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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

neue feste Stütze in das Fundament der maßlos beneideten hohen Kaste; denn wir Geschwister sind durch und durch aristokratisch gesinnt. … Aber gerade deshalb sollen wir nie erfahren, wer uns das Leben gegeben hat – Herr Claudius will das Wappenschild an dem alten Krämernamen nicht dulden.“

Das Gesicht der Prinzessin wurde plötzlich weiß wie Wachs. Sie hob hastig unterbrechend die Hand und deutete nach Lothar’s Bild. „Und weshalb wollten Sie mir das Alles gerade unter dem Schutze dieser Augen sagen?“ stieß sie mit völlig veränderter heiserer Stimme heraus.

„Weil es die Augen meines lieben Vaters sind – Hoheit, ich bin seine Tochter!“

Die Prinzessin taumelte zurück und hielt sich an der Tischecke.

„Lüge, abscheuliche Lüge! … Sagen Sie das nicht noch einmal!“ schrie sie auf – wie entsetzlich veränderte sich das liebliche Gesicht, wie hart und eckig hob sich der drohende Arm! – „Ich dulde keinen Flecken auf seinem Namen! … Claudius war nie verheirathet, nie – das weiß die ganze Welt! … Er hat nicht einmal geliebt, nie geliebt – o mein Gott, nur diesen einen Trost raube mir nicht!“

„Hoheit“ –

„Schweigen Sie! … Wollen Sie wirklich behaupten, daß er sich vergessen habe, der stolze, unnahbare Mann? … Und wenn – o Gott im Himmel, es ist ja nicht wahr – aber wenn auch, möchten Sie in der That auf Rechte pochen, die Sie einer augenblicklichen Verirrung, nicht aber der Liebe danken?“

Mit welch beißendem Hohn warfen die schmerzhaft zuckenden Lippen diese Worte hin! … Charlotte war sprachlos vor Bestürzung in sich zusammengesunken; die Beleidigung aber traf sie wie ein Schlag in das Gesicht und gab ihr die Fassung zurück.

„Er habe nie geliebt?“ fragte sie. „Wissen Hoheit nicht, weshalb er freiwillig in den Tod gegangen ist?“

„Aus plötzlicher Schwermuth – er war krank – fragen Sie Alle, die ihn gekannt haben,“ murmelte sie und legte die Hand über die Augen

„Ja, er war krank, er war wahnsinnig vor Verzweiflung über den Tod –“

„Ueber wessen Tod? Ha, ha, ha!“

Charlotte sank abermals auf den Boden und umfaßte mit hervorstürzenden Thränen namenloser Angst die Kniee der Prinzessin.

„Hoheit, ich beschwöre Sie, hören Sie mich nur einen Augenblick ruhiger an!“ flehte sie. „Ich bin bereits zu weit gegangen, um zurückweichen zu können. Ich muß die Wahrheit sagen, schon um meines Bruders willen, denn ich darf nicht dulden, daß Sie in dem Glauben beharren, wir seien illegitime Kinder. … Lothar von Claudius war verheirathet – in geheimer, aber von der Kirche eingesegneter, rechtmäßiger Ehe hat er in der Karolinenlust gelebt – da sind wir geboren.“

„Und wer war die Glückliche, die er so heiß geliebt hat, daß er um ihretwillen gestorben ist?“ fragte die Prinzessin mit unheimlicher Ruhe – wie eine Statue von Marmor stand sie da, und die Worte zischten klanglos von ihren Lippen.

„Ich finde nicht den Muth, ihren Namen auszusprechen,“ stammelte Charlotte wie erschöpft. „Hoheit haben meine Mittheilungen zu ungnädig aufgenommen – ich darf nicht weiter gehen! … Der Mann da drüben,“ sie deutete über die Schulter zurück nach ihrem Zimmer, „darf vorläufig nicht erfahren, daß ich um das Geheimniß weiß – haben wir doch ohnehin unseren Anker verloren, da Hoheit sich von uns verfolgten und verlassenen Geschwistern abwenden. … Ich habe vorhin bei jedem heiligen Wort, bei jedem Laut angstvoll gezittert und gefürchtet, daß sie dort hinüber dringen würden. … Ich weiß es, Sie werden den Namen nicht mit Ruhe anhören –“

„Wer sagt Ihnen denn das, Fräulein Claudius?“ unterbrach sie die Prinzessin sich hoch aufrichtend – die letzten Worte Charlottens hatten genügt, den ganzen Fürstenstolz in ihr wach zu rufen. – „Sie sind auf völlig falschem Wege, wenn Sie meiner augenblicklichen Hast einen anderen Grund, als den einer allerdings maßlosen Ueberraschung zuschreiben! … Was geht es mich schließlich an, wer die Frau gewesen ist? … Ich würde es Ihnen erlassen, den Namen zu nennen, wenn ich nicht gerade beweisen möchte, daß ich ihn sehr ruhig anhören kann; und somit befehle ich Ihnen, Ihre Bekenntnisse mit dem Namen zu schließen!“

