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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

und zeigt demselben das Modell des von ihm erfundenen Gegenstandes. Der Boutiquier betrachtet dieses lange hin und her, schüttelt schweigend den Kopf und hat allerlei Einwendungen zu machen. Versteht er sich endlich dazu, den Verschleiß zu übernehmen, so schöpft er den Rahm ab und der Erfinder ist am Ende froh, wenn er nur eine Kleinigkeit über seine Auslagen verdient.

Der Boutiquier ist ein geriebener Mann und hütet sich, die neue Erfindung vor Anfang December auszustellen; denn er fürchtet nicht ohne Grund, daß der Gegenstand, besonders wenn er sich durch Originalität auszeichnet, von Anderen nachgeahmt werde. Die Ausstellung beginnt erst vierzehn Tage vor Weihnachten und dauert bis vierzehn Tage nach Neujahr. Innerhalb dieser fünf Wochen muß er sein Geschäft machen. Der Arbeiter aber denkt bald wieder an eine neue Erfindung, da die alte mit einigen geringen Abänderungen von Anderen in den Handel gebracht wird. Außerdem mag und kann er auch nicht wieder die hundert Franken auftreiben, um das alte Patent nach Jahresfrist erneuern zu lassen. Tausend und aber Tausend dieser Arbeiter kämpfen auf diese Weise mit Noth und Elend, während sich die Krämer mit deren sauerm Schweiß bereichern.

Unter diesen Arbeitern giebt es viel Deutsche. Es giebt aber auch viel Deutsche unter den Erfindern, die nach Paris kommen in der festen Ueberzeugung, durch ihre Erfindung die Welt aus den Angeln zu heben. Sie verfallen oft in die furchtbarsten Drangsale, ohne jedoch dadurch ihre Illusionen zu verlieren. Nicht selten werden sie sogar die Opfer ihrer Erfindung. So erinnere ich mich eines Mannes, der vor einer Reihe von Jahren sich bei mir mit einem Empfehlungsbrief einführte. Er hatte eine neue Schießwaffe erfunden, die, wie er behauptete, schneller und entschiedener umbringe als die bisherigen. Der Mann war mir viel sympathischer als seine Erfindung. Er war ein äußerst sanftes Naturell, und ich konnte gar nicht begreifen, was ihn auf den Gedanken gebracht, der Menschheit die Mordgelüste zu erleichtern. Eines Tages stellt er sich bei mir im Sonntagsfrack und weißer Weste strahlenden Angesichts ein und theilt mir mit, daß es ihm gelungen, die Bekanntschaft eines sehr einflußreichen Generals zu machen. Derselbe wünsche die Waffe zu sehen, um diese, wenn sie seinen Erwartungen entspräche, dem Kriegsminister zu empfehlen. Der General wohnte in den Tuilerien, und der Erfinder, der kein Französisch verstand, bat mich, ihn dahin zu begleiten und dort den Dolmetsch zu machen. Ich konnte ihm die Bitte nicht abschlagen und wir machten uns auf den Weg. Schier hätten wir aber das Rendezvous versäumt. Der Erfinder hatte nämlich keine Handschuhe; seine Hände waren aber so riesig, daß, wenn er sie den Verkäuferinnen zeigte, dieselben lächelnd den Kopf schüttelten. Für eine solche Hand war die höchste Nummer noch um viele Nummern zu niedrig. Ich rieth ihm endlich, auf die Glacéhandschuhe zu verzichten und zu weißen hirschledernen seine Zuflucht zu nehmen. Er befolgte meinen Rath und versah sich mit Gendarmenhandschuhen, die indessen trotz ihrer Solidität sich anstrengen mußten, nicht zu platzen. Der Luxus des schwarzen Fracks, der weißen Piquéweste und der weißen Gendarmenhandschuhe war leider umsonst. Der General, der in einer wichtigen Angelegenheit beschäftigt war, konnte den Erfinder nicht anhören und vertröstete ihn auf einen andern, noch zu bestimmenden Tag. Der arme Mann zog verdrießlich die gewaltigen Handschuhe aus, heiterte sich jedoch bald wieder auf und versicherte mich auf dem Rückwege zu wiederholten Malen, daß man ihn binnen Kurzem zu den Millionären zählen würde. Es gelang ihm endlich, mehrere angesehene Personen zu gewinnen, die sich durch eigene Anschauung von der Wirkung der Schußwaffe überzeugen wollten. Die Zusammenkunft fand wirklich statt; aber sie hatte keine günstige Folge für den Erfinder. Nach dem zweiten Schusse sprang die Waffe in kurze Stücke und ein Splitter hätte beinahe einem der Anwesenden, einem bedeutenden Capitalisten, die Nase weggerissen. Der unglückliche Erfinder wurde natürlich mit den entsetzlichsten Vorwürfen überhäuft. Er verließ bald darauf Paris, um in London sein Glück zu versuchen. Ich habe gehört, daß ihm dort bei einem seiner Versuche die rechte Hand zerschmettert wurde.

