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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)



No. 1.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Zum neuen Jahr!

Von Emil Rittershaus.


Du Jahr des Ruhms, der deutschen Ehre,
Wir steh’n an deines Grabes Rand.
Dir sang das Knattern der Gewehre
Das Wiegenlied; vom Fels zum Meere

5
Hat ihre Aeste ausgespannt

Die deutsche Eiche. Ruhig wohnen
Im Wipfel mag der mächt’ge Aar,
Doch schwer erkauft sind deine Kronen,
Du blutgetauftes Schlachtenjahr!

10
 Schlaf’ ein!


Ein Jahresschluß, ein Rückwärtsschauen! –
Wie mancher schläft in Welschlands Grund,
Begraben fern der Heimath Auen! –
Die Thräne fällt vom Aug’ der Frauen,

15
Der Vater beißt die Lippe wund

Und seufzt: „Auch Er war von den Braven!
Mit Stolz gedenk’ ich heute sein –
Wann aber wird mein Kummer schlafen?
O ew’ger Gott, wann schläft er ein!“ –

20
 Schlaf’ ein!


Ein einig Reich, der Traum der Alten,
Das deutsche Reich, nun ist’s erneut!
Der Geist der Freiheit mög’s erhalten,
Doch weh’, ich seh’s vom Haß zerspalten,

25
Der frech der Zwietracht Samen streut.

Frei sei die Meinung, frei die Rede,
Doch bleibe ferne, was gemein!
Mit gift’gen Waffen führst die Fehde
Nur du, o Haß! O, schliefst du ein!

30
 Schlaf’ ein!


Im Panzer, hoch das Schwert erhoben,
So kam das Jahr. Von Muth geschwellt
War seine Brust; im Kampfestoben
Erklang sein donnernd: „Deutschland oben!“

35
Und in den Angeln bebt’ die Welt.

Wer möcht’ nicht froh die Kränze winden
Dem Muth, der ohne Wanken war,
Jetzt lasse du die Welt empfinden
Der Liebe Herzschlag, neues Jahr!

40
 Wach’ auf!


Du neues Jahr, zum Heile steige
Empor nun zu dem Sonnenlicht!
Den Weg zum Glück den Völkern zeige!
O, flicht’ um unsrer Eiche Zweige

45
Die Rosenranken voll und dicht.

Wo Fäulniß modert, reiß’ die Decke
Des eitlen Selbstbetruges fort,
Und wer im Ruhmrausch träumt, den wecke
Dein ernstes Wort, dein mahnend Wort:

50
 Wach’ auf!


Du neues Jahr, dir sei’s beschieden
Zu einen durch ein heilig Band,
Was sich in finstrem Wahn gemieden;
Es geh’ die Freiheit und der Frieden

55
Mit dir des Weges Hand in Hand!

Lass’ reiche Frucht die Saaten tragen!
Mit Geist und Feuerflammen tauf’,
Die sich in Trägheit dumpf behagen! – –
Horch, Mitternacht! Neujahr, wach’ auf!

60
 Wach’ auf!




Am Altar.


Von E. Werner, Verfasser des „Helden der Feder“.


Der Herbstmorgen war grau und trübe. Der Nebel lagerte noch feucht und dicht auf der Erde, er hing in schweren Tropfen an den dunklen Tannenzweigen und deckte als leichter weißer Reif den Boden der kleinen Waldlichtung, die inmitten der umfangreichen S.’schen Forsten lag. Am Rande der Lichtung stand ein junger Bursche von vielleicht sechszehn oder siebzehn Jahren in der groben Uniform, wie sie die Leute des königlichen Försters gewöhnlich trugen, eine gedrungene kräftige Gestalt, die Jagdtasche an der Seite, das Gewehr auf der Schulter. Er schien augenblicklich jedoch keine Jagdzwecke zu verfolgen, sondern stand ruhig an einen Baum gelehnt und blickte mit gleichgültiger Miene in den Wald hinaus, als ein fernes Geräusch seine Aufmerksamkeit erregte. Es klang wie der Galopp von Pferden, der immer näher kam und in einiger Entfernung von der Wiese plötzlich aufhörte;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_001.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)