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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

alte, stille Herr“, der mir am Hünengrab so völlig unwichtig vorgekommen, den ich gar nicht beachtet hatte. …

Wir mußten lange wandern, ehe wir das herzogliche Schloß erreichten. Ein Lakai eilte voraus, um uns zu melden, und während der Münzenverkäufer in einem Vorzimmer wartend zurückblieb, führte mich mein Vater durch Zimmer und Säle. Er fuhr sich noch einmal mit den Fingern durch das Haar, dann schob er mich leise über die Schwelle der Thür, die der heraustretende Lakai weit zurückschlug.

Da war ja der große Moment gekommen, gegen den sich das ungeschulte Kind der Haide im wohlbegründeten Instinct erfolglos gesträubt hatte – ich debütirte über die Maßen kläglich. Charlotte hatte mir gezeigt, wie ich mich verneigen müsse – du lieber Gott, da machte ja Spitz seine kleinen Künste besser, die ihm Heinz eingelernt hatte! Meine „quecksilbernen Sohlen“ blieben bleischwer an dem Fleck hängen, wohin mich mein Vater geschoben. Ich sah unter tiefgesenkten Lidern hervor nur ein Stück spiegelnden Parquets zu meinen Füßen und hörte das leise Rieseln eines seidenen Gewandes und sagte mir unter aufquellenden und wieder verschluckten Thränen des Grimmes gegen mich selbst, daß ich plump und einfältig dastehe, wie ein grobzugehauenes Götzenbild. … Da schlugen die lieblichen Laute einer sanften, glockenreinen Frauenstimme an mein Ohr – die Prinzessin begrüßte meinen Vater – und fast zugleich berührte ein zarter Finger mein Kinn und hob mein gesenktes Gesicht empor. Nun sah ich auf, und keine steinfunkelnde Krone blendete meine scheuen Augen – ich sah wundervolle, dicke, braune Locken ein zartrosiges Gesicht umwogen, und ein Paar glänzende Augen, so blau wie meine Lieblinge, die Haideschmetterlinge, lächelten auf mich nieder. Ich wußte, daß die Prinzessin nicht mehr jung sein konnte, sie war ja die Tante des regierenden Herzogs und eine Jugendgenossin meiner Mutter, und deshalb meinte ich, die hohe, schlanke Dame mit dem sammtenen Teint und den jugendlich weichen Linien des Profils sei gar nicht die Prinzessin Margarethe. Mein Vater belehrte mich eines Anderen.

„Hoheit überzeugen sich nun selbst, wie recht ich hatte, unumschränkte Nachsicht zu erbitten,“ sagte er – ein verhaltenes Lachen klang in seiner Stimme mit; „mein schüchternes Gänseblümchen hängt rathlos den Kopf –“

„Das wollen wir bald ändern,“ versetzte die Prinzessin lächelnd. „Ich verstehe mich auf den Verkehr mit solch kleinen, ängstlichen Mädchen. … Gehen Sie jetzt, lieber Doctor, der Herzog erwartet Sie. Auf Wiedersehen beim Thee.“

Mein Vater verließ das Zimmer, und ich stand nun, auf mich selbst angewiesen, inmitten der verfänglichen Atmosphäre des Hofes, auf seinem heißen Boden. Jetzt sah ich auch, daß die Prinzessin nicht allein war. Um einige Schritte hinter ihr stand ein hübsches, junges Mädchen – die Prinzessin nannte vorstellend unsere Namen, und so erfuhr ich, daß die Dame ein Hoffräulein sei und Constanze v. Wildenspring heiße. Ehe ich mich dessen versah, hatten mir die flinken Hände des Hoffräuleins Hut und Mantille abgenommen, und ich saß der Prinzessin gegenüber, während sich die junge Dame in der Nähe, hinter einem Fenstervorhang niederließ und eine Stickerei aufnahm.

Wie prächtig verstand es die fürstliche Frau, die Seele „des kleinen ängstlichen Mädchens“ aus dem Bann der Verzagtheit zu erlösen! Sie erzählte mir von dem öfteren Zusammensein mit meiner Mutter an dem engbefreundeten L.’schen Hofe, was das für eine glückliche, lustige Zeit gewesen sei, wie viel Talent und Wissen meine Mutter besessen, und was für wunderhübsche Verse sie gemacht habe. Dabei zeigte sie mir ein in rothen Maroquin gebundenes, dickes Buch – es enthielt Gedichte und ein Drama der Verstorbenen und war kurz vor ihrem Tode erschienen. Manchem anderen jungen Mädchen in meiner Lage würde es vielleicht als ein großes Glück gegolten haben, bei seinem ersten Auftreten am Hofe solch einen günstigen Hintergrund zu finden – ich empfind nichts dergleichen – mit einer Art von schmerzlicher Scheu sah ich auf das Buch; die Gebilde da drin waren ja schuld, daß meiner ersten Kindheit das Sonnenlicht der mütterlichen Liebe gefehlt hatte. Während die Dichterin in den lichten, luftigen Vorderzimmern die Gestalten ihrer Phantasie liebevoll gehegt und gepflegt, hatte die Seele ihres Kindes zwischen vier dumpfen Wänden hungern und darben müssen.

