Seite:Die Gartenlaube (1872) 016.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Bild einer fernen Welt. Da schmiegt sich wenige Stufen tiefer als unser Standpunkt das saftige Bärlappmoos in langer grüner Fläche am Boden hin, einen ewigen frischen Rasen bildend. Aus ihm heraus, theils dem Boden, theils riesigen Kübeln entwachsend, streben die Palmengruppen, die Dattel- und Schirmpalmen, die Drachenbäume, die Dracänen, die Araucarien und Riesen-Farren in schönster Abwechslung empor, während niedere Farrn, Sagopalmen, Schilfe und andere strauchartige oder am Boden hinkriechende Pflanzen dem Auge etwaige sonst durch Baumstämme und gewaltige Wurzelknollen weniger angenehm berührende Anblicke verdecken.

Kurz, es ist ein ewiges Grünen, Zweig um Zweig, Halm um Halm, tellerartige Blätter mit gerissenen und durchlöcherten Flächen, mit farbengestreiften Wedeln abwechselnd. Und mitten durch hebt sich das Auge wieder empor zu der gegenüberliegenden Wand. Dort, wo ein kleines Wasserbassin den Rasen abschließt, steigen in künstlicher, aber doch der Natur gut nachgeahmter Anordnung Felsengesteine grottenartig empor, bewachsen von Moosen und Schilfen und wiederum gekrönt von lauschigen dunklen Baum- und Strauchgruppen. Und um für uns das Bild der tropischen Natur zu vervollständigen, rauschen aus den Gesteinen die Sprudel einer mächtigen Quelle heraus, welche, einen vielfach auf dem Gestein aufschlagenden Wasserfall bildend, sich endlich in dem vorgedachten Bassin schaumsprühend verlieren. Dazu der laute Schlag, der rings aus Buschwerk und versteckten Vogelhecken tönt und mit dem Plätschern der Wasser zu wetteifern scheint – so haben wir ein wahrhaft sinnberückendes Gemälde, oder besser gesagt, künstliches Naturgebilde vor uns, dem zu entfliehen uns um so schwerer wird, je länger wir darin schwelgen.

Ein gedämpftes, dem Auge höchst wohlthuendes Licht, welches das vierundfünfzig Fuß hohe, in einem Bogen von hundertzwölf Fuß gespannte Glasdach hereinläßt, vermehrt diesen magischen Eindruck. Neben der Haupthalle ziehen sich auf drei Seiten zweiundzwanzig Fuß hohe Nebenhallen hin, die durch verschiebbare Glaswände wieder Durchblicke auf die Haupthalle gewähren.

Diese Nebenhallen bilden das Bereich der Blumen. Hier entzückt der fast überladene Blüthenreichthum der Azaleen mit ihren mannigfachen Zeichnungen und ihrer Farbenreinheit das Auge, da betäubt uns der Duft der Hyacinthen fast bis zur Trunkenheit, aus Holz- und Rindenkästchen senken sich die Passifloren und andere rankende Gewächse mit vanilleartigem Geruch hernieder, die Rosen leuchten uns mit ihren vollen Wangen oder den kaum geöffneten, einem zierlichen Mädchenmunde vergleichbaren Knospen entgegen, und hier, hier wölben sich die Camellien eng über unser Haupt zusammen. Keuscher hat die Natur wohl keiner Blüthe die Farbe aufgehaucht. Sei es, daß ein blendendes Weiß sie kleidet, daß ein rosiger Schimmer, wie die Morgensonne auf den Gletschern, über sie hinspielt, oder daß ein brennendes Roth sie durchglüht, rein, unendlich rein ist ihr Colorit, und wo eine mehrfache Färbung ein Blüthenblatt durchzieht oder säumt, da steht Farbe neben Farbe abgegrenzt, als dürfe keine Berührung den zarten Hauch beeinträchtigen. Und diese schöne Blüthenpracht blickt aus den fleischigen dunklen Blättern, die mehr den Farben als Folie zu dienen scheinen, um ihre Intensivität zu heben, denn als schützendes Schattendach. Es ist ein köstlicher, reizender Anblick.

Gerade diese Camellienallee bildete einst den höchsten Glanz der Gärten von Biebrich, den Stolz der herzoglichen Familie. Hier, wo wir unter den in vergangenen Tagen von ihr gehegten Blumen wandeln, wollen wir auch ihrer noch kurz zu gedenken suchen. Menschen, auch die unter der Krone geborenen, haben wie die Blumen ihre Schicksale. Der Sturm, der die Halme niederbeugt, bis er in den Stoppeln keinen Widerstand mehr findet, geht auch über Kronen und Throne dahin, beugt und bricht, bis auf dem verödeten Boden neue Saaten sprossen.