Ein anderer Landsmann glaubte einen Dünger erfunden zu haben, vermittelst dessen das Getreide und die Knollenfrüchte sich einer außerordentlichen Entwickelung erfreuen sollten. Nachdem er sich in Deutschland vergebens bemüht hatte, sein Geheimniß zu verkaufen, kam er nach Paris und eröffnete hier eine Ausstellung der durch seine Erfindung erzielten Producte. Da sah man neben ellenhohen Korngarben riesige Kartoffeln, gelbe, weiße und rothe Rüben von kolossalem Umfang, und Rettige, die wie geschwänzte Vierundzwanzigpfünder aussahen und mit denen man eine Festung hätte beschießen können. Das Publicum, und ganz besonders das weibliche, betrachtete mit Verwunderung das ungeheuerliche Gemüse und sagte dem Erfinder, einem schönen ehrwürdigen Greise, die süßesten Schmeicheleien. Auch viele Blätter sprachen einige Zeit von dieser Ausstellung. Nach und nach aber verstummte die Presse, und der Erfinder verschwand für immer mit seinen ellenhohen Cerealien und seinen gigantischen Rüben und Rettigen. Was aus ihm geworden, wüßte ich nicht zu sagen, ebenso wenig, warum seine Erfindung nicht mehr Glück gemacht.

Eines Tages stellt sich bei mir ein verschrumpftes, verhutzeltes, kahlköpfiges Männchen ein. Niemals ist mir eine putzigere Gestalt vorgekommen. Alles war klein an ihm, bis auf die Nase, die aus dem faltenreichen Gesichtchen spitz und keck hervorsprang. Der Kleine trug unter dem Arme eine Mappe, die er, sobald er in’s Zimmer getreten war, ohne Weiteres auf meinen Schreibtisch warf. Er begann eine lange und ziemlich verworrene Rede, die gegen die Niederträchtigkeit der Menschheit gerichtet war. Ich benutzte den Augenblick, in welchem er seinen verlorenen Athem suchte, um ihn zu fragen, warum er die Menschheit hasse und was ihn bewege, mich von dieser seiner unedlen Leidenschaft in Kenntniß zu setzen. Er erwiderte nichts, sondern öffnete die Mappe und zeigte mir eine Reihe langer Tabellen, auf denen Ziffern, Buchstaben und Sylben in den verschiedensten Farben zu sehen waren. Ich konnte nicht daraus klug werden und richtete einen fragenden Blick auf den Kleinen.

„Das sind die Grundzüge meiner Erfindung,“ antwortete er.

„Und Ihre Erfindung?“ fragte ich.

„Wenn Sie die Tabellen genau betrachten,“ sagte er, „werden Sie finden, daß ich das große Problem einer Universalsprache auf’s Glücklichste gelöst habe. Was Niemandem vor mir gelungen, habe ich durch dreißigjährige Anstrengung zu Stande gebracht. Hier,“ rief er, auf die Tabellen deutend, „ruht die Zukunft der Menschheit. Aber sie ist meiner Anstrengung nicht werth!“

„Und warum nicht?“ fragte ich.

„Seit fünf Jahren,“ erwiderte er, „habe ich bei allen Buchhändlern, bei allen Buchdruckern angeklopft; aber Keiner will mein Werk verlegen; Keiner will es drucken.“

Ich gab ihm zu verstehen, daß ich weder Drucker, noch Verleger sei und daher sein unsterbliches Werk nicht der Oeffentlichkeit übergeben könne.

Er sprach nun wieder eine Weile laut und heftig, und der langen Rede kurzer Sinn war, daß ich mich an die großen Capitalisten wenden solle, um die zum Druck nöthige Summe aufzutreiben.

„Mein Herr,“ sagte ich, „den großen Capitalisten ist Ihre Erfindung höchst gleichgültig, da dieselben längst eine Universalsprache besitzen. Ein Goldstück ist ein wohlklingendes Wort, das man in allen Ländern versteht; ein Hundertfranken-Billet ist dem Deutschen wie dem Spanier, dem Russen wie dem Türken gleich verständlich; eine Banknote von tausend Franken ist eine prachtvolle Phrase, mit der man in aller Herren Ländern seine Wünsche leicht ausdrücken und befriedigen kann, und tausend solcher Tausend-Franken-Banknoten bilden ein kostbares Wörterbuch, durch welches dem Besitzer alle philologischen Studien höchst überflüssig werden.“

„Sie spotten meiner!“ rief der Kleine mit einen stechenden Blick.

„Durchaus nicht! Aber ich bin überzeugt, daß Sie von dieser Seite nichts zu hoffen haben.“

Der Erfinder klappte zornig seine Mappe zu, schob dieselbe heftig unter den Arm, und als er an der Thür war, rief er: „Ich habe mich auch in Ihnen getäuscht. Sie sind nicht besser als die Anderen. Aber wenn sich auch Neid und Mißgunst gegen mich verschwören, ich werde doch endlich durchdringen.“

Mit diesen Worten eilte er davon.

Das Sonderbarste an diesem Erfinder einer Universalsprache war, daß er in seiner Muttersprache die abscheulichsten grammatikalischen Schnitzer machte.

Ein anderer Landsmann, der seit Jahren in Paris keuchend dem Glücke nachjagte, ohne es zu erhaschen, besucht mich eines

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 869. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_869.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)