher, Vater. Und ich hoffe, es soll nicht das Letzte sein, was ich thue. Ihr sollt sehen, der alte Abe wird gewählt, und die frechen Tyrannen im Süden heben den Tanz an. Es giebt Krieg um die Union, und dann, Vater, laßt mich hinaus, wir wollen ihnen ein Stückchen aufspielen, daß ihnen die Ohren gellen sollen! Sie haben die Männer drüben zusammengehauen, die sich 1849 für die Republik schlugen. Dafür haben diese Männer hier die Deutschen aus dem Schlafe gerüttelt, und mit denen wählen wir jetzt den Lincoln und stellen die Republik fest auf alle Ewigkeit. Da will ich mit bei sein, Vater, und ob ich in Ehren falle oder in Ehren siege, dann sollt Ihr Euch freuen, daß Ihr den Aloys als Sohn angenommen habt!“

Der Capitain reichte dem Jüngling die Hand. Dann wandte er sich zum Schrank, die Lampe war während dieser Gespräche niedergebrannt, er wollte Oel aufschütten. „Wir brauchen’s nicht mehr, es graut schon der Morgen,“ sagte Aloys. Er stieß den Laden auf, und auf dem Thau der Prairie schimmerte wie ein blasses Mondlicht das Silber der Morgendämmerung.

„Wollt Ihr noch schlafen gehen?“ fragte Aloys. „Oder soll ich heute noch das Ende hören, wie meine Mutter mit Euch nach Amerika ging? Das weiß ich noch nicht. Sie bekam damals das Fieberschütteln, und hernach war sie nicht mehr allein mit mir, sie starb den folgenden Tag.“

„Du sollst Alles hören, und heut noch,“ erwiderte rasch der Capitain. „Dann ist’s vorüber, ein ander Mal würde es mir schwer werden, neu damit anzufangen.“

Aloys setzte sich zum Vater und schlug den Arm über seine Schulter.

„Ich sprang über den Hag auf die Wiese zu Deiner Mutter. Daß sie ein Kind haben könnte, daran hatte ich niemals gedacht. Ich setzte mich zu ihr aufs Heu und sah Dich an. Du warst kein schönes Kind dazumal. Die Hände waren mager, daß man alle Knöchelchen durchsah, das Gesicht war von einem häßlichen Ausschlag bedeckt, daß man keine saubere Stelle an Dir sah, und die Augen waren verschworen, als wärest Du blind. Man hätte nicht denken können, daß Du einmal einen Häuptling der Dacotahs zusammenhauen würdest.

‚Ist das sein Kind?‘ fragte ich. ‚Es sieht seinem stolzen Vater nicht ähnlich.‘

‚Ach,‘ sagte sie, ‚es war ein schönes Kind, wie es auf die Welt kam! Aber es hat zu viel gelitten seitdem.‘

‚Erzähl’ mir,‘ bat ich.

‚Du weißt, daß er todt ist?‘

‚Ich weiß es.‘

‚Hast Du –?‘

‚Ja, ich habe,‘ sagte ich. Am Geheimhalten lag mir ja längst nichts mehr.

Sie rückte mit dem Kinde einen Schritt von mir hinweg. ‚Ich habe mir’s immer gedacht,‘ sagte sie.

‚Glauben es auch die andern Leute?‘ fragte ich.

‚Man weiß nicht, was man denken soll. Das Gericht hat dazumal untersucht; in einem Wirthshaus an der Straße nach Köln bist Du den Abend gewesen und hast gesagt, Du gingest die Nacht noch nach Köln; Deine Kölner Freunde haben freiwillig bezeugt, daß Du am Morgen früh sie daselbst besucht hast. Auf das hin haben sie Dir keinen Steckbrief nachgeschickt.‘

‚Und Du?‘

‚Mich haben sie auch als Zeugen aufs Gericht gefordert und auf den Eid genommen.‘

‚Wie kam aber das?‘

‚Ach,‘ sagte sie und verbarg ihr Angesicht an Deiner Brust, ‚es wußten schon mehr Leute als Du von Fritz und mir. Einer von der Nachtwache hatte ihn einmal Nachts gesehen. Was habe ich noch zu verschweigen nach all der Sünde, die ich an Dir gethan, Conrad? Ich war gegen ihn schon viel zu gut gewesen, als Du den Herbst mit der Landwehr auf dem Manöver warst.‘

Eine fürchterliche Bitterkeit stieg ist meiner Seele auf. Wenn ich damals nicht meinen Blutzins bezahlen mußte, wenn ich meine gute Stelle nicht verlor, so hätte ich vielleicht das Unglück abwenden können.

