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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

ich es damals in den ersten Momenten der Aufregung. Nach einigen Minuten des Schweigens konnte ich wieder die Stimme meines Wirthes vernehmen:

„So! nun reiche mir auch den Kopf herauf, dann den Rumpf. Es ist gut, daß wir die beiden Beine abgelöst haben, denn so können wir ihn besser verstecken.“

Welche Entdeckung! Entsetzlich! In diesem Augenblick gelang es mir, einen der Schieber der Jalousien loszumachen und einen Ausblick nach außen zu gewinnen. Ich sah meinen Wirth in seinen dicken Paletot gehüllt, mit der weißen Nachtmütze auf dem Kopfe, auf einer Leiter stehend, unmittelbar vor der Oeffnung des ausspringenden Erkers, die nach dem Bodenraum des Schuppens führte; in seiner Hand hielt er ein bleiches menschliches Todtenhaupt, das er in die Oeffnung des Erkers verbarg; unten an der Leiter stand eine zweite männliche Gestalt, deren Umrisse aber zu sehr im Dunkel der Nacht verschwanden, als daß ich sie genau hätte unterscheiden können; aber das sah ich ganz klar und bestimmt, wie diese Gestalt dem auf der Leiter Sitzenden jetzt ein nacktes Menschenbein hinaufreichte, dann ein zweites und zuletzt den Rumpf eines menschliche Körpers. Dann verschwand der Greffier oben in der Oeffnung, um diese Theile des menschlichen Körpers wahrscheinlich zu verstecken; nach zehn Minuten erschien er wieder und sagte, die Leiter herabsteigend, zu dem unten Harrenden:

„So! nun ist’s geschehen, nun sollen sie ihn hinter Heu und Stroh suchen.“

Darauf gingen sie Beide in das Haus zurück. Ich war in der größten Aufregung. Alles, was ich gehört, was ich gesehen hatte, ließ mich auf ein entsetzliches Verbrechen schließen, auf einen Meuchelmord, den man an einem unserer Soldaten begangen hatte, und dessen Spuren man in den einzelnen Körpertheilen, in den Monturstücken zu verbergen bemüht war. Ueber die Richtigkeit dieser meiner Auffassung glaubte ich keinen Augenblick mehr in Zweifel sein zu können. Was sollte ich in dieser Lage thun? Lärm machen und die Sache an betreffender Stelle gleich zur Anzeige bringen? Das wäre unter den gegebenen Verhältnissen eine Unklugheit gewesen. Ich befand mich in einem fremden Hause, das jedenfalls gut verschlossen war und aus dem ich ohne Hülfe meines Wirthes nicht hätte hinauskommen können. Wie leicht hätte dieser meine Absicht wittern können! Was dann geschehen wäre, wer hätte Solches nach den Vorgängen, deren Zeuge ich war, vorausbestimmen können? Der Greffier hatte noch einen Spießgesellen bei sich, von dessen Dasein im Hause ich noch keine Ahnung gehabt, und ich war allein und ohne Waffen. Das Gerathenste war also, alle weiteren Schritte auf den nächsten Morgen zu verschieben, aber daß ich in dieser Nacht der Erquickung durch den Schlaf wenig mehr theilhaftig wurde und daß die kurzen Perioden desselben von den tollsten Träumen durchtobt waren, das wird mir Jedermann gern glauben. Am Morgen stand mein Entschluß fest: ich wollte die Sache beim Obercommmando zur Anzeige bringen. Ehe ich aber diesen Schritt that, wollte ich mich noch einiger Einzelnheiten versichern, namentlich mich in der Localität ganz genau orientiren, vor Allem aber meinen Wirth selbst noch beobachten; dieses konnte aber nur beim Frühstück geschehen, wo ich mit ihm zusammentreffen mußte. Ein günstiger Umstand kam für mich hinzu, daß vor Beginn desselben neue Einquartierung, sechs Mann und dazu ein Unterofficier, im Hause eintrafen. Die Leute frühstückten in einem eignen Zimmer, Letzterer mit dem Herrn des Hauses. Dieser Succurs war mir sehr angenehm.

Ich betrat mit dem Unterofficier das Eßzimmer, natürlich ohne von den Entdeckungen, die ich in dieser Nacht gemacht hatte, vorläufig das Geringste zu erwähnen. Die Anwesenheit eines Landsmannes aber konnte mich dem Wirthe gegenüber nur sicherer und in meinen Nachforschungen rückhaltsloser machen. Im Eßzimmer war zu meiner Ueberraschung außer meinem Quartiergeber noch ein zweiter Herr anwesend, ein Geistlicher, den mir der Greffier als seinen Bruder vorstellte. In ihm erkannte ich den Helfershelfer. Also auch das geistliche Gewand hatte sich mit Blut befleckt und vor mir hatte ich keinen Diener Christi mehr, sondern einen Wahnsinnigen, dem der Fanatismus die Mordwaffe in die Hand gedrückt hatte! Das waren meine Gedanken, als mir das neue Mitglied dieses würdigen Hauses vorgestellt wurde. Es war ein furchtbar peinliches Gefühl für mich, mit Leuten an einem Tische sitzen zu müssen, deren Hand in meiner Phantasie noch vom Blute rauchte, und wenn mein Wirth mit gieriger Hand einen Kaninchenschenkel aus der Platte nahm – Kaninchen gab es immer und die Schenkel schien er sich mit Vorliebe auszusuchen –, so hatte ich immer das Bild vor mir, wie er oben in der weißen Nachtmütze auf der Leiter stand und das Todtenhaupt in der Hand hielt. Diesen Eindruck konnte ich nicht loswerden, dadurch wurde ich wortkarg, und je weniger ich sprach, desto mehr suchte der Greffier die Unterhaltung zu beleben. Er brachte alle möglichen Themata auf’s Tapet und zuletzt kam er auf die nächste und natürlichste Frage, wie ich geschlafen habe?