Der Sturm des Jahres 1866 hat den Thron des nassauischen Hauses gestürzt, wie es mit anderen Herrschergeschlechtern gleichzeitig auch geschehen ist. Wohl mildert, wohl macht die Zeit so manches Leid vergessen. Die aber einst das Scepter geführt, auf deren Wink sich ganze Heere bewegt, tragen den Stachel, den verlorene Vorrechte in ihnen zurückgelassen, ihr ganzes Leben in sich und vererben ihn auf ihre nachkommenden Geschlechter, nie oder nur höchst selten die Hoffnung einer endlichen Restauration verlierend. Wenn die anderen Depossedirten jenes genannten Jahres aber auch äußerlich kein Hehl daraus machten, daß sie das über sie gekommene Unglück nicht verschmerzen konnten, ja daß sie mit Sehnsucht die Behandlung, die ihnen geschehen, gerächt sähen, so vergruben der Herzog von Nassau und seine Gemahlin, der allerdings im Jahre 1866 in ihrem Schloßgarten von Biebrich von Officieren unglimpflich begegnet wurde, ihren Groll in ihr Tiefinnerstes. Kein Beispiel ist bekannt geworden, daß je ein Glied dieser entthronten Familie öffentlich oder im Geheimen gegen ihr Schicksal, nachdem es einmal über sie hereingebrochen, conspirirt hätte. Was über sie verhängt wurde, sie trugen es mit Würde, wodurch erst das Unglück seine Weihe erhält. Nachdem der Herzog, allerdings unfreiwillig, einmal dem Throne seiner Väter entsagt hatte, bescheidete er sich, als Haupt der Familie seine Gemahlin und seine Kinder im kleinen, aber sicher glücklicheren Kreise um sich zu sehen. Einfach wie ein reicher Privatmann ist sein Haushalt gestaltet, gewürzt durch die ungemeine Zärtlichkeit, mit der die Kinder an den Eltern hängen.

Die herzogliche Familie, welche jedoch nur im Winter dauernden Aufenthalt in Frankfurt nimmt, bewohnt das Rothschild’sche Haus in der „Neuen Mainzer Straße“, in welcher zu des seligen Bundestags Zeiten die Herren Gesandten vorzugsweise gerne „residirten“. Vom April 1864 bis zum Untergange Frankfurts als freie Reichsstadt, 1866, wohnte Herr v. Savigny, der letzte preußische Bundestagsgesandte, im jetzigen Palais des Herzogs von Nassau. Der Herzog erscheint im gewöhnlichen Leben sehr einfach und unterscheidet sich in seiner Person und Kleidung in Nichts von anderen wohlstehenden bürgerlichen Persönlichkeiten. Seine Statur ist klein und wenig imponirend. Sein kurzes Gesicht macht ihm das Tragen einer Brille nöthig, ohne die man ihn nie sieht. Wenn er durch seine frühere sehr häufige Anwesenheit in Frankfurt, namentlich in dessen Kaufläden nicht bekannt wäre, so würde man kaum seine gesellschaftliche Stellung in der einfachen, anspruchslosen Erscheinung errathen. Die Herzogin, welche jetzt allerdings sowohl die Zeit, als den Eindruck der für sie nicht zu verwischenden trüben Erinnerungen aus ihrem Antlitz nicht verleugnen kann, war früher von außerordentlicher Schönheit, eine wahrhaft typische Erscheinung; trotz dem Obengesagten ist indeß auch heute noch ihre frühere Schönheit nicht zu verkennen.

Der Erbprinz ist ein schlanker junger Mann, fast einen halben Kopf größer als der Herzog. Auch er ist, die etwas aristokratische Haltung abgerechnet, in Frankfurt immer sehr einfach und anspruchslos aufgetreten. Die österreichische Uniform mag ihn sehr wohl kleiden. Die übrigen Kinder sind noch zu jung, um von ihnen mehr sagen zu können, als daß ihre Erscheinung eine im Ganzen angenehme ist.

Gegen seine Angestellten und seine Dienerschaft ist der Herzog sehr mild, freundlich und freigebig. Besonders opferwillig ist er gegen die Leute, welche früher in seinen Diensten gestanden haben; sie wurden theils sehr gut gestellt, theils erhielten sie sehr ansehnliche Pensionen. Allgemein bekannt und vielfach in der Presse hervorgehoben ist seine Opferwilligkeit beim letzten Kriege. Nach dem „Rheinischen Courier“ hat der Herzog für die Soldaten und die Hinterbliebenen weit über 40,000 Thaler gezahlt.

Der Leser der demokratischen Gartenlaube möge uns nicht verübeln, wenn wir angesichts dieses Pflanzen- und Blumengartens auf denjenigen abschweiften, der einst die Schöpfung in’s Leben gerufen. Die Beziehung lag aber nahe, und wie das Anschauen der Blumenwelt und das Leben in ihr gar oft die Wunde des Gemüths zu heilen im Stande ist, so heilte ja auch der Herzog, und zwar selbst im Innern verwundet, die Wunden so mancher, die ihm jetzt Erholung und Erhaltung danken und im Innern denken:

Wohlthaten, still und rein gegeben,
Sind Blumen, die im Grabe leben.




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_016.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)