‚Also vor Gericht mußte ich auf meinen Eid Alles aussagen, auch daß Du mich hattest heirathen wollen und daß der Fritz dazwischen gekommen war. Das kam denn Alles in der Zeitung mit Namen und Vornamen. Ich war vor allen Menschen verloren, noch ehe ich wußte, daß ich dies Kind hatte, und meine reichen Verwandten stießen mich aus dem Haus. Einen Dienst fand ich nicht mehr, und was ich die Jahre her mir erspart hatte, das ging drauf für das Kindbett. Als die Taufgebühr bezahlt war, hatte ich gar nichts mehr, keinen Pfennig.‘

‚Wie hast Du ihn taufen lassen?‘ fragte ich.

‚Aloys heißt er und hat einen guten Schutzpatron. Den Namen habe ich ihm ausgesucht, weil der heilige Aloysius mit den Mädchen so fromm war, daß er dem nachschlägt und nicht seinem Vater. Aber was wird’s ihm nützen? sieh ihn nur an, ich weiß, er muß sterben.‘

‚Sterben?‘ sagte ich.

‚Ja, sterben. Er hat zu viel Noth gelitten, und ich weiß dem armen Würmchen auch nicht mehr zu helfen. Erst wollte ich nicht Säugamme in der Stadt werden, weil ich das Kind nicht abgeben mochte, und jetzt, wenn ein Doctor das kranke aussätzige Kind ansieht, nimmt mich kein Mensch mehr als Amme.‘

‚Aber was hast Du gemacht seither, wo lebst Du?‘

‚Bei der armen Frau oben im Dorf, der diese Wiese gehört. Sie hat mir ein Kämmerchen geliehen und ich darf das Kind bei mir haben, dafür thue ich ihr Abends das bischen Arbeit, und den Tag über gehe ich tagelöhnern, wenn’s auf dem Felde was zu verdienen giebt. Aber ich kann nicht genug verdienen für mich und das Kind, es hat nicht Milch genug, und Brei kann es nicht vertragen, es liegt auch manchmal halbe Tage lang ohne rechte Pflege, wenn ich auf die Arbeit muß. Der Armendoctor sagt, wenn es keine bessere Kost bekommt, kann er es nicht beim Leben erhalten.‘

Als Deine arme Mutter so sprach, fühlte ich ein tiefes herzliches Mitleid mit Dir. ‚Anna,‘ sagte ich, ‚ich habe etwas Geld mitgebracht, nimm soviel Du willst, nimm es alles und halte Dich stark und gesund.‘

‚Nein,‘ rief sie, ‚von allen Menschen könnte ich Almosen annehmen, nur von Dir nicht, nachdem ich Dir so wehe gethan. Und Du bist ja auch jetzt fremd hier und brauchst Dein Geld selber.‘

‚Ich nicht,‘ sagte ich. ‚Mein Ende ist da, ich gehe mich selber angeben wegen der Mordthat, und wenn Du das Geld nicht willst, so nimmt es das Gericht mir ab, da haben sie gleich um den Scharfrichter zu bezahlen.‘

Ich sah, daß sie erschrak. Sie rückte mir wieder näher und sagte: ‚Thu das doch ja nicht, was soll’s ihm nützen, daß Du stirbst?‘

‚Ich kann nicht mehr leben,‘ antwortete ich, ‚ich sehe ihn vor mir Tag und Nacht, er läßt mich nicht, bis ich ihn bezahlt habe. Und jetzt erst recht kann ich das Leben nicht ertragen, da ich Dein Elend sehe und das arme Kind. Hier ist mein Geld; willst Du’s, so sag’s, denn ich gehe.‘

Sie schüttelte mit dem Kopf und wiegte das Kind im Schlaf. Ich stand auf, voll von Galle, und ging wieder dem Dorfe zu.

Aber wie ich näher und näher kam, wankte mir, das Herz in der Brust. Jetzt gehst Du in den Tod, dachte ich, und reißest die Anna und das Kind mit, wenn sie ohne Dich verelenden. Was ist ihm besser, wenn ich für ihn sterbe, ober wenn ich sein Kind rette?

Ich stand still und sann. Ich fühlte, daß ich auf dem falschen Wege ging. Was wäre jetzt leichter, fragte ich mich, der Tod oder das Leben? O, der Tod! rief mein Eigensinn. Das Leben ist ja so schwer auszuhalten! Nein, schrie wieder mein Gewissen dazwischen, ein Leben lang die Schuld tragen und nach besten Kräften gut machen, das ist tapfer, aber in den dummen stummen Tod gehen, weil man eine Sünde vergessen will, das ist feig! So lange ein Mann noch ein recht Gutes thun kann, kommt der Tod zu früh. Ich will’s versuchen!

Wieder wandte ich meine Schritte zu Anna hinauf. Du schliefst jetzt auf dem Heuhaufen, Aloys, Deine Mutter hatte die Hände auf die Augen gedrückt und saß die Ellenbogen auf den Knieen. Sie sah nicht auf, als ich mich wieder neben sie setzte.

‚Anna,‘ sagte ich leise, ‚wollen wir ihm sein Kind am Leben erhalten? Ich kann es, wenn Du mit mir nach Amerika gehen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_710.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)