Vielleicht kam der Prinzessin eine Ahnung von diesem Vorgang in meinem Innern – ich hatte ihr ja gesagt, daß ich mich mit dem besten Willen auf das Gesicht meiner Mutter nicht besinnen könne. Unbemerkt lenkte sie das Gespräch auf meinen eigenen Lebensgang – da vergaß ich den letzten Rest von Befangenheit. Ich erzählte und ließ Heinz und Ilse und Mieke und die lustig schreienden Elstern im Eichenwipfel wohlgemuth durch das gefeite Prinzessinnenzimmer spazieren; auch die alte, einsame Föhre rasselte mit ihren Nadeln darein, und aus dem Torfsumpf stiegen die Wassergeister und schleppten die weißen Gewänder mit schwernassem Saum über die nachtstille Haide. Ich ließ auch den Schneesturm um das ächzende Dach des Dierkhofs brausen und saß neben Heinz auf der Ofenbank, während die bratenden Aepfel in der heißen Röhre zischten und spritzten. …

Manchmal fuhr das hübsche Hoffräuleingesicht wie erschrocken unter der Gardine hervor und starrte mich mit spöttischem Erstaunen an; allein das beirrte mich nicht – die großen Augen der Prinzessin strahlten ja immer heller auf und ruhten voll Innigkeit auf mir, sie hörte genau so aufmerksam, ich möchte sagen, athemlos zu, wie Heinz und Ilse, wenn ich auf dem Fleet die Märchenwunder vorlas.

Und von den Eidechsen, den Bienen und Ameisen erzählte ich – sie waren ja meine Spielgefährten gewesen, und ich kannte ihren Haushalt, ihr ganzes Thun und Treiben so vollkommen, wie die Hausordnung auf dem Dierkhof. Ich gestand, daß ich alle Thiere, selbst die kleinsten und häßlichsten, lieb gehabt, weil ja Odem in ihnen gewesen und mit dem schwachen Geräusch ihrer Stimmen und Bewegungen ein Hauch von Leben durch die tiefe Haideeinsamkeit gegangem sei. … Ich weiß nicht mehr, wie es kam, aber plötzlich reihte sich auch das große Hünenbett meiner Schilderung an – ich saß auf seinem Rücken, zwischen den gelben Ginsterblüthen, und sang, die Arme um die Kniee gelegt, in die unermeßliche Weite hinaus.

Die Prinzessin griff auf einmal nach meinen Händen, zog mich zu sich hinüber und küßte mich auf die Stirn.

„Ich möchte wohl wissen, wie die einsame Mädchenstimme in der Haide geklungen hat,“ sagte sie.

Wohl schauerte ich in mich zusammen vor Schreck und Scheu bei dem Gedanken, daß meine Stimme an diese vier Wände schlagen sollte; aber es war auch eine Art von Verzauberung über mich gekommen – hatte ich mich doch schon überwunden und einen Theil meines Kinderlebens ausgekramt. Ich nahm all’ meinen Muth zusammen und sang ein kleines Lied.

Einmal, mitten im Singen, fuhr ich zusammen – die grauen Hoffräuleinaugen glommen und schillerten so wunderlich unter dem Seidenbehang hervor; ich mußte unwillkürlich an die Hauskatze des Dierkhofs denken, wie sie den armen zwitschernden Vogel auf dem Ebereschenbaum grünfunkelnden Auges anstierte – ei, was lag mir denn an dem Mißfallen der kleinen Dame! Ich sang ja nicht für sie, deshalb sollte meine Stimme ganz gewiß nicht zittern – ich ließ sie voller anschwellen und sang muthig zu Ende.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Abend am Rhein.

Seit einem Jahrhundert und länger noch haben Maler und Dichter die Schönheiten und den Zauber des Rheinthals geschildert und gepriesen, und in der That übt eine große Strecke desselben einen Zauber auf den Besucher, ja selbst auf den empfänglichen Anwohner aus, wie kaum ein anderer Landstrich unseres Vaterlandes. Großartigere Gegenden giebt es viele, höhere Berge, schroffere Felsen, wilderes Wasser, schönere Wälder, üppigere Fluren; kaum aber dürften sich anderswo alle die Reize der Landschaft, der durch Geschichte und Sage berühmten Oertlichkeit, einer eigenthümlichen Landescultur und selbst des Klimas so vereinigt finden, wie im Flußthal unseres deutschesten Stromes.

Von Mainz hinab bis Bonn bieten die Ufer, zwischen denen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_716.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)