„O, nicht sehr gut!“ war meine Antwort. „Ich wurde im Schlafe durch Stimmen gestört.“ Bei diesen Worten konnte ich bemerken, wie das blasse Gesicht des Greffiers noch blässer wurde und er mit seinem Bruder einen bedeutungsvollen Blick wechselte. „Ich glaube sogar ganz sicher, Ihre Stimme erkannt zu haben,“ fuhr ich fort.

„Die meine?“ versetzte stotternd mein Wirth und der Bissen, den er sich genommen hatte, blieb ihm im Halse stecken, so daß er laut zu husten anfing, feuerroth wurde und ein paar Minuten hingingen, bis er wieder sprechen konnte. „Verdammt, es ist mir ein Stück Fleisch in den Kehlkopf gekommen. Das Fleisch ist heute so hart; finden Sie es nicht auch? Essen Sie überhaupt die Kaninchen gern?“

Diese malitiöse Frage versetzte mich in eine gelinde Wuth und ich beschloß, ihn dafür zu strafen.

„Ja, Ihre Stimme glaubte ich ganz deutlich erkannt zu haben,“ wiederholte ich, ohne auf die von ihm beabsichtigte Ablenkung vom Gespräche einzugehen. „Ich konnte sogar noch eine zweite unterscheiden, jedenfalls“ – wandte ich mich an den Geistlichen – „wird es die Ihrige gewesen sein, denn nur Sie Beide befanden sich während dieser Nacht in dem Hofe.“

„Sie haben gesehen?“ versetzte mit dem Ausdrucke des Entsetzens der Geistliche.

„Aber die Jalousien waren doch ganz fest verschlossen!“ sagte fast zu gleicher Zeit mein Wirth und dabei konnte ich ihm ansehen, wie sehr er im nächsten Augenblick diese Worte, die ihn verriethen, bereute.

„Ich bin überzeugt,“ fuhr ich fort, „daß Sie alle Ursache hatten, bei dem Werke, was Sie in dieser Nacht vorhatten, keine Zeugen zu haben, und die Persiennes recht fest verschlossen zu halten – aber ich habe das kleine Brett doch losgekriegt.“

Vielleicht wäre ich in meinen Enthüllungen nicht so weit gegangen, ohne die bereits erwähnte Anreizung, ohne den deutschen Vaterlandsvertheidiger, der an meiner Seite saß, sich das Frühstück ganz gut schmecken ließ und jetzt nur über die plötzliche Veränderung in den Mienen der zwei Franzosen etwas befremdet ward. Von dem Inhalte unserer Conversation verstand er nichts, da wir französisch sprachen und er mir vorher erklärt hatte, daß er nur einige Worte Französisch wisse.

„O mein Herr, um des Himmels willen, sagen Sie nichts, verrathen Sie nichts, sonst ist Alles verloren,“ stammelte der Geistliche.

„Wie, mein Herr?“ rief ich entrüstet aus, „Sie können auch noch glauben, daß ich eine so verruchte That mit Schweigen übergehe, daß ich dadurch zu Ihrem Verbrechen auch noch ein zweites begehen würde?“

„Verbrechen?“ wiederholte der Greffier mit langgezogenem Tone und verblüfften Mienen. „Das gerade nicht – die Sache ist in der besten Absicht geschehen.“

Das war denn doch zu viel! Einen Menschen zu tödten, zu zerstückeln, darin wollten diese Menschen noch eine gute Absicht erblicken. Freilich bei der Verwirrung alles gesunden Gefühls, die damals im französischen Volke herrschte, konnte das nicht Wunder nehmen. Ich fand in diesem Augenblicke keine Worte, um meine Entrüstung laut werden zu lassen und es war auch sehr gut, denn dadurch wurde ich abgehalten, mir den Franzosen gegenüber eine Blöße zu geben.

„Wirklich in der besten Absicht, wie mein Bruder sagt,“ nahm der Geistliche das Wort. „Die Sache hängt so zusammen. Mein Bruder benachrichtete mich gestern Morgens, daß unser berühmtes Kunstwerk, das Ziel der Andacht von Tausenden aus der Umgegend, in Gefahr sei.“

„Ja, mein Herr,“ fügte der Greffier bei, indem er sich an

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 839. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_839.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)