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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


No. 47.   1871.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Das Haideprinzeßchen.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


„Schnell, schnell, Kind, die Prinzessin will Sie sehen!“ rief Charlotte ungeduldig. „Sie sind nicht bei Trost, sich einzuschließen und in eine wahrhaft ägyptische Finsterniß zu vergraben, und das Alles, weil Sie eine hausbackene Moralpredigerin losgeworden sind! … Gehen Sie doch mit Ihrer Sentimentalität!“

Sie fuhr mit den Fingern durch das Haar und zupfte mein arg gedrücktes Kleid zurecht, und der Arm, der sich um meine Taille legte, dirigirte so kräftig, daß ich mich sehr rasch auf dem Weg nach dem Vorderhause befand.

„Ich war mit Dagobert zufällig im Garten, als die Prinzessin nach den Treibhäusern ging,“ erzählte sie in fast nachlässiger Weise – bei all meiner Naivetät und meinem unbedingten Glauben an Alles, was sie sagte, sah ich doch ein wenig zweifelhaft an der ausgesuchten Eleganz nieder, in welche sie sich „zufällig“ gehüllt hatte – „und was sagen Sie dazu, Ihr zerstreuter Papa, der mich sonst schlechterdings nicht vom alten Erdmann zu unterscheiden vermag, hat es unternommen, uns vorzustellen, und denken Sie sich, es ging – es ging wirklich ganz vortrefflich, er hat mich nicht einmal mit Dagobert verwechselt!“

Das war wieder der alte, übermüthige Ton, der mich durch seine überlegene Sicherheit stets einschüchterte.

„Onkel Erich ist auch zwischen die Hofgesellschaft gerathen – natürlicherweise sehr gegen seine Absicht,“ fuhr sie fort; „er ließ gerade an der Felsenpartie im großen Warmhause etwas ändern, als die Prinzessin mit uns eintrat. Ich bin überzeugt, er verwünscht bereits in tiefster Seele die Localblätter unserer guten Residenz, die morgen den Besuch Ihrer Hoheit im Claudius’schen Etablissement des Langen und Breiten bringen werden – aber davon merkt man selbstverständlich Nichts; er hat sich mit aller Ruhe und Gelassenheit seiner Bürgertugenden umgürtet und sieht aus, als beehre er die hohe Gesellschaft. … Lächerlich, ich glaube gar, das imponirt der Prinzessin – sie hat womöglich an jedem Blümchen gerochen und ist nun nach dem Vorderhause gegangen, um das gesammte Etablissement pflichtschuldigst und gründlichst zu begucken – die gräßliche Hinterstube zum Beispiel. … Brr – na, das ist Geschmackssache!“

Wir betraten gerade die Hausflur, als die Prinzessin die Hinterstube verließ. Sie ging an Herrn Claudius’ Seite und hielt ein prachtvolles Bouquet in der Hand.

„Wo hat Haideprinzeßchen gesteckt?“ fragte sie und drohte mir lächelnd mit dem Finger. … Ach, Charlotte hatte bereits Gelegenheit gefunden, sie mit dem mir octroyirten Titel bekannt zu machen!

„In einem stockfinsteren Zimmer, Hoheit,“ antwortete die junge Dame an meiner Stelle. „Die Kleine ist traurig, weil sie sich heute von ihrer alten Magd trennen mußte.“

„Ich möchte Dich doch bitten, Frau Ilse anders zu bezeichnen, Charlotte,“ sagte Herr Claudius. „Sie hat Fräulein von Sassen an Liebe und treuer Sorge jahrelang die Mutter zu ersetzen gesucht.“

„Nun, dann verdient sie auch, daß Sie sich die Augen so roth geweint haben,“ sagte die Prinzessin liebreich zu mir und küßte mich auf die Stirn.

Fräulein Fliedner kam in diesem Augenblick mit einem rasselnden Schlüsselbund feierlich die Treppe herunter und meldete unter einer tiefen Verbeugung, daß Alles aufgeschlossen sei. Das alterthümliche Kaufmannshaus interessirte die Prinzessin lebhaft, sie wünschte, auch die obere Etage zu sehen, nachdem ihr Herr Claudius gesagt hatte, daß die Einrichtung zum größten Theil seit langen Jahren unangetastet geblieben sei. … Und jetzt trat auch mein Vater mit Herrn von Wismar und der Hofdame lachend aus Fräulein Fliedner’s Zimmer; sie hatten sich den mit Raritäten vollgestopften Glasschrank angesehen.

Meine Augen folgten unwillkürlich Herrn Claudius, als er neben der fürstlichen Frau langsam die Treppe hinaufstieg. Charlotte hatte Recht – in seiner stolzen Zurückhaltung und Würde sah „der Krämer“ aus, als beehre er die hohen Gäste, und mir war es plötzlich, wie wenn dieser Nimbus ungesuchter Hoheit auch über das alte finstere Haus seiner Väter flösse, über die gewaltigen Steinwölbungen, von denen jedes Wort, jeder Schritt majestätisch widerhallte, und die breite, massive Treppe mit dem wuchtigen, und doch so feingeschwungenen und gemeißelten Geländer.

Es waren freilich altbürgerlicher Geschmack und kaufmännisch praktischer Sinn gewesen, welche die Einrichtung der oberen Zimmer ausgewählt und „für alle Zeiten“ angeschafft hatten. Himmelweit entfernt von der sinnlich heiteren Pracht, welche die Karolinenlust charakterisirte, strotzten sie von innerem Reichthum. Da sah man keine hochaufspringenden Polster unter gleißenden, üppig weichen Atlasbezügen; aus den kostbarsten Holzarten geschnitzt, aber ungraciös, eckig und geradlinig, wie der starre Nacken Derer, die einst hier gehaust, standen die Geräthschaften umher,

und von den Wänden blickten statt der Schelmenaugen nackter,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_777.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)