„Nun denn, ich gehorche Hoheit!     Die Frau war die Prinzessin Sidonie von K.“ –

Sie hatte sich vermessen, die stolze Fürstin! Sie hatte gewähnt, sie könne das verächtliche Lächeln auf den Lippen festhalten, das Blut gebieterisch in die Wangen beschwören, wie auch der Name lauten mochte – und jetzt fiel er wie ein Blitzstrahl auf ihr Haupt, und sie sank mit versagenden Blicken an die Wand zurück und stöhnte auf, als sei ihr ein Messer durch die Brust gestoßen worden.

„Das ist wohl der grausamste Betrug, dem je ein Frauenherz verfallen mußte!“ hauchte sie. „Pfui, pfui, wie schwarz und falsch!“

Charlotte wollte sie stützen.

„Fort! Was wollen Sie?“ zürnte sie und stieß die Hände des jungen Mädchens zurück. „Ein Dämon muß Ihnen den teuflischen Gedanken eingegeben haben, mich, gerade mich zu Ihrer Vertrauten zu machen! … Gehen Sie! Ich gebe Ihnen Ihr Geheimniß wieder in die Hände – ich will Nichts gehört haben, Nichts! Denn ich kann und werde mich nie damit befassen, Ihnen zu Ihren sogenannten Rechten zu verhelfen!“

Sie richtete sich empor, war aber genöthigt, sich sofort wieder am Tisch festzuhalten. „Haben Sie die Güte, mein Gefolge herbeizurufen – mir ist sehr übel!“ gebot sie mit erlöschender Stimme.

„Verzeihung, Hoheit!“ rief Charlotte außer sich.

Die Prinzessin zeigte wortlos und gebieterisch nach der Thür, während sie in den nächsten Fauteuil sank. Charlotte flog über die Schwelle, und sofort füllte sich der Salon mit bestürzt herzueilenden Gestalten. Auch die Musik riß mit einem schrillen Accord ab – Herr Claudius kam herüber.

„Ein altes Leiden hat mich plötzlich überrascht,“ sagte die Prinzessin matt lächelnd zu ihm. „Ich habe Herzkrampf. Wollen Sie mir Ihren Wagen leihen? Ich kann unmöglich warten, bis der meine kommt.“

Er eilte hinaus, und nach wenigen Minuten führte er die hohe Leidende die Treppe hinab. Sie stützte sich fest auf ihn; die Art und Weise aber, mit welcher sie sich von ihm verabschiedete, bewies, daß Charlottens Mittheilungen auch nicht den allermindesten Einfluß auf ihre Hochachtung für ihn ausgeübt hatten.

(Fortsetzung folgt.)




Briefe eines Wissenden.

Dritter Brief. Hoher Adel. Die Herzöge von Ujest und Ratibor. Adelige Speculationen und Heirathen.

Wenn man über den preußischen Adel und sein Dichten und Trachten urteilen will, so verlangt die Gerechtigkeit, eine strenge Grenze zu ziehen zwischen den zahlreichen Mitgliedern dieses Standes, welche als Besitzer von Landgütern mit Fleiß und Umsicht der Bestellung von Grund und Boden ihre Kraft und Fähigkeiten widmen oder im Dienste des Vaterlandes ihre Kenntnisse und Gaben verwerthen, und denjenigen Herren von Adel, welche als Drohnen im Bienenkorbe des Staats nur genießen, aber nicht arbeiten, Geld erwerben, aber nicht verdienen wollen. Es liegt mir sicherlich sehr fern, einen ganzen Stand anzugreifen, weil vielleicht der größere Theil seiner Angehörigen sich zu abweichenden politischen Anschauungen bekennt, und ich werde mit jedem billig denkenden Manne niemals außer Acht lassen, daß der würdigere Theil des Adels keine von der übrigen Nation geschiedene Gesellschaftsclasse bildet, sondern an den Ehren und den Neigungen des Volks ebenso theilnimmt, wie er sein Genosse in der Arbeit ist. Ich fasse hier jene andere geldgierige Art von Edelleuten in’s Auge, welche ich in zwei Lager scheiden möchte, in deren eines diejenigen von ihnen zu verweisen sein werden, welche schon Reichtümer in beträchtlichem Maße besitzen, deren aber ohne Mühe noch mehr anzuhäufen suchen, während in dem andern die große Zahl der Mittellosen auf einen Sonnenblick des Schicksals harrt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_